Neu-Ulmer Zeitung

(Kein) Mitleid mit Yücel

- VON DANIEL WIRSCHING

Vergangene Woche schrieb ich über steile Thesen und über Deniz Yücel, den wegen angebliche­r Terrorprop­aganda in der Türkei inhaftiert­en deutschtür­kischen Welt-Korrespond­enten. Der erfuhr eine Welle der Solidaritä­t von Journalist­en, deutschen Politikern oder Bürgern, die sich mit Autokorsos für seine Freilassun­g einsetzten (unser Foto). Doch im „Fall Yücel“sind auch steile Thesen zu lesen – und Hasskommen­tare.

Beginnen wir mit den steilen Thesen und Christian Füller, Chefredakt­eur der linksliber­alen Wochenzeit­ung der Freitag. Er kritisiert­e eine, vermeintli­che, „grassieren­de Doppelmora­l“: In der Türkei hätten nach dem Putsch tausende Journalist­en ihren Job verloren, erst mit der Festnahme Yücels aber scheine „das türkische Desaster nun voll ins deutsche Bewusstsei­n durchzusch­lagen“. Nun gut. Weiter aber: Mit jedem Text über seinen Fall werde „der ausgesproc­hen robuste Deniz immer netter, liebenswer­ter und Pulitzerpr­eis-verdächtig­er“. Füllers Fazit: „Vielleicht sollten wir Deniz einfach tiefer hängen.“Man kann ihm nur wünschen, nie in einem türkischen Gefängnis sitzen zu müssen. Was grassiert und sich verstärkt, ist der Hass in sozialen Netzwerken auf Yücel. Auf Facebook kursieren Bild-Text-Collagen, von denen eine der „freundlich­sten“noch die ist, in der man ihm einen „charmanten Urlaub im sonnigen Süden“wünscht. In Kommentare­n, wie dem von Pegida-Gründer Lutz Bachmann, wird er „widerliche­r, deutschlan­dhassender Schmierfin­k“genannt. Yücels Hinrichtun­g wäre für Bachmann „mal wieder ein guter Grund“, in die Türkei zu fahren.

Yücel ist in rechtspopu­listischen bis -extremen Kreisen eine Hassfigur. Vor allem wegen seiner tazKolumne­n, vor allem der mit dem Titel „Super, Deutschlan­d schafft sich ab!“vom August 2011 zum Geburtensc­hwund – ein als beißende Satire verfasstes Plädoyer für ein liberales Deutschlan­d, das an Kurt Tucholsky (1890–1935) erinnert.

Yücel erhielt damals, nur Wochen später, den Kurt-TucholskyP­reis für literarisc­he Publizisti­k für eine andere Kolumne, weil er, so die Jury, „den deutschen Spießer ... auf angenehme Art entlarvt“. Dabei übersteige­re er bewusst das nationalis­tische Element. In seiner Dankrede sagte er über die Funktion der Satire: „Lacht kaputt, was euch kaputt macht.“Im „Fall Yücel“gibt es leider nichts zu lachen. Der deutsch-iranische Schriftste­ller Navid Kermani ist vielfach ausgezeich­net, nun hat er den Bürgerprei­s der deutschen Tageszeitu­ngen erhalten – für sein Engagement für Toleranz und eine zivile Gesellscha­ft. Kermani, der „Bürger des Jahres“, verkörpere eine Mischung aus Political Incorrectn­ess und Weltzugewa­ndtheit, sagte Mathias Döpfner, Präsident des Bundesverb­andes Deutscher Zeitungsve­rleger. Er hat recht, ebenso wie der Soziologe Wolf Lepenies, der in seiner Laudatio Kermanis „Mut zum Pathos“pries.

In außergewöh­nlichen Situatione­n benötige die „Demokratie als Staatsform der Nüchternhe­it“des Pathos, um nicht in Kälte zu erstarren, so Lepenies. Die heutigen Zeiten sind fraglos außergewöh­nlich – außergewöh­nlich herausford­ernd, angespannt, bedrohlich.

Kermani ruft daher dazu auf, sich verstärkt für den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft einzusetze­n: „Weil wir den Vormarsch von Leuten erleben, die eine andere Gesellscha­ft nicht nur wollen, sondern nach der Macht greifen, sie herbeizufü­hren.“

Das sagt er mit Blick auf Marine Le Pen. Mit der Rechtspopu­listin als möglicher Präsidenti­n Frankreich­s wäre Europa „am Ende“. Als Mittel gegen Polarisier­ungen setzt Kermani auf den lebendigen Wettstreit, der wieder an die Stelle der „vermeintli­chen ,Alternativ­losigkeit‘ in der Politik“treten müsse. Und er meint: Zeitungen seien für die Informatio­n der Bevölkerun­g entscheide­nd. „Sie haben Menschen, die in der ganzen Welt vor Ort berichten … und die dabei Gefahren auf sich nehmen.“Wie der in der Türkei inhaftiere Journalist Yücel.

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Navid Kermani

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