„Visitors“werden in der Innenstadt ausgesetzt
Ein Duo aus Friedrichshafen platziert 50 Alabastergipsfiguren in Günzburg. Weshalb Passanten die Figuren mitnehmen sollen und warum die Kleinplastiken sogar ins Weltall kamen
Sie sind weiß, nummeriert, zwischen fünf und 25 Zentimeter groß und aus Alabastergips: 50 kleine Unikate, auch „Visitor“-Figuren oder kurz „Visitors“genannt: Heute zwischen 15.30 Uhr und 17.30 Uhr stellen Ragnhild Becker und Gunar Seitz, ein Künstlerpaar aus Friedrichshafen, ihre Figuren in der Günzburger Innenstadt auf. Die beiden wünschen sich, dass Passanten die Figuren mitnehmen und an anderen Orten „aussetzen“, wie sie das formulieren.
In diesem Jahr feiern Ragnhild Becker und Gunar Seitz mit diesem Kunstprojekt ihr 20-jähriges Jubiläum. Seit dem Jahr 1997 haben sie knapp 18 000 Figuren gebaut. Zwar sind sie diejenigen, die die Aktion gemeinsam leiten, aber mittlerweile gibt es noch rund 1000 weitere Mitwirkende: Menschen, die die „Visitors“finden, mitnehmen und früher oder später an einem anderen Ort platzieren. Ein Etikett mit QRCode, E-Mailkontakt und Homepage zur Kunstaktion befindet sich auf der Unterseite der Kleinplastiken. Dadurch kann dokumentiert werden, an welchen Plätzen die Visitors angeordnet oder gesehen wurden.
Ziel des Konzepts ist es, allen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, Bildung und Kunsterfahrung, die Möglichkeit zu bieten, Teil eines weltweiten Projekts zu sein und Spaß daran zu finden. Die beiden selbst haben keinen Einfluss darauf, wer die „Visitors“findet und was mit ihnen geschieht.
„Jeder soll seine Aktion daraus machen“, erklärt Seitz. Die beiden möchten die Kunst nicht verkaufen, sondern sie freigeben. Auch die Mit- sollen die Figuren wieder loslassen, beispielsweise wenn sie sie in den Urlaub mitnehmen und dort aufstellen. Das Künstlerpaar hat noch einen anderen Wunsch. Natürlich gibt es Menschen, die sich fragen, warum die Kleinplastiken überhaupt platziert wurden. Andere, die sich vorher schon über das Projekt informiert haben, sind aber dazu eingeladen, sich intensiv mit der Umgebung auseinanderzusetzen, in der sie die Figuren vorfinden. Das kann zum Beispiel eine Baumhöhle sein, ein Sockel oder ein Gebäude. Obwohl sich die Bekanntheit des Projektes im Ausland noch in Grenzen hält, wurden die „Visitors“bereits in 94 Ländern ausgesetzt. Darunter gibt es besondere Kleinplastiken, die sogar unter Wasser und in der Antarktis aufgewirkenden stellt wurden. Ein anderer „Visitor“ist schon weiter entfernt gewesen als so mancher Reisender: Er wurde in einen Satelliten für die Weltraumfahrt integriert.
Fälle, in denen Menschen aus anderen Ländern an dem Projekt teilnehmen, bilden eher die Ausnahme. Dennoch gibt es immer mal wieder außergewöhnliche Erlebnisse, von denen die Künstler erfahren: Sei es eine Italienerin, die einen „Visitor“in Florenz gefunden und in Genua ausgesetzt hat, oder ein Amerikaner, der eine Gipsfigur entdeckt hat, obwohl sie schon halb zerfallen war. Becker und Seitz konzentrieren sich aber eher auf die Verbreitung in Deutschland.
Die Passanten können nicht nur ihre eigenen Ideen nutzen, um zu entscheiden, wo ihre Gipsfigur als Nächstes landen soll. Den kurzzeitigen Besitzern der Figuren ist es selbstverständlich auch gestattet, die Visitors zu verändern. Sie können sie bemalen, dekorieren und gestalten, wie sie möchten. „Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt“, berichtet Seitz. Dieses Mal haben er und seine Partnerin Günzburg als den ersten Standpunkt gewählt.
Warum? Den beiden gefällt die Lage der Stadt. Das Künstlerduo findet aber auch bestimmte Stellen interessant: Der Marktplatz und der Stadtturm zum Beispiel gefallen ihnen wirklich gut. Generell fühlen sich die beiden hier sehr wohl. Es ist nicht das erste Mal, dass ihre Aktion in Bayerisch-Schwaben stattfindet. Sie haben ihre Figuren auch schon in Füssen und Augsburg ausgesetzt. Die beiden bemühen sich darum, zwischen großen und kleineren Städten abzuwechseln. Was die Weiterführung der „Visitor“-Aktion betrifft, ist laut Seitz noch „kein Ende in Sicht“.
Becker und Seitz sind gespannt darauf, die Günzburger Visitors auszusetzen. Sie hoffen, dass viele Passanten die Gipsfiguren entdecken, mitnehmen und an einem anderen Ort platzieren. Die beiden freuen sich schon jetzt auf Rückmeldungen.