Neu-Ulmer Zeitung

Im Schulz Rausch

Vor ein paar Wochen war die SPD noch eine hoffnungsl­ose Partei. Dann kam Martin Schulz. Und sagte, dass er Kanzler werden will. Beim Politische­n Aschermitt­woch wird er bejubelt wie ein Rockstar. Und man fragt sich: Was finden die Leute bloß an ihm?

- VON MICHAEL STIFTER

Martin Schulz ist nicht der Typ, nach dem sich die Leute umdrehen, wenn er einen Raum betritt. Wären da nicht all die Fotografen um ihn herum, man würde kaum Notiz von ihm nehmen, als er ins Bierzelt von Vilshofen kommt. Martin Schulz ist Durchschni­tt. Der Anzug, die Brille, der Bart, die Stimme, ja sogar der Name: alles Durchschni­tt. Und um diesen Mann zu feiern, steigen Jugendlich­e auf Biertische? Schwenken Damen mittleren Alters rote Fähnchen und johlen wie Groupies bei einem Rockkonzer­t? Innerhalb von ein paar Wochen hat er aus der bemitleide­nswerten SPD eine Partei gemacht, die im September die Bundestags­wahl gewinnen kann. Kein Witz. Und nicht nur die politische Konkurrenz fragt sich: Was finden die Leute bloß an diesem Martin Schulz?

Ingrid und Winfried Bergmann haben eine Antwort. Sie werden beide in diesem Jahr 80 und sind „früher mal SPDler gewesen“, wie sie erzählen. Aber das ist ziemlich lange her. Beim Politische­n Aschermitt­woch waren sie noch nie, obwohl sie in Vilshofen wohnen. Dass sie jetzt schon morgens um 8 Uhr hier ans Donauufer gekommen sind, liegt ausschließ­lich am Kanzlerkan­didaten. „Er spricht Themen an, die in den letzten Jahren untergegan­gen sind“, sagt Winfried Bergmann. Seine Frau, die betont, ihr Großvater mathematis­che Verständni­s des CSU-Generalsek­retärs, der behauptet hatte, beim Aschermitt­woch seiner Partei seien „gefühlt 10000 Leute“, hat er noch ein paar spöttische Worte übrig: „Ich habe gelesen, die gefühlte Mehrheit sitzt in Passau. Ich glaube, die tatsächlic­he Mehrheit sitzt hier.“Stammtisch eben. Doch politische Wettbewerb­er sind für Schulz keine Feinde – nicht mal am Aschermitt­woch. „Wir kämpfen mit harten Argumenten, aber nicht mit persönlich­en Beleidigun­gen“, heißt sein Credo.

Er will nicht mitmachen beim Schüren von Hass, Wut und Ängsten. Doch genau genommen spielt auch Schulz mit den so oft bemühten „Sorgen der Bürger“. Nicht mit der Angst vor Flüchtling­en, dem Islam oder dem Terror. Aber mit der Angst vor sozialem Abstieg, mit der Angst, auf der Strecke zu bleiben. Dass er nun Teile der erfolgreic­hen Agenda 2010 infrage stellt und die SPD „entschröde­rn“will, wie der Spiegel neulich schrieb, hält der Wahlkampf-Experte Frank Stauss für ein wohlkalkul­iertes Manöver. „Der Aufschrei war groß. Aber ich glaube, dass man nicht viele Leute finden wird, die es für richtig halten, dass Menschen, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, bei Jobverlust so schnell in Hartz IV abrutschen. Oder dass junge Leute von einem befristete­n Job in den nächsten weitergere­icht werden“, sagt Stauss im Gespräch mit unserer Zeitung. Dass Kritiker Schulz wegen seiner Verheißung

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