Neu-Ulmer Zeitung

Die Preisspann­e ist riesig

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Deutschen anders. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag der Verbrauche­rzentralen greift jeder Dritte regelmäßig zu Nahrungser­gänzungsmi­tteln. 2016 gingen nach Berechnung­en des Marktforsc­hers Quintiles-IMS 165 Millionen Packungen über die Ladentheke – für 1,1 Milliarden Euro. Kunden finden die Pillen, Kapseln oder Brausetabl­etten längst nicht mehr nur in Apotheken, sondern auch auf vielen Regalmeter­n in Drogerien und Supermärkt­en. Die Preisspann­e ist riesig: Während die Schachteln in der Drogerie oft schon für zwei bis vier Euro zu haben sind, zahlen Verbrauche­r in der Apotheke auch mal 60 Euro oder mehr für bestimmte Präparate.

Auch die Auswahl ist riesig. Es gibt Zinkkapsel­n für schöne Haare, Magnesium „für Herz und Muskeln“, Mineralsto­ffe für die Gelenke, für die Augen und gegen eine schwache Blase, Vitamine für Aktive und solche, die schon lange nicht mehr aktiv sind. Wer kein konkretes Leiden hat, greift zum „A-Z Depot“mit 21 Vitaminen und Mineralsto­ffen. Die Bilder auf den Packungen zeigen Schwangere oder glückliche Familien, am häufigsten attraktive Senioren. Menschen über 60 Jahre sind die größte Zielgruppe für Hersteller von Nahrungser­gänzungspi­llen. Eine Studie des Helmholtz-Zentrums in München kam 2014 zu dem Ergebnis, dass jeder zweite Mann und jede dritte Frau über 64 Jahre ergänzende Vitamine oder Mineralsto­ffe zu sich nimmt, viele von ihnen deutlich mehr als die empfohlene Tagesmenge.

greifen so viele Menschen zu den Pillen und Kapseln? Weil sie sich etwas Gutes tun wollen. Der Forsa-Umfrage zufolge glaubt jeder Zweite, dass Nahrungser­gänzungsmi­ttel die Gesundheit fördern. Aber stimmt das? Halten Vitamin C, Magnesium und Co., was sie verspreche­n? Brauchen wir sie sogar?

Nein, sagt Verbrauche­rschützeri­n Krehl. Nein, sagt auch Dr. Stefan Gölder. Der Mediziner ist Leiter des Ernährungs­teams am Klinikum Augsburg, beschäftig­t sich also täglich mit der Frage, was gute Ernährung ist. Gölder sitzt in seinem Büro, zwei schmale Zimmer, die von einem langen Flur abgehen. Der Schreibtis­ch steht direkt vor dem Fenster, es ist ein trüber Tag, kalt und windig. Gölder klickt sich auf seinem Laptop durch Studien, zeigt Bilder und Zahlenreih­en. „Hierzuland­e“, sagt der Arzt, „sind Nahrungser­gänzungsmi­ttel völlig über- Er deutet auf eine Grafik. Sie stammt aus der Nationalen Verzehrstu­die und zeigt: Im Schnitt sind alle Bundesbürg­er bestens mit den wichtigste­n Mineralien und Vitaminen versorgt – obwohl es stets heißt, viele Deutsche würden sich schlecht ernähren. Den Mythos, Deutschlan­d sei ein Vitamin-Mangelland, versteht Gölder nicht. „Es war noch nie so leicht, an gute Lebensmitt­el heranzukom­men.“

Abweichung­en gibt es in der Studie bei Vitamin D und Folsäure – zwei wichtigen Stoffen. Vitamin D stärkt die Knochen und hat Einfluss auf die Muskelkraf­t. Es wird nur zu einem kleinen Teil über Nahrung zugeführt, den größten Teil bildet der Körper mit Hilfe von Sonnenlich­t selber. Hier liegt aber auch das Problem: „Je weiter man nach Norden kommt, desto schlechter werden die Vitamin-D-Werte.“

Zum Problem kann ein VitaminWar­um D-Mangel nach Ansicht des Instituts für Risikobewe­rtung aber nur bei Personen werden, die sich kaum oder gar nicht im Freien aufhalten können, weil sie etwa bettlägeri­g sind. Für alle anderen gelte: Wer in der warmen Jahreshälf­te fünf bis 25 Minuten am Tag im Freien verbringt, tankt genug Sonne, um ausreichen­d Vitamin D zu produziere­n.

Bei Folsäure sieht es ein wenig anders aus. Das Vitamin ist wichtig für die Zellteilun­g und das Wachstum. Ein Mangel, sagt Gölder, sei deshalb besonders bei Schwangere­n kritisch. Denn er erhöhe das Risiko, dass das Baby mit einem „offenen Rücken“zur Welt kommt. Das Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung empfiehlt Frauen deshalb im ersten Schwangers­chaftsdrit­tel Folsäurepr­äparate. Alle anderen könnten den Bedarf durch eine abwechslun­gsreiche Ernährung decken.

Es gibt auch andere Risikogrup­flüssig.“ pen, die unter einem Nährstoffm­angel leiden können. So kann es sein, dass Menschen, die sich vegetarisc­h ernähren, zu wenig Vitamin B12 aufnehmen. Gölder sagt, dass sich das auch durch ausgewogen­e Ernährung regulieren lässt. „Natürlich ist das schwer“, sagt er. „Aber wer sich einen guten Ernährungs­plan macht, braucht keine Supplement­e.“

Daniela Krehl warnt davor, ohne Not zu Nahrungser­gänzungspr­äparaten zu greifen. Sie rät, immer mit einem Arzt abzuklären, ob es überhaupt einen Mangel gibt. Gölder ist der gleichen Meinung. Der Spruch, dass viel auch viel helfe, sei in diesem Fall falsch: „Wenn der Speicher voll ist, dann ist er voll.“Dazu kommt: Studien legen nahe, dass einige Nahrungser­gänzungsmi­ttel sogar krank machen, wenn sie in zu hoher Dosis eingenomme­n werden. So stellten Forscher des renommiert­en Netzwerks Cochrane Colloborat­ion

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