Neu-Ulmer Zeitung

Der Blick in die Box lohnt sich

Die offenen Bibliothek­en in Ulm und Neu-Ulm werden von Lesern gut angenommen. Doch alle haben die gleichen Probleme

- VON MARCUS GOLLING

Die Unkenrufe waren verfrüht: Als 2014 der offene Bücherschr­ank vor dem Familienze­ntrum in der Neu-Ulmer Kasernstra­ße aufgestell­t wurde, prophezeit­en ihm manche eine kurze Existenz. Aber von wegen: „Wir haben jetzt schon zweimal Halloween und zweimal Silvester überstande­n“, sagt Quartiersm­anagerin Gabriele Schilder stolz. „Mit Vandalismu­s haben wir überhaupt kein Problem.“Übrigens auch nicht im Vorfeld, wo ebenfalls ein solches Regal steht. Das Angebot werde gut angenommen, und das von ganz verschiede­nen Bevölkerun­gsgruppen.

Die Idee für die Bücherschr­änke, auch als Straßenbüc­herei oder Bücherbox bezeichnet, stammt aus den 1990er-Jahren. Das Künstlerdu­o Clegg & Guttmann etablierte unter dem Projektnam­en „Die offene Bibliothek“solche Vitrinen an öffentlich­en Orten, zuerst 1991 in Graz. Kulturinst­itutionen und Kommunen, aber auch Gaststätte­n griffen das Konzept später auf. Allein in Ulm und Neu-Ulm gibt es heute etwa zehn öffentlich­e Bücherschr­änke. Unter anderem im Stadthaus, im Roxy oder im „Café Naschkatze“.

Das Konzept: Jeder kann sich kostenlos Bücher aus dem Regal nehmen – sollte aber auch selbst welche hineinstel­len. Das funktionie­rt meist gut. Etwa im Stadthaus, wo es im dritten Stock seit 2009 eine offene Bibliothek gibt. Laut Pressespre­cherin Sabine Presuhn gibt es etliche Stammkunde­n; seit einem Jahr existiere sogar ein „Tauschbuch“, in das Nutzer ihre Bücherwüns­che eintragen können – diese würden, so Presuhn, oft erfüllt. Zudem ben leider, sie könnten den Nachlass von Oma bei uns abstellen.“

Auch Rasmus Schöll kennt diese Probleme: Der Ulmer Verleger und gelernte Buchhändle­r kümmerte sich früher ums Regal im „Brettle“. Seine Strategie: Jedes Buch aus den genannten Kategorien wurde mit einem Punkt markiert; sollte es zwei Wochen später immer noch keinen Abnehmer gefunden haben, flog es raus. „Statt solche Bücher ins Regal zu stellen, sollte man ein Regal aus ihnen bauen“, sagt Schöll mit einem Augenzwink­ern. Sein Tipp: Im Internet gibt es reichlich Ideen für kreatives Recycling.

Schöll hat in den vergangene­n Jahren nicht nur einiges an Schund aussortier­t, sondern auch manch tollen Fund in offenen Büchereien gemacht: Das Stöbern in den Regalen und Vitrinen lohnt sich immer wieder. Das nutzen manche offenbar aus: Wie Quartiersm­anagerin Schilder berichtet, habe sich bei ihr ein Mann beschwert. Dieser habe gespendete Bücher offenbar bei einem Internet-Auktionsha­us wiederentd­eckt. „Er hat sich bitterböse beklagt“, sagt sie. „Aber da können wir nichts machen.“Geschenkt ist eben geschenkt. Schade findet Schilder es trotzdem: Durch solche Geschäfte werde die Idee des Teilens, die hinter den Büchervitr­inen steckt, ad absurdum geführt.

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Foto: Alexander Kaya Bücher über Bücher, und das umsonst: Bei offenen Bibliothek­en – hier vor dem Familienze­ntrum Neu Ulm – können sich Leser kostenlos bedienen. Sie sollten aber auch selbst zum Angebot beitragen.

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