Leitartikel
Eine Krise nach der anderen: Nach einer 60-jährigen Erfolgsgeschichte steht jetzt die Zukunft Europas auf dem Spiel. Die Fahrrad-Theorie hat sich erledigt
Die Europäische Union war und ist ein Glücksfall der Geschichte. Sie hat den Völkern des von zwei furchtbaren Weltkriegen heimgesuchten Kontinents Frieden und Wohlstand beschert. Was vor 60 Jahren mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge begann, ist – alles in allem besehen – eine großartige Erfolgsgeschichte geworden. Fiele Europa auseinander und zurück in die Nationalstaaterei, wäre es um seine Zukunft schlimm bestellt. Denn nur gemeinsam sind die Europäer, deren Anteil an Weltbevölkerung und Weltwirtschaft rapide schrumpft, in der Lage, sich in der Welt von morgen zu behaupten.
Es steht also in diesen stürmischen Zeiten, in denen die EU von einer Krise in die nächste taumelt, die Briten goodbye sagen und antieuropäische Kräfte stärker werden, tatsächlich die Zukunft von 500 Millionen Menschen auf dem Spiel. Gekracht und geknirscht hat es im Gebälk der EU schon immer. Das ist unvermeidlich, wenn so viele souveräne Staaten mit ihren unterschiedlichen Interessen und Mentalitäten an einem Strang ziehen sollen. Bei allem Streit stand jedoch die Existenz der EU nie in Frage. Es galt Helmut Kohls Diktum, dass die europäische Einigung „unumkehrbar“sei. Heute wissen wir, dass es auch anders kommen und der „Brexit“Schule machen kann.
Die Fundamente der in sich gespaltenen EU erodieren seit Jahren. Bei der Lösung einer Vielzahl von Problemen (sei es die Eurorettung, die Verteilung von Flüchtlingen oder die Entschärfung des Nord-Süd-Konflikts) kommt man nicht recht voran. Das Vertrauen vieler Europäer in die Institutionen der Union ist nachhaltig ramponiert. In ganz Europa sind populistische, antieuropäische, auf nationale Abschottung drängende Parteien auf dem Vormarsch. Die Union ist an einer historischen Weggabelung angelangt. Entweder findet Europa jetzt die Kraft zu einem Neuanfang oder es ist zum Scheitern verurteilt. Die seit langem fällige, immer wieder aufgeschobene Grundsatzdebatte über eine Reform der EU duldet deshalb keinen Aufschub mehr. Nur ein Neustart bietet die Chance, wieder in Tritt zu kommen. Die meisten Europäer wissen, bei allem Ärger über den Brüsseler Dirigismus, um die unschätzbaren Vorteile eines geeinten Europa. Aber sie wollen endlich wissen, wohin die Reise gehen soll.
Es sieht so aus, als ob die viel zu oft an den Menschen vorbeiredenden Eliten den Ernst der Lage erkannt hätten. Ob sie beizeiten zu Stuhle kommen? Der Erneuerungsprozess ist angeschoben, ohne dass sich schon eine klare Richtung abzeichnen würde. Die Fahrradtheorie allerdings ist erledigt. Sie besagte, dass sich Europa immer weiter in eine Richtung bewegen muss, um nicht umzufallen. Schon Ralf Dahrendorf hat dazu bemerkt: Wer mit dem Rad anhält, muss nicht umfallen – sofern er mit beiden Füßen auf dem Boden steht. So ist es. Mit beiden Füßen auf dem Boden stehen heißt, das Machbare im Auge zu behalten und eine vernünftige Balance zu finden zwischen dem, was nur Europa erledigen kann, und dem, was – vor allem auch aus Gründen demokratischer Bürgernähe – im offenbar unverwüstlichen Nationalstaat besser aufgehoben ist.
Dies erfordert erstens eine Konzentration der EU auf jene Fragen, die – wie die Sicherheitspolitik nach innen und außen – nur gemeinsam zu lösen sind, und zweitens im Gegenzug eine Rückgabe von Kompetenzen an die nationalen Parlamente. Ein so kompliziertes Gebäude wie die EU mitten im Sturm umzubauen, Entscheidungsprozesse zu beschleunigen und den Laden einigermaßen zusammenzuhalten, ist eine Herkulesaufgabe. Aber sie muss jetzt angegangen werden, weil die Zukunft Europas kein „Weiter so“erlaubt. Zu „Wann geht die Europäische Zentral bank vom Gas?“(Wirtschaft) vom 10. März: Unser Bundesfinanzminister freut sich vermutlich klammheimlich über die eingesparten Zinsausgaben von 250 Milliarden Euro! Hilft ihm dieses Geld doch mit, möglicherweise – publikumswirksam – ohne Neuverschuldung auszukommen. Sein Bedauern mit den enteigneten Sparern wird sich m. E. nach den Wahlen im Herbst in Grenzen halten. Wertingen Zu „Minister in der Murksfalle“(Bayern) vom 10. März: Zunächst meine Anerkennung für den witzig geschriebenen und zugleich informativen Artikel Ihrer beiden Redakteure!
Bevor nun aber weiter von allen möglichen Seiten auf den Kultusminister eingedroschen wird, soll an zwei Dinge erinnert werden:
Die CSU-Fraktion nickte 2004 die von Stoiber handstreichartig beschlossene und völlig überstürzt eingeführte Verkürzung zum G8 fast einstimmig ab, obwohl es schon damals massive Proteste gab. Noch schlimmer ist aber, dass sich jahrelang ein erheblicher Anteil der CSU-Landtagsabgeordneten geweigert hat, überhaupt über eine Reform des G 8 nachzudenken – das „Erfolgsmodell“sollte ja nicht gefährdet werden!
Dass Spaenle gegen diesen massiven Widerstand aus der Fraktion keine Reform durchsetzen konnte, ist klar, erst recht nicht, wenn der Ministerpräsident ihn nicht klar unterstützt. Traunstein Zu „Von Einsicht keine Spur“(Politik) vom 10. März: Müssen wir die Angriffe der türkischen Regierung dulden?
Die Beschimpfungen gegen uns, weil wir nicht den Wahlkampf für ein undemokratisches System, das in der Türkei installiert werden soll, bei uns haben wollen, sind nicht zu tolerieren. Unser Grundgesetz begrenzt die Versammlungsfreiheit auf deutsche Staatsbürger. Wir könnten also die unseligen Wahlveranstaltungen türkischer Regierungsmitglieder verbieten. Die Österreicher haben es uns ja vorgemacht. Nicht nur das Ärgernis, dass Erdogan unsere Justiz nicht anerkennt, dass er Zwietracht in der türkischen Gesellschaft bei uns stiftet, dass er gegen Integration hetzt, dass er Nazivergleiche nicht scheut, dass er die EU schmäht, dass er sich aber fürstlich von Deutschland und der EU bezahlen lässt.
Knapp zehn Milliarden Euro erhält die Türkei nach meiner Kenntnis von der EU im Zeitraum von 2007 bis 2020 als „Heranführungshilfe“, bis 2014 sind schon über vier Milliarden geflossen. Deutschland allein hat bis 2016 über 1,3 Milliarden bezahlt, soweit mir bekannt, ohne den „Flüchtlingsdeal“.
Das Geld wird unter anderem zum Aufbau einer „effektiven und regierungsunabhängigen Justiz“, zur Förderung von Nichtregierungsorganisationen, Förderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Medienfreiheiten gegeben. Es ist absolut absurd und kaum zu ertragen!
Burgau Zum Kommentar „Erdogan ist nicht sa krosankt“von Rudi Wais (Seite 1) vom 8. März: Erdogan und seine Minister können es wahrscheinlich selbst kaum glauben, welche Beleidigungen und Anmaßungen sie sich gegenüber Deutschland erlauben können, ohne die leisesten Konsequenzen befürchten zu müssen. Wenn Kanzlerin und Regierung angesichts dieser Ungeheuerlichkeiten nichts weiter einfällt, als auf die Meinungsfreiheit zu verweisen und dass gegen Auftritte von Erdogan und Co. grundsätzlich nichts einzuwenden sei, offenbart das einen peinlichen Mangel an Selbstachtung.
Für die Würde und Integrität der Bundesrepublik unmissverständlich einzutreten, wäre die Pflicht unserer Repräsentanten, aber „so weit“möchte man ja nicht gehen.
Bellenberg