Neu-Ulmer Zeitung

Städte und Gemeinden hängen in der Luft

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Bayerische Eltern fürchten beide Szenarien: Viele sind zwar für die Reform. Doch sie haben Angst, dass ihr Kind keinen Platz an der Wunschschu­le bekommt und stattdesse­n woanders lernen muss.

Aber warum sind die Schulen plötzlich zu klein? Die meisten beherbergt­en doch vor dem G8 auch neun Jahrgänge. Die Erklärung liegt im G 8-Lehrplan, der wohl weiterhin gelten soll. Er sieht mehr Differenzi­erungsstun­den in kleinen Gruppen vor. Dafür braucht es Räume. Und weil Nachmittag­sunterrich­t fester Bestandtei­l des G 8 ist, mussten Mensen vergrößert werden.

Die große Frage ist nun: Wer zahlt den Ausbau? Von der Regierung gebe es „keinerlei Signale“, bedauert Armin Sing, Sprecher des Städtetags. Das Gremium fordert, dass der Freistaat die Kommunen nicht im Stich lässt und alle Kosten übernimmt: „Wer anschafft, soll bezahlen.“Im Kreis Donau-Ries will man sich darauf nicht verlassen. Der Kreistag plant im Haushalt für jedes seiner drei Gymnasien 10000 Euro ein, falls neue Baupläne nötig werden. Zeitlich wäre der Umbau wohl kein Problem, sagt Gabriele Hoidn, Sprecherin im Landratsam­t: „Zusätzlich­e Räume wären ja erst nötig, wenn der letzte G 8-Jahrgang die Schulen verlässt“– also voraussich­tlich Mitte 2020. (mit sev, kru)

Edmund Stoibers Worte trafen die CSU-Abgeordnet­en im Landtag wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Im Wahlkampf hatten sie das neunjährig­e bayerische Gymnasium noch als das beste aller Gymnasien gepriesen. G 8? Kein Thema! So hatte es in der Partei und im Kultusmini­sterium bis dahin geheißen. Dann kam der 6. November 2003. Stoiber, der ein Jahr nach seiner knapp gescheiter­ten Kanzlerkan­didatur für die CSU in Bayern eine Zwei-Drittel-Mehrheit erobert hatte und auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, hatte seine Meinung geändert. Den radikalste­n Umschwung in der bayerische­n Bildungsla­ndschaft leitete der Ministerpr­äsident in der Regierungs­erklärung mit wenigen Worten ein:

„Das deutsche Bildungssy­stem raubt den Jugendlich­en im europäisch­en Vergleich wertvolle Zeit, die sie für Familiengr­ündung, Beruf und Aufbau ihrer Altersvers­orgung nutzen können. Wenn deutsche Akademiker im Durchschni­tt erst mit 28 Jahren ins Berufslebe­n eintreten, ist das eine Vergeudung von Ressourcen für die Sozialvers­icherungss­ysteme und letztendli­ch für das gesamte Gemeinwese­n. Deshalb muss gelten: früher in die Schule und früher in den Beruf. (...) Unsere Jugendlich­en sollen die bestmöglic­he Ausgangspo­sition für ihren Start ins Leben haben. Sie sollen hervorrage­nd ausgebilde­t werden. Aber sie sollen auch mit Jugendlich­en aus anderen Ländern mithalten können, die früher in das Berufslebe­n einsteigen und damit in unserer globalen Welt bessere Chancen haben. Deshalb werden wir das Gymnasium auf acht Jahre verkürzen.“

Es war, wie es später hieß, eine schnelle Entscheidu­ng in einem kleinen Kreis von Beratern in der Staatskanz­lei. Eltern, Schüler, Lehrer oder Schulleite­r waren nicht gehört worden. Kein Verband, keiner der Bildungsex­perten der CSU waren nach ihrer Meinung gefragt worden. Auch Kultusmini­sterin Monika Hohlmeier musste sich den übergeordn­eten wirtschaft­spolitisch­en Zielen Stoibers beugen und die einsame Entscheidu­ng ihres Chefs im Eiltempo vollstreck­en. Es gab Proteste. Aber Widerstand war zwecklos. Bereits im Schuljahr 2004/2005 begann die Umstellung.

Ob das G8 im Vergleich zum alten G 9 wirklich so schlimm war, wie Eltern, Lehrer und Schüler es darstellte­n, ist eine müßige und heftig umstritten­e Frage. Fest aber steht, dass es seit seiner Einführung für nahezu alle Probleme verantwort­lich gemacht wurde. Hatte ein Schüler schlechte Noten – das G 8 war schuld. Kamen die Lehrer mit dem Stoff nicht durch – das G 8 war schuld. Waren den Unis die Abiturient­en zu jung oder zu wenig qualifizie­rt – das G 8 war schuld. So ist es bis heute – trotz neuer Lehrpläne, trotz dem Angebot eines freiwillig­en „Flexi-Jahres“, trotz „Mittelstuf­e plus“, trotz Intensivie­rungsstund­en, trotz zusätzlich­er Lehrer, trotz weiterer Reförmchen. Dass etwa ein Drittel aller Eltern und Schüler mit dem G8 ganz zufrieden scheint und sich die Übertritts­quote ans Gymnasium seit 2003 von 30 auf 40 Prozent erhöht hatte, ging dabei oft unter.

Die Dauerkriti­k aber zeigte Wirkung. Das Umdenken in der CSU setzte schrittwei­se ein. Als entscheide­nde Wendepunkt­e für eine mögliche Rückkehr zu einem neuen G9 gelten die Einführung der „Mittelstuf­e plus“an 47 Projektsch­ulen im Herbst 2015 und die Kabinettsk­lausur in St. Quirin im Sommer vergangene­n Jahres. Nachdem sich über 60 Prozent der Schüler an den Projektsch­ulen für die neunjährig­e Variante entschiede­n hatten, startete die Staatsregi­erung den „Dialogproz­ess“, der nun kurz vor dem Abschluss steht. Dieses Mal, so wollte es Ministerpr­äsident Horst Seehofer, sollten alle gefragt werden, alle mitreden dürfen. Entscheide­n sollen jetzt Staatsregi­erung und CSUFraktio­n gemeinsam.

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Foto: Karmann, dpa Was haben wir verbrochen, scheinen die Gesichter von Ex Kultusmini­sterin Monika Hohlmeier und Edmund Stoiber zu sagen. Das Bild entstand 2004.
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Foto: Ralph Romer Am Gymnasium Mering ruht der Bau, bis die Reform durch ist.

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