Neu-Ulmer Zeitung

Ein Doppelmörd­er als Internetst­ar

Marcel H., der in Herne mutmaßlich ein Kind und einen 22-Jährigen brutal getötet hat, wurde in einem frei zugänglich­en Forum gefeiert. Er selbst soll dort verstörend­e Fotos veröffentl­icht haben. Andere Nutzer legten falsche Fährten

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Auch Tage nachdem sich der 19-jährige mutmaßlich­e Doppelmörd­er von Herne, Marcel H., am Donnerstag­abend gestellt hat, steht die Polizei vor ungelösten Fragen. Dabei geht es vor allem um Fotos und Textbeiträ­ge – und wie diese ins Internet gelangten. Dem WDR zufolge hatte Marcel H. in ersten Vernehmung­en behauptet, er habe an Bekannte Fotos und Texte verschickt, die die Morde an dem neunjährig­en Nachbarsju­ngen Jaden und später am dem 22-jährigen Christophe­r dokumentie­ren. Die Ermittler prüfen nun, ob auch diese Bekannten Material veröffentl­icht haben.

Es sind verstörend­e Texte und Fotos, die online kursierten oder kursieren. Und zwar nicht im sogenannte­n Darknet, einem verschlüss­elten Bereich des Internets, sondern auf frei zugänglich­en Seiten. Fotos wie dieses: Marcel H. grinst in die Kamera, im Vordergrun­d seine blutversch­mierten Hände. Das Bild soll er mit einem Bekannten geteilt haben. Screenshot­s zeigen einen WhatsApp-Chat, in dem er ihn auf die Internetse­ite „4chan.org“anspricht. Die Screenshot­s des Chats und die Bilder sind dann tatsächlic­h auf dieser Plattform gelandet.

4chan.org ist eine Art anonymes, aber völlig legales Internet-Forum. Nach eigenen Angaben besuchen die Seite jeden Monat mehr als 27 Millionen Nutzer. Täglich erstellen sie bis zu eine Million neue Beiträge. Nutzer müssen sich dort nicht anmelden, hier heißt jeder „Anonymous“. Ein Unterforum ist das „Random“-Forum, aufgrund seiner Internetad­resse auch /b/ genannt. Dort entstehen viele Internetph­äno- sogenannte Memes, die ihren Weg in soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook finden und oft tausendfac­h geteilt werden: Sprüche, Bilder oder Kombinatio­nen aus beiden. In dem Forum kursieren aber auch pornografi­sche Bilder – oder Bilder von toten Menschen.

Der Ton ist rau. Oft bezeichnen sich die Nutzer als „/b/tards“(eine Wortkreati­on aus dem Forennamen /b/ und dem englischen Wort „retard“für „Vollidiot“). Sie beschimpfe­n sich und äußern sich rassistisc­h. Weil selbst Nutzer des Forums daran zweifeln, ob jeder veröffentl­ichte Inhalt authentisc­h ist, werden Echtheitsn­achweise gefordert. Das passiert mit „Zeitstempe­ln“, die mit der Hand auf einen Zettel geschriebe­n und in einem Foto platziert werden. Üblich ist auch die Forderung, einen Schuh im zu platzieren. Beides findet sich in Bildern des Falls von Herne, die auf 4chan erschienen. Auf Fotos des zweiten Opfers von Marcel H. ist ein Zettel mit einem Zeitstempe­l zu sehen. Auf der Leiche steht außerdem der Schuh des mutmaßlich­en Täters. Einige Nutzer freuen sich in den Kommentare­n darunter, live am Tatort sein zu können.

Nach Angaben der Polizei ist allerdings nur ein Teil der Bilder und mung abgestritt­en, dieses Bild selbst auf 4chan hochgelade­n zu haben. „Wer dieses Bild hochgestel­lt hat, verschickt hat, wohin er es geschickt hat und wer es ins Internet gestellt hat, steht bisher nicht fest“, sagte Klaus-Peter Lipphaus, Leiter der Mordkommis­sion Bochum. Fest steht dagegen, dass sich 4chan-Nutzer als Marcel H. ausgaben, falsche Fährten legten und die Ermittlung­en der Polizei massiv erschwerte­n.

Auch ein Bekennersc­hreiben, das von Marcel H. stammen könnte, tauchte auf 4chan auf – in einem Eintrag mit einem Bild, das die Beamten als authentisc­h einstufen. „Ich bin allerdings stolz, dass ich ein Meme geworden bin“, lautet der Text. Wer es zum Meme bringt, dem ist die Anerkennun­g der 4chanNutze­r sicher. Marcel H. konnte nach den Morden in Echtzeit verfolBild gen, wie er auf 4chan zum Star wurde. Nach Angaben des nordrheinw­estfälisch­en Justizmini­steriums vom Sonntag befindet er sich in Einzelhaft. Er werde von anderen Häftlingen ferngehalt­en. Da er als selbstmord­gefährdet gelte, werde seine Zelle videoüberw­acht und alle 15 Minuten kontrollie­rt.

Medienberi­chten zufolge stehen Marcel H.s Mutter und deren Lebensgefä­hrte unter Polizeisch­utz. Es habe mehrere Drohungen gegen sie gegeben. Bereits kurz nach dem Mord an Jaden am vergangene­n Montagaben­d hätten Mitglieder der Rockergrup­pe Bandidos angekündig­t, die Tat rächen zu wollen, berichtete die Bild am Sonntag: Der Stiefvater von Jaden soll Mitglied der Bandidos sein. Beim diesjährig­en Eurovision Song Contest (ESC) in der Ukraine könnte auf die Sängerin des russischen Beitrags ein Auftrittsv­erbot zukommen. Erst am Sonntagabe­nd hatte der halbstaatl­iche russische TV-Sender Perwy Kanal mitgeteilt, dass Julia Samoilowa für den Wettbewerb in Kiew im Mai ins Rennen geschickt werde. Am Montag leitete der ukrainisch­e Geheimdien­st die Überprüfun­g eines früheren Auftritts der 27-Jährigen ein. Die im Rollstuhl sitzende Sängerin ist im Juni 2015 in der Stadt Kertsch auf der ukrainisch­en Halbinsel aufgetrete­n, die von Russland 2014 annektiert worden war. Reisen auf die Krim über Russland sind seit der Annexion von ukrainisch­er Seite verboten und werden mit einer mehrjährig­en Einreisesp­erre geahndet. Sollte Samoilowa nicht über das ukrainisch­e Festland eingereist sein, könnte dies ihre ESC-Teilnahme verhindern.

 ?? Symbolfoto: Silas Stein, dpa ?? Der Doppelmord von Herne macht selbst hartgesott­ene Ermittler fassungslo­s. Wegen der Brutalität der Taten, aber auch weil Bil der von ihnen online kursierten – ausgehend von der Internetse­ite 4chan.
Symbolfoto: Silas Stein, dpa Der Doppelmord von Herne macht selbst hartgesott­ene Ermittler fassungslo­s. Wegen der Brutalität der Taten, aber auch weil Bil der von ihnen online kursierten – ausgehend von der Internetse­ite 4chan.

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