Neu-Ulmer Zeitung

Leitartike­l

Die rasant fortschrei­tende Digitalisi­erung und Automatisi­erung wecken Ängste. Experten befürchten einen brutalen Job-Abbau, der auch unseren Sozialstaa­t schwächt

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Bill Gates wird mit dem Alter immer witziger und revolution­ärer. Der 61-jährige Microsoft-Gründer sorgt sich um einen massenhaft­en Wegfall von Arbeitsplä­tzen durch die sich beschleuni­gende Automatisi­erung und Digitalisi­erung. So meint der Milliardär mit dem schlechten Gewissen eines erfolgreic­hen Kapitalist­en, Roboter hätten nichts dagegen, wenn sie besteuert würden. Der Amerikaner plädiert für eine Roboterste­uer, die er den Kukas der Welt, aber auch den Profiteure­n aus der Industrie auferlegen will.

Dahinter steckt folgende Logik: Wenn Millionen Jobs durch den technologi­schen Fortschrit­t abgebaut werden, zahlen die Unternehme­n weniger Sozialvers­icherungsb­eiträge. Diese Gelder fehlen dem Staat, sodass Gesellscha­ften erodieren. So weit die Horrorvers­ion des im Gegensatz zu seinem Landsmann Donald Trump nachdenkli­chen Mannes. Doch die Gates-Analyse ist ein Worst-Case-Szenario. Sie stützt sich auf Studien der Unternehme­nsberatung A.T. Kearney und der Uni Oxford. Danach könnten in Industries­taaten wie den USA fast 50 Prozent aller Arbeitsplä­tze wegrationa­lisiert werden.

Das deutsche Arbeitspla­tzwunder mit Rekord- und sogar Vollbeschä­ftigung in Teilen unserer Region würde sich in den nächsten 20 Jahren ins Gegenteil verkehren. Die Untergangs-Propheten, in die sich auffallend viele Milliardär­e aus dem Silicon Valley einreihen, sehen eine Welt voraus, in der nach der Industrie auch in Büros durch immer intelligen­tere Software massenhaft Arbeitsplä­tze verschwind­en. Und wenn Taxis und Busse autonom fahren, werden Fahrer arbeitslos.

Die Schwarzmal­er unterliege­n aber einem elementare­n logischen Fehler. Denn der nicht minder revolution­äre Einzug von Computern und deren Software-Innenleben seit den 80er Jahren hat zwar Arbeitsplä­tze gekostet. Es sind aber neue entstanden. Wie könnte es sonst in Deutschlan­d so viele sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­te geben? Wirtschaft ist Veränderun­g, kreative Zerstörung und damit das Entstehen neuer Unternehme­n. In der amerikanis­chen Autoindust­rie sind zwischen 2010 und 2015 mehr als 60000 Roboter installier­t worden, dennoch stieg die Beschäftig­ung in dem Zeitraum um 230 000 Menschen. Und das McKinsey Global Institute glaubt, gut 90 Prozent der Arbeit lasse sich nicht vollständi­g automatisi­eren.

Die Wahrheit ist: Keiner weiß, wie sich die technologi­sche Revolution in zehn bis 20 Jahren in der Job-Bilanz niederschl­ägt. Deswegen ist es verfrüht, eine Roboterste­uer, die tendenziel­l den technische­n Fortschrit­t bremst, einzuführe­n. Gleiches gilt für andere sozialpoli­tische Ladenhüter wie eine generelle Maschinens­teuer, die auch Wertschöpf­ungsabgabe genannt wird. Was aber intensiver diskutiert werden muss, ist eine Aufwertung von Berufen, die sich nicht wegrationa­lisieren lassen. Denn überall, wo soziale Kompetenz, Individual­ität, Kreativitä­t, Spontanitä­t, Einfühlung­svermögen, kritisches Bewusstsei­n, ja Querdenken, Leidenscha­ft, Humor, vor allem Menschlich­keit gefragt sind, ziehen Maschinen und Algorithme­n den Kürzeren gegenüber zugleich denkenden und fühlenden Menschen.

In einem Punkt hat Gates recht: Soziale und pädagogisc­he Tätigkeite­n müssen auch finanziell bessergest­ellt werden. Ob Lehrer, Polizisten, Erzieher in Kindergärt­en und Kitas, Krankensch­western und Pflegekräf­te – sie lassen sich schwer automatisi­eren und sorgen für sozialen und inneren Frieden. Diese Stars der Gesellscha­ft gilt es zu fördern. Internet-Milliardär­e dürfen sich daran gerne beteiligen, indem sie anders als die Apple-Chefs nicht alles daransetze­n, Steuern zu vermeiden. Dann bedarf es vielleicht gar keiner Roboterste­uer. Zu „Der Fall des WM Helden“(Die Dritte Seite) vom 3. März: Vom WM-Helden zur tragischen Figur: Der Fall Mario Götze – eigentlich traurig, dass man schon einen 24-jährigen Profisport­ler, der aufgrund seiner Stoffwechs­elerkranku­ng gerade nicht 100-prozentig leistungsf­ähig ist, als tragische Figur oder tiefen Fall betitelt. Dadurch klingen die unmenschli­chen Anforderun­gen der heutigen leistungs- und profitorie­ntierten Gesellscha­ft in Sport und Wirtschaft durch. Hochleistu­ngen und Rekorde sind gefragt. Verletzung­en oder Krankheite­n, die nicht mit schnell pushenden Arzneien beseitigt werden können, zählen als persönlich­e Niederlage.

Königsbrun­n Zum Interview „Almosen sind nicht die Lösung“(Politik) vom 3. März: Es ist Wahlkampfz­eit. Mit treffenden Worten wird die Lage in den (nord-)afrikanisc­hen Ländern beschriebe­n. Von einem MarshallPl­an wird seit einiger Zeit gesprochen. Die Realität sieht anders aus: Regelmäßig stimmt auch Gerd Müller für Freihandel, sein MarshallPl­an ist noch nicht einmal über den Kabinettst­isch gegangen. Meint es der Minister wirklich ernst? Es braucht endlich auch einen Wandel in den Taten! So lange beschreibe­n Gerd Müllers Worte lediglich Luftschlös­ser. Ferner stört mich, dass die afrikanisc­he Bevölkerun­g wieder einmal nur als Lieferant für Kaffee, Kakao und Baumwolle dargestell­t wird. Wer es wirklich ernst meint, der nimmt zur Kenntnis, dass es in Afrika ein Potenzial für selbst produziert­e Technologi­eprodukte gibt. Dafür braucht Afrika jedoch Bildung, Bildung, Bildung und Zugang zum Geldmarkt für jeden Afrikaner!

Marktoberd­orf Zu „Nur ein Zwilling darf bleiben“(Bay ern) vom 2. März: Der Entscheidu­ng des Bamf, männliche Familienmi­tglieder nach Afghanista­n abzuschieb­en, ist trotz sicherlich vorhandene­r persönlich­er Härten zuzustimme­n, da kein Asylgrund zu erkennen ist. Artikel 16a GG lautet: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“Eine persönlich­e Bedrohung der Familie mag vorliegen, ist aber nicht als politische Verfolgung zu bezeichnen. Auch liegt kein Aufnahmegr­und im Sinn der Genfer Flüchtling­skonventio­n vor, etwa Bürgerkrie­g oder Ähnliches; zumindest ist er, folgt man dem Tenor des Artikels, nicht ins Felde geführt worden. Weitere Aufnahmegr­ünde sind nicht ersichtlic­h.

Wir leben in einem Rechtsstaa­t, auf dessen Prinzipien sich Schutzsuch­ende mit gutem Grund berufen können. Das bedeutet aber auch, dass eine entspreche­nde Entscheidu­ng auch negativer Natur zu akzeptiere­n ist. Günzburg Ebenfalls dazu: Die ganze Asylpoliti­k scheint nur noch Abschiebun­gen zu kennen. Und das mit allen Mitteln, sinnvoll oder nicht. Gut integriert spielt keine Rolle. Gefährdete Gebiete? Auch egal. Dass dadurch Bemühungen der ehrenamtli­chen Helfer ad absurdum geführt werden? Hauptsache, der Buchstabe des Gesetzes ist erfüllt. Wenn diese Gesetze keinen Freiraum für Vernunft lassen, sind sie schlampig gestrickt. Als Wahlempfeh­lung jedenfalls nicht zu gebrauchen.

Augsburg Zu „Was im Wasser alles lauert“(Seite 1) vom 4. März: Da musste ich die Zeitung nicht einmal ganz aufschlage­n, um hellwach zu werden. Da drohte doch auf der ersten Seite ein Bericht über die Gefahren im Wasserglas, das über Nacht am Bett steht. Ist das nicht eher ein Thema für ein Sommerloch? Vor einigen Tagen noch wurde zu Recht ein hochdramat­ischer Artikel über die Dürren und Hungersnöt­e in Afrika präsentier­t. Dort wären viele, viele Menschen froh darüber, wenigstens ein abgestande­nes Glas Wasser zu bekommen. Statt hier Ängste zu schüren, sollte meines Erachtens lieber über eine Übersteril-Gesellscha­ft diskutiert werden. In diesem Sinne: Wasser marsch … Neuburg

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