„Was für ein unglaubliches Spiel“
Zum ersten Mal schafft es ein Verein nach einem 0:4 im Hinspiel die nächste Runde zu erreichen. So viel Glück, glaubt Gerard Piquet, werde die Geburtenrate erhöhen
Trainer Luis Enrique sprang mit hochrotem Kopf wie von Sinnen immer wieder in die Luft, Lionel Messi feierte auf der Bande des Camp Nou mit den Fans. Der FC Barcelona hat einmal mehr Geschichte geschrieben und mit einer einzigartigen Aufholjagd für einen Gänsehaut-Abend in einem der legendären Fußball-Tempel Europas gesorgt. „Keiner hätte mehr gedacht, dass wir es schaffen, aber wir haben es gepackt“, sagte Barcelonas deutscher Nationalkeeper MarcAndré ter Stegen: „Das war ein emotionales Ende einer hart umkämpften Partie.“
6:1 nach 90 Minuten plus Nachspielzeit gegen Paris St. Germain im Rückspiel des Champions-LeagueAchtelfinales. „Kein Barça-Fan wird diese Nacht je vergessen“, betonte Enrique. Ein 0:4 aus dem Hinspiel musste Barça gegen die Franzosen mit ter Stegens Landsmännern Julian Draxler und Kevin Trapp (Tor) aufholen. In der fünften Minute der Nachspielzeit war das Fußball-Wunder vollbracht. Ter Stegen war mit nach vorn in den gegnerischen Strafraum geeilt, die Nerven der Fans zum Zerreißen gespannt. Und dann erlöste Sergi Roberto die Katalanen und sorgte mit seinem Tor für den Einzug in das Viertelfinale. Selbst die Konkurrenz war beeindruckt. „Was für ein unglaubliches Spiel. Chapeau Barça, nicht schlecht!“, meinte BayernStar Franck Ribéry. „Wir sind völ- lig euphorisiert vom Platz in die Kabine gekommen und da liefen die letzten zwei Minuten des Spiels gegen Paris beim Stand von 5:1 noch. Wir standen alle da, als wären wir involviert“, erzählte Dortmunds Trainer Thomas Tuchel nach dem eigenen berauschenden 3:0 über Benfica Lissabon: „Wir dachten, dass wir die spektakuläre Nachricht des Abends wären, aber es hat nicht gereicht (lacht). Das kann nur Barça, das war eine sensationelle Leis-
Zwei Elfmeter, einer davon kurz vor Schluss – bei der Wahnsinns-Aufholjagd des FC Barcelona stand auch der deutsche Fußball-Schiedsrichter Deniz Aytekin im Fokus. Zumindest der zweite Strafstoß für Barça, den Neymar zum 5:1 verwandelte, war äußerst umstritten. „Die SchiedsrichterEntscheidungen gingen gegen uns und wir haben alles in den letzten Minuten verloren“, sagte PSGTrainer Unai Emery. Sein Verteidiger Thiago Silva ärgerte sich ebenfalls: „Es soll keine Entschuldigung sein, aber es war kein Foul an Suárez.“Der Uruguayer war im Zweikampf mit Marquinhos zu Boden gegangen. Zwar hatte es eine Berührung gegeben, Suárez war jedoch tung.“Seit Einführung des Europapokals ist es zum ersten Mal einer Mannschaft gelungen, nach einem 0:4 im Hinspiel noch in die nächste Runde einzuziehen. Auch hatten es zuvor nur drei Mannschaften geschafft, einen Vier-Tore-Rückstand aufzuholen. In Erinnerung bleibt vor allem das 0:4 von Borussia Mönchengladbach im Rückspiel bei Real Madrid im UEFA-Cup-Wettbewerb 1985/86, nachdem die Mannschaft von Trainer Jupp Heynckes sehr leicht gefallen. Bereits Mitte der zweiten Hälfte hatte der Angreifer versucht, einen Elfmeter zu schinden. Aytekin hatte Suárez dafür die Gelbe Karte gezeigt. Trotz des aus seiner Sicht unberechtigten Strafstoßes in der 90. Minute, wollte Thiago Silva den Schiedsrichter nicht für das Ausscheiden in der Champions League verantwortlich machen. „Wir dürfen dem Schiedsrichter nicht die Schuld geben, weil wir nicht in der Lage waren, unser Spiel zu spielen“, sagte er. das Hinspiel noch 5:1 gewonnen hatte. „Mit Worten ist das schwer zu erklären, es war wie in einem Horrorfilm“, sagte Enrique, die Stimme heiser vom Schreien und Jubeln. „Der Schlüssel war das Vertrauen, das die Mannschaft und die Fans bis zur 95. Minute hatten.“Barça habe – bewusst oder unbewusst – genau so gespielt, wie Enrique es in seiner aktiven Laufbahn bei den Katalanen immer getan habe: „Laufen und glauben, glauben und laufen, bis zum letzten Atemzug.“
Dabei wähnte sich Paris durch Edinson Cavanis Anschlusstreffer in der 62. Minute zum 3:1 bereits in der nächsten Runde. Dass die Katalanen aber entgegen jeder Wahrscheinlichkeit noch drei Tore erzielten, bezeichnete L’Équipe als „historischen Schiffbruch“der Pariser. Zudem gab es auch Kritik am deutschen Schiedsrichter Deniz Aytekin. Vor allem der fragwürdige und von Neymar verwandelte Foulelfmeter zum 5:1 in der 90. Minute erhitzte die Gäste-Gemüter.
Den Profis, den Trainern und den Fans war das komplett egal. „Wie schön doch der Fußball ist“, schrieb Popstar Shakira bei Instagram neben einem Jubel-Video. Und ihr Partner, Barcelonas Verteidiger Gerard Piqué, riet: „Die Krankenhäuser sollten in den nächsten neun Monaten mehr Hebammen einstellen, denn heute Nacht wird es viel Liebe geben.“
Wahnsinn! Unfassbar! Wer das Wahnsinnige und das Unfassbare zusammenbringen möchte, behilft sich mit dem Wunder. Dass es nirgendwo so zahlreich auftritt wie im Fußball, liegt nahe. In vielen Ländern ist das Spiel Religion, beherrscht von Göttern, Außerirdischen und Titanen. In keinem Klub sind so viele von ihnen versammelt wie beim FC Barcelona.
Wenn also jemand das Unglaubliche vollbringen würde, dann Messi & Co. Keiner hat das schöner beschrieben als die Gazzetta dello Sport: „Am Rande des Abgrunds konnte einzig Barça ein solch episches Unternehmen gelingen.“Bravo Amici! Es war freilich auch alles bereitet dafür. Wie bei jedem Fußball-Wunder bestand auch das vorliegende aus zwei Partien, von denen die erste haushoch verloren sein musste. Barça hat das toll hinbekommen. Zwei Wochen Pause bis zum Rückspiel waren wichtig, damit die Hoffnung Zeit hatte zu gedeihen. Danach haben nur noch Realisten an Barça gezweifelt. Wundergläubige aber ahnten, was geschehen könnte.