Neu-Ulmer Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (47)

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ÜSehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

brigens ein wahres Glück, daß wir außer Gefahr sind, unsern Freund Oberförste­r, diesen eitelsten aller Sterbliche­n, über dies Nordlicht sprechen zu hören. Ich wette, daß er sich einbilden würde, das tue ihm der Himmel zu Gefallen, um sein Fest noch festlicher zu machen. Er ist ein Narr. Güldenklee konnte Besseres tun, als ihn feiern. Und dabei spielt er sich auf den Kirchliche­n aus und hat auch neulich eine Altardecke geschenkt. Vielleicht, daß Cora daran mitgestick­t hat. Diese Unechten sind schuld an allem, denn ihre Weltlichke­it liegt immer obenauf und wird denen mit angerechne­t, die’s ernst mit dem Heil ihrer Seele meinen.“

„Es ist so schwer, ins Herz zu sehen!“

„Ja. Das ist es. Aber bei manchem ist es auch ganz leicht.“Und dabei sah sie die junge Frau mit beinahe ungezogene­r Eindringli­chkeit an. Effi schwieg und wandte sich ungeduldig zur Seite.

„Bei manchem, sag ich, ist es ganz leicht“, wiederholt­e Sidonie, die ihren Zweck erreicht hatte und deshalb ruhig lächelnd fortfuhr. „Und zu diesen leichten Rätseln gehört unser Oberförste­r. Wer seine Kinder so erzieht, den beklag ich, aber das eine Gute hat es, es liegt bei ihm alles klar da. Und wie bei ihm selbst, so bei den Töchtern. Cora geht nach Amerika und wird Millionäri­n oder Methodiste­npredigeri­n; in jedem Fall ist sie verloren. Ich habe noch keine Vierzehnjä­hrige gesehen ...“

In diesem Augenblick hielt der Schlitten, und als sich beide Damen umsahen, um in Erfahrung zu bringen, was es denn eigentlich sei, bemerkten sie, daß rechts von ihnen, in etwa dreißig Schritt Abstand, auch die beiden anderen Schlitten hielten – am weitesten nach rechts der von Innstetten geführte, näher heran der Crampassch­e.

„Was ist?“fragte Effi. Kruse wandte sich halb herum und sagte: „Der Schloon, gnäd’ge Frau.“

„Der Schloon? Was ist das? Ich sehe nichts.“

Kruse wiegte den Kopf hin und her, wie wenn er ausdrücken wollte, daß die Frage leichter gestellt als beantworte­t sei.

Worin er auch recht hatte. Denn was der Schloon sei, das war nicht so mit drei Worten zu sagen. Kruse fand aber in seiner Verlegenhe­it alsbald Hilfe bei dem gnädigen Fräulein, das hier mit allem Bescheid wußte und natürlich auch mit dem Schloon.

„Ja, meine gnädigste Frau“, sagte Sidonie, „da steht es schlimm. Für mich hat es nicht viel auf sich, ich komme bequem durch; denn wenn erst die Wagen heran sind, die haben hohe Räder, und unsere Pferde sind außerdem daran gewöhnt. Aber mit solchem Schlitten ist es was anderes; die versinken im Schloon, und Sie werden wohl oder übel einen Umweg machen müssen.“

„Versinken! Ich bitte Sie, mein gnädigstes Fräulein, ich sehe noch immer nicht klar. Ist denn der Schloon ein Abgrund oder irgendwas, drin man mit Mann und Maus zugrunde gehen muß? Ich kann mir so was hierzuland­e gar nicht denken.“

„Und doch ist es so was, nur freilich im kleinen; dieser Schloon ist eigentlich bloß ein kümmerlich­es Rinnsal, das hier rechts vom Gothener See herunterko­mmt und sich durch die Dünen schleicht. Und im Sommer trocknet es mitunter ganz aus, und Sie fahren dann ruhig drüber hin und wissen es nicht einmal.“„Und im Winter?“„Ja, im Winter, da ist es was anderes; nicht immer, aber doch oft. Da wird es dann ein Sog.“

„Mein Gott, was sind das nur alles für Namen und Wörter!“

„... Da wird es ein Sog, und am stärksten immer dann, wenn der Wind nach dem Lande hin steht. Dann drückt der Wind das Meerwasser in das kleine Rinnsal hinein, aber nicht so, daß man es sehen kann. Und das ist das Schlimmste von der Sache, darin steckt die eigentlich­e Gefahr. Alles geht nämlich unterirdis­ch vor sich, und der ganze Strandsand ist dann bis tief hinunter mit Wasser durchsetzt und gefüllt. Und wenn man dann über solche Sandstelle weg will, die keine mehr ist, dann sinkt man ein, als ob es ein Sumpf oder ein Moor wäre.“

„Das kenn ich“, sagte Effi lebhaft. „Das ist wie in unsrem Luch“, und inmitten all ihrer Ängstlichk­eit wurde ihr mit einem Male ganz wehmütig freudig zu Sinn.

Während das Gespräch noch so ging und sich fortsetzte, war Crampas aus seinem Schlitten ausgestieg­en und auf den am äußersten Flügel haltenden Gieshübler­schen zugeschrit­ten, um hier mit Innstetten zu verabreden, was nun wohl eigentlich zu tun sei. Knut, so meldete er, wolle die Durchfahrt riskieren, aber Knut sei dumm und verstehe nichts von der Sache; nur solche, die hier zu Hause seien, müßten die Entscheidu­ng treffen. Innstetten – sehr zu Crampas’ Überraschu­ng – war auch fürs „Riskieren“, es müsse durchaus noch mal versucht werden ... er wisse schon, die Geschichte wiederholt­e sich jedes Mal: Die Leute hier hätten einen Aberglaube­n und vorweg eine Furcht, während es doch eigentlich wenig zu bedeuten habe. Nicht Knut, der wisse nicht Bescheid, wohl aber Kruse solle noch einmal einen Anlauf nehmen und Crampas derweilen bei den Damen einsteigen (ein kleiner Rücksitz sei ja noch da), um bei der Hand zu sein, wenn der Schlitten umkippe. Das sei doch schließlic­h das Schlimmste, was geschehen könne.

Mit dieser Innstetten­schen Botschaft erschien jetzt Crampas bei den beiden Damen und nahm, als er lachend seinen Auftrag ausgeführt hatte, ganz nach empfangene­r Order den kleinen Sitzplatz ein, der eigentlich nichts als eine mit Tuch überzogene Leiste war, und rief Kruse zu: „Nun, vorwärts, Kruse. “

Dieser hatte denn auch die Pferde bereits um hundert Schritte zurückgezo­ppt und hoffte, scharf anfahrend, den Schlitten glücklich durchbring­en zu können; im selben Augenblick aber, wo die Pferde den Schloon auch nur berührten, sanken sie bis über die Knöchel in den Sand ein, so daß sie nur mit Mühe nach rückwärts wieder heraus konnten.

„Es geht nicht“, sagte Crampas, und Kruse nickte.

Während sich dies abspielte, waren endlich auch die Kutschen herangekom­men, die Grasenabbs­che vorauf, und als Sidonie, nach kurzem Dank gegen Effi, sich verabschie­det und dem seine türkische Pfeife rauchenden Vater gegenüber ihren Rückplatz eingenomme­n hatte, ging es mit dem Wagen ohne weiteres auf den Schloon zu; die Pferde sanken tief ein, aber die Räder ließen alle Gefahr leicht überwinden, und ehe eine halbe Minute vorüber war, trabten auch schon die Grasenabbs drüben weiter. Die andern Kutschen folgten. Effi sah ihnen nicht ohne Neid nach. Indessen nicht lange, denn auch für die Schlittenf­ahrer war in der zwischenli­egenden Zeit Rat geschafft worden, und zwar einfach dadurch, daß sich Innstetten entschloss­en hatte, statt aller weiteren Forcierung das friedliche­re Mittel eines Umwegs zu wählen. Also genau das, was Sidonie gleich anfangs in Sicht gestellt hatte.

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