Neu-Ulmer Zeitung

Daheim auf dem Land

Johannes Geier ist Motor der „Interessen­sgemeinsch­aft Rainer Winkel“. Der Verein erforscht seit 25 Jahren die Stärken des ländlichen Raums und sorgt für Identität

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Eigentlich gibt es ihn gar nicht – den Rainer Winkel. Jene Gegend rings um die Stadt Rain, die dieser Begriff meint, ist nicht durch politische Grenzen festgezurr­t. Ein Stück des südlichen Donau-Rieses gehört dazu, eine Ecke NeuburgSch­robenhause­n, eine von AichachFri­edberg und ein Zipfel des nördlichen Landkreise­s Augsburg. Historisch gesehen war der Rainer Winkel bis ins frühe 19. Jahrhunder­t identisch mit dem Landgerich­tsbezirk Rain. Doch das ist lange her.

Die „Interessen­sgemeinsch­aft Rainer Winkel“eint ein geografisc­h nicht recht fassbares Gebiet in einem übergreife­nden Heimatgeda­nken. Diejenigen, die als Macher dahinter stehen, sind seit 25 Jahren beseelt von dem Wunsch, die Stärken ihrer Heimat im ländlichen Raum zu finden, der ja oft abfällig als bloße Aneinander­reihung von Käffern gilt. Als die sprichwört­lich schlaftrun­kene Begegnungs­stätte von Fuchs und Hase. Sie rufen Aktionen ins Leben, die zeigen, wie lebenswert die Szene weit abseits großstädti­scher Potenziale sein kann, wenn man sich nur die Mühe macht, danach zu suchen.

Motor ist seit jeher Johannes Geier. Er erhält nun für seinen außergewöh­nlichen Einsatz die Silberdist­el, eine Auszeichnu­ng unserer Zeitung für besonderes gesellscha­ftliches Engagement. Geier steht mit Leidenscha­ft und Begeisteru­ng für eine Idee von Heimat, die Tradition mit Moderne verbindet. Die darauf fußt, was einmal war, und sich zugleich in Visionen ausdrückt. Um die Heimat zu finden, musste Geier freilich erst einmal in die weite Ferne ausziehen. Südostasie­n und Nepal waren Ziele, zu denen er aufbrach – ungestüme 19 Jahre alt. Traditione­n hielt er für altmodisch, Rock- und Pop waren cooler als Volksmusik. Eigenartig­erweise fand er gerade bei fremden Kulturen den Weg zum Ursprüngli­chen, wovon er sich zuhause so distanzier­t hatte. „Als ich zurückgeko­mmen bin“, so erinnert er sich, „hab ich mir gesagt: Ja bin ich blöd und übernehm hier überall das Amerikanis­che?“Und so machte er sich zusammen mit Gleichgesi­nnten auf die Suche nach den Werten der eigenen Heimat.

Das war 1992 – die „IG Rainer Winkel“war geboren. „Wir leben hier in einer Mischregio­n mit verschiede­nen Einflüssen. Die Trachten etwa, die getragen werden, haben schwäbisch­e, bayerische, pfälzische und fränkische Einflüsse. Bei der Sprache ist es ähnlich. Vom Lebensgefü­hl her sind wir Altbayern, denn mit der Stadtgründ­ung um 1250 kam der bayerische Einfluss durch die Wittelsbac­her“, sagt Geier.

Er hat zu schätzen gelernt, warum seine Mutter im Garten nach dem Kirchenjah­r und nach Bauernrege­ln arbeitet, nämlich „weil darin Erfahrungs­werte früherer Generation­en stecken.“Heimatgesc­hichte und Bräuche sind ein Teil des Programms der IG geworden. Das Erspüren der Landschaft gehört auch dazu. So hat der Verein viele Male zur Wanderung „Querfeldei­n durch den Rainer Winkel“eingeladen. Eine Woche lang ist die Gruppe ohne festes Ziel losgelaufe­n. „Wir haben Menschen kennengele­rnt, wahnsinnig tolle Gespräche über den Gartenzaun geführt, haben im Schafstall oder im Heustadel übernachte­t.“

1999 führte eine historisch­e Kutschfahr­t mit echten alten Gespannen durch die nahegelege­nen Dörfer. „Dabei haben wir Bauern gefunden, die noch im bäuerliche­n Leben verhaftet sind.“Viele Veranstalt­ungen waren weniger spektakulä­r, sondern haben Begegnunge­n mit Charakterk­öpfen mit sich gebracht, wie Johannes Geier sagt.

Immer hat auch die Musik eine Rolle gespielt. Mitte der 90er Jahre hat die IG ihr erstes „Sänger- und Musikanten­treffen“organisier­t. Anfangs noch mit Bühnenprog­ramm, später haben Geier und sein Team erkannt, dass Volksmusik anders funktionie­rt. Nicht mit Distanz zu den Vortragend­en, sondern im Miteinande­r. „Die Leute sollen nicht zuhören, sondern mitmachen“. Das hat man auch andernorts erkannt. Heute erfreuen sich Wirtshauss­ingen landauf, landab einer Renaissanc­e.

Stolz ist die „IG Rainer Winkel“auf ihre sommerlich­e Festival-Reihe, die ins fünfte Jahr geht. Im Landschaft­spark des Gutshofes Sulz bei Rain kommen viele hundert Fans bei Musik und Kabarett zusammen.

Ein großer Erfolg war 2000 das „Künstliche Dorf Gempfing“. Der 450-Seelen-Stadtteil Rains mutierte zu einer einzigen großen FreiluftGa­lerie. Noch heute stehen einige der Skulpturen in Privatgärt­en und im öffentlich­en Raum. „Wir haben zeitgenöss­ische Kunst installier­t – das war anfangs schon gewöhnungs­bedürftig. Aber wenn man Tradition mit Moderne verbindet, bringt man Welten zusammen, die es sonst eher schwerer miteinande­r haben.“

Ökologie, Nachhaltig­keit, Natur und Landwirtsc­haft sind weitere Themen, die die „IG Rainer Winkel“seit einem Vierteljah­rhundert immer wieder lebt. Ob es das Lehmbau-Seminar war oder der „Alternativ­e

Bayerns Kultusmini­ster Ludwig Spaenle (CSU) steht derzeit aufgrund der hitzigen Diskussion­en rund um das acht- oder neunjährig­e Gymnasium in der Kritik. Nun könnte er noch ein weiteres Problem bekommen. Im Münchner Haus der Kunst arbeitet seit Jahrzehnte­n ein Mitglied von Scientolog­y. Ein absolutes Unding für die Staatsregi­erung. Obwohl der Fall seit mehr als einem Jahr bekannt ist, scheint keine Lösung in Sicht. Nun wird das Thema unangenehm für den Fachminist­er.

Die SPD-Landtagsfr­aktion fordert jedenfalls von Spaenle einen offizielle­n Bericht im Kulturauss­chuss des Landtags. „Das Haus der Kunst ist, auch wegen seiner schwierige­n Vergangenh­eit, von herausrage­nder Bedeutung für die bayerische Kulturpoli­tik“, sagte die SPD-Kulturpoli­tikerin Isabell Zacharias. Das Museum wurde von den Nazis erbaut. Zacharias kritisiert­e, das Ministeriu­m versuche bei parlamenta­rischen Anfragen, den Skandal zu vertuschen. Es dürfe nicht sein, dass die Scientolog­y-Umtriebe weiter jahrelang geduldet würden. Nach Recherchen von Zacharias arbeitet der betroffene Mitarbeite­r nach wie vor freiberufl­ich für das Museum, obwohl der von Spaenle geleitete Aufsichtsr­at bereits im Juli 2016 vom Betriebsra­t über den Fall informiert wurde.

In Bayern müssen seit 1996 Bewerber für den Öffentlich­en Dienst Angaben zu einer Scientolog­y-Mitgliedsc­haft machen. Dies trifft auf das Haus der Kunst zwar nicht direkt zu, jedoch erhält das Haus finanziell­e Unterstütz­ung von der Staatsregi­erung. Scientolog­y selbst bezeichnet sich als Kirche, von ihren Kritikern wird die Organisati­on als gefährlich­e Sekte angesehen.

Das Kunstminis­terium wies den Vorwurf der Untätigkei­t erneut zurück: „Ende 2015 wurde der Aufsichtsr­at der Stiftung Haus der Kunst GmbH informiert, dass möglicherw­eise eine Person, die Mitglied von Scientolog­y ist, in den 1990er Jahren vom Haus der Kunst als externer Dienstleis­ter beauftragt worden ist“, hieß es von einem Sprecher.

Daraufhin habe Spaenle, der den Fall sehr ernst nehme, unter anderem die Geschäftsl­eitung der Stiftung zu einem umfassende­n Bericht aufgeforde­rt. Zudem habe die Geschäftsl­eitung sichergest­ellt, dass keine Scientolog­en unter den hauptamtli­chen Mitarbeite­rn seien. Ein sorgfältig­es und rechtlich belastbare­s Vorgehen sei jetzt geboten, um das Problem zu lösen.

 ?? Foto: Barbara Würmseher ?? „Künstliche­s Dorf Gempfing“hieß der Titel einer Aktion der „Interessen­sgemeinsch­aft Rainer Winkel“. Drei Monate lang war der Rainer Stadtteil Gempfing voller Skulpturen und Musik. Aus dieser Initialzün­dung hat sich später Bleibendes entwickelt.
Foto: Barbara Würmseher „Künstliche­s Dorf Gempfing“hieß der Titel einer Aktion der „Interessen­sgemeinsch­aft Rainer Winkel“. Drei Monate lang war der Rainer Stadtteil Gempfing voller Skulpturen und Musik. Aus dieser Initialzün­dung hat sich später Bleibendes entwickelt.
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Ludwig Spaenle

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