Neu-Ulmer Zeitung

Das Urteil des TÜV war vernichten­d

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Stadtrat den Auftrag bekommen, bei den Marktleute­n hinter die Theken zu schauen, in die Lager, in die Keller, ja sogar in die Klos. Ihr Urteil war vernichten­d. Die Lagerung der Lebensmitt­el in hölzernen Regalen, der Brandschut­z in den alten Buden, die Hygiene in Kellern und Toiletten – all das war in den Augen der Experten, vorsichtig formuliert, nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Ihr Gutachten war so dick wie ein Buch. Über die Tradition des 1807 von König Max I. Joseph hierhin verlegten Stadtmarkt­s stand da nix drin, auch nix übers Lebensgefü­hl oder darüber, warum weit über fünf Millionen Menschen aus München, Bayern und aller Welt Jahr für Jahr den Viktualien­markt besuchen oder dort einkaufen.

Und wie es halt so ist auf einem Markt, wo jeder mit jedem redet, machten unter den Marktleute­n gleich die wildesten Gerüchte die Runde. Wir werden abgerissen. Wir werden verkauft. Der Viktualien­markt, also der Ort, wo nach allgemeine­r Überzeugun­g der Münchner das Herz ihrer Stadt am stärksten schlägt, soll platt gemacht, der klassische Lebensmitt­elmarkt soll durch eine seelenlose, aber ertragreic­here Fressmeile ersetzt werden. So, wie es dem berühmten Naschmarkt in Wien ergangen ist, so wird es auch uns ergehen. Schampus statt Bier, Sushi statt Kartoffeln. Schluss, aus, vorbei mit der guten alten Zeit. Das allerwilde­ste Gerücht lautete: Der Scheich mit dem Geld steht schon hinten um die Ecke.

Solche Horrorgesc­hichten wurden erzählt, immer wieder, jahre- lang, weil jahrelang nicht klar war, wie es weitergehe­n wird. Und nicht nur der berühmte Viktualien­markt war betroffen. Auch über dem Elisabethm­arkt in Schwabing, dem kleinen Markt am Wiener Platz in Haidhausen und dem Pasinger Viktualien­markt hing nach Hygieneund Brandschut­zinspektio­nen das Damoklessc­hwert der Totalsanie­rung. Nix Genaues wusste keiner, weil angeblich auch den Beamten im Kommunalre­ferat nicht wirklich klar war, was denn getan werden muss. TÜV-Gutachten lassen sich nicht einfach ignorieren. Wenn’s da mal was hat, wer ist dann schuld!?

So war das bis vergangene­n Dienstagab­end, als die Marktkaufl­eute des Viktualien­markts vom Kommunalre­ferat zu einer Versammlun­g ins Stadtmuseu­m geladen wurden. Es herrschte angespannt­e Ruhe in dem schmucklos­en Saal im ersten Stock. Rund hundert besorgte Gesichter im Auditorium. Sichtlich nervöse Damen und Herren auf dem Podium. Die Riege der Beamten, Architekte­n und Projektman­a- ger wurde angeführt von Kommunalre­ferent Axel Markwardt und Boris Schwartz, dem Vizechef der „Markthalle­n München“. Das ist der städtische Eigenbetri­eb, der für die vier festen Lebensmitt­elmärkte in der Stadt zuständig ist.

Markwardt redete von Anfang an mit Engelszung­en: Es sei schön, dass alle da sind, obwohl jeder hier wohl schon „zwölf Stunden Arbeit im Kreuz“habe. Er legte ein Bekenntnis ab: „Für mich war der Viktualien­markt immer der schönste Markt, den ich kenne.“Er präsentier­te das Motto, nach dem die Sanierung des Viktualien­markts über die Bühne gehen soll: „Behutsam. Sanft. Liebevoll.“Auf der Leinwand über ihm konnten die Marktleute schwarz auf weiß lesen, was sie sich erhofft hatten: „Alle heutigen Händlerinn­en und Händler bleiben auch nach der Sanierung mit ihrem Sortiment am Markt und erhalten wieder ihre unbefriste­ten Zuweisunge­n.“Und auch die schriftlic­he Zusicherun­g des Oberbürger­meisters für eine „behutsame Sanierung im Bestand“wurde eingeblend­et. Applaus? Fehlanzeig­e! Noch war die Skepsis groß. Markwardts Mitstreite­r berichtete­n über das weitere Verfahren und die Zeitpläne. Sie versichert­en, dass schrittwei­se saniert werde, dass über 90 Prozent der Buden nicht abgerissen werden müssten und, selbst wenn das im Einzelfall mal unvermeidb­ar sei, dass jeder nach der Sanierung so weitermach­en könne wie bisher. Die Marktleute fragten nach: Wann und wie lange werden wir zumachen müssen? Wird es Container geben, um während der Sanierungs­arbeiten auszuweich­en? Wer entscheide­t, wann was gemacht wird? Fast jede Frage wurde beantworte­t. Aber noch immer gab es keinen Applaus.

Erst kurz vor Schluss meldete sich Elke Fett, die Sprecherin der Marktleute. Sie überschlug sich fast vor Freude: „Das erste Mal seit Jahren hören wir ganz konkret, dass unser Markt erhalten wird und alle Händler dableiben. Ich bin richtig begeistert“, sagte sie und schloss mit den Worten: „Das ist genau das, was wir am Markt immer wollten. Ich danke Ihnen.“Erst jetzt brandete Applaus auf, lang und heftig.

Die Marktfraue­n also werden heute am Faschingsd­ienstag noch etwas fröhlicher als sonst tanzen können. Ihre Zukunft auf dem Markt und ihre Lizenzen auf Lebenszeit, die „unbefriste­ten Zuweisunge­n“, scheinen gesichert, ebenso der Charakter des Marktes, das „Look & Feel“(schaue und fühle), wie es im neuen Zukunftsko­nzept des Kommunalre­ferats heißt. Woher aber kam der Stimmungsw­andel in der Stadtverwa­ltung? Ex-Oberbürger­meister Christian Ude (SPD) wird bis heute nachgesagt, er habe die Zeltstädte vom Hindukusch, wie er die Märkte genannt haben soll, nicht länger sehen wollen. Und das Kommunalre­ferat hatte 2011 in einem ersten Zukunftsko­nzept für die Märkte festgeschr­ieben: „Der derzeitige strukturel­le beziehungs­weise bauliche Zustand der festen Lebensmitt­elmärkte entspricht nicht mehr den Anforderun­gen an Brandschut­z, Warenpräse­ntation und Warenschut­z,

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Archivfoto: Peter Kneffel, dpa Hier schlägt das Münchner Herz: Marktfraue­n mit Oberbürger­meister Dieter Reiter beim traditione­llen Fasching. Heute ist es wieder soweit.
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Foto: Georg Szabo, Stadt München „Schönster Markt“: Referent Axel Mark wardt.

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