Setzt Berlin Erdogan Grenzen?
Noch ist nicht geklärt, was passiert, wenn der Präsident aus Ankara in Deutschland auf einer Wahlkampfkundgebung auftreten will. Die Opposition fordert ein Verbot
Kommt er? Oder kommt er doch nicht? Und wenn er kommt – soll die Bundesregierung einen Wahlkampfauftritt des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan auf deutschem Boden untersagen?
Die Bundesregierung äußert sich zurückhaltend. Noch stehe überhaupt nicht fest, ob Erdogan überhaupt nach Deutschland komme, um vor den hier lebenden türkischen Staatsbürgern für ein Ja zu der Verfassungsänderung zu werben. Sollte er kommen wollen, werde man ihm dies nicht untersagen, erklärt Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Die Bundesregierung setze sich im Fall des inhaftierten Journalisten Deniz Yücel für die Meinungsfreiheit ein. Daher solle man auch im eigenen Land die Meinungsund Versammlungsfreiheit achten, sagt Seibert. Und: „Wir sollten leben, was wir von anderen fordern.“
Doch die demonstrativ zur Schau gestellte Gelassenheit des Regie- rungssprechers täuscht. Tatsächlich sieht man einem möglichen Wahlkampfauftritt Erdogans im Kanzleramt wie im Auswärtigen Amt mit einer gewissen Sorge entgegen, wird doch damit ein innertürkischer Konflikt auch auf deutschem Boden ausgetragen. Die rund 1,4 Millionen wahlberechtigten Türken, die in Deutschland leben, werden in die parteipolitische Auseinandersetzung in ihrem Heimatland hineingezogen. Zu dieser Sorge besteht auch aller Grund, ist doch die Türkische Gemeinde in Deutschland in ungewöhnlich offener Weise auf Distanz zu Erdogan und seiner AKP-Partei gegangen. In einem Beschluss lehnt sie die Verfassungsänderung ab und plant bundesweit bis zu 400 Veranstaltungen, auf denen für ein „Nein“bei der Volksabstimmung am 16. April geworben wird. Mit der Reform entferne sich die Türkei „von jeglichen demokratischen Grundsätzen“, man lehne jegliche Bemühungen ab, „die das Land in ein EinMann-Regime führen“.
Dabei ist der Wahlkampf auf deutschem Boden längst voll ent- brannt. Am letzten Samstag trat bereits der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim in Oberhausen auf. Ein für gestern Abend geplanter Auftritt von Justizminister Bekir Bozdag in der Festhalle der badischen Stadt Gaggenau wurde am Nachmittag kurzfristig von der Stadtverwaltung untersagt. Den Widerruf der Zulassung begründete sie mit Sicherheitsproblemen. Und auch die Stadt Köln will einen geplanten Auftritt des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci am Sonntag verhindern und den Saal nicht zur Verfügung stellen. Ankara reagiert empört: Das Außenministerium bestellt am Donnerstagabend den deutschen Botschafter Martin Erdmann ein.
Hinter derart rein formalistischen Auftrittsverboten allerdings, das ist den Verantwortlichen in Berlin klar, kann man sich auf Dauer nicht verstecken. Nötig ist vielmehr eine klare Positionierung. So wirft GrünenChef Cem Özdemir der Bundesregierung vor, im Umgang mit Erdogan insgesamt viel zu ängstlich zu sein. Einen Auftritt des Präsidenten zu Wahlkampfzwecken dürfe es nicht geben. „Dass Erdogan unsere Demokratie dazu missbraucht, für seine Diktatur in der Türkei zu werben, finde ich unerträglich.“Mehr noch, „Propaganda für einen Folterund Unterdrückungsstaat hat in unserem Land nichts verloren.“Noch kategorischer formuliert es Linken-Chef Bernd Riexinger. Die Bundesregierung müsse unmissverständlich klarmachen, „dass in Deutschland nicht Stimmung für die Errichtung einer Diktatur gemacht werden darf“.
Das allerdings will die Regierung offenbar unter allen Umständen vermeiden. Ein offizielles Auftrittsverbot für Erdogan, heißt es in Regierungskreisen, würde die ohnehin schon überaus angespannten deutsch-türkischen Beziehungen weiter verschlechtern. Hinter vorgehaltener Hand wird auf die besondere Rolle der Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise und das bestehende Abkommen der EU mit der Türkei verwiesen. Schon mehrfach drohte Erdogan damit, dieses Abkommen aufzukündigen.