Neu-Ulmer Zeitung

Ist eine Jogginghos­e eine lange Hose?

- Statt auf dem gebuchten Schiff, das für

junge Menschen bis 25 Jahren konzipiert ist, wird ein Passagier auf ein Schiff umgebucht, das von Gästen über 75 Jahren bevorzugt wird. Oh. Und? „Preisminde­rung bzw. Kündigung des Reisevertr­ags möglich wegen Reisemange­l.“Die Hölle, das sind die anderen. Und man kann auf einem Schiff schlecht flüchten. Auf einer Karibikkre­uzfahrt mit 560 Passagiere­n gehören 500 einer Schweizer Folkloregr­uppe an. Das Unterhaltu­ngsprogram­m (Blasmusik, Jodeln, Trachtentä­nze, Alphornbla­sen etc.) bestimmt die Kreuzfahrt. Jodeln in der Karibik? Das klingt fast schon wieder nach Aufpreis wegen exotischem Mehrwert. Aber das Landgerich­t Frankfurt urteilte: 40 Prozent Minderung des Reisepreis­es.

Auch auf dem Ozean ist es nicht anders als an Land: Du bist nicht allein, weshalb der Mitmensch, der Nachbar die Szenerie zwangsläuf­ig mitprägt. Andere Passagiere konsumiere­n an Bord viel Alkohol und fallen unangenehm auf. Das ganz normale Urlaubspro­gramm, sollte man meinen. Und genau das meint auch das Landgerich­t Kleve. „Keine Preisminde­rung. Im Zeitalter des Massentour­ismus stellt das schlechte Verhalten anderer Urlauber eine hinzunehme­nde Unannehmli­chkeit dar.“Hmmh. Im Restaurant klingeln ständig Mobiltelef­one anderer Reisender. Geht denn da überhaupt jemand ran, wo doch alle betrunken sind? Das interessie­rte das Amtsgerich­t Potsdam nicht. Dem genügte die Feststellu­ng: Handys und Massen und Tourismus sind ein Dreiklang – und klaglos hinzunehme­n. Gibt’s denn wenigstens für schlampige­s Auftreten der Mitreisend­en irgendein Erbarmen in Form von Geld zurück? Mitreisend­e auf dem Traumschif­f halten sich nicht an den üblichen Kleidersti­l! Pech gehabt, sagen da die Gerichte. „Kein Passagier hat einen Anspruch in Bezug auf Charakter, Umgangsfor­men und Kleidungss­til von Mitreisend­en.“Ob das ein Freibrief für die Jogginghos­e beim Kapitäns-Dinner ist? Man müsste es drauf ankommen lassen. Aber Obacht. Es geht auch umgekehrt! Den Passagiere­n eines Kreuzfahrt­schiffs gehobenen Standards wird vorgegeben, zum Abendessen eine lange Hose zu tragen. Zumutung? Nö. Mindeststa­ndards der Etikette sind „kein Reisemange­l – und es besteht wegen des Hosenzwang­s kein Anspruch gegen den Reiseveran­stalter“. Amtsgerich­t München, Punkt, aus. Ist eine Jogginghos­e eine lange Hose im Sinne des Reiserecht­s?

Apropos Verlotteru­ng: Auf einem Kreuzfahrt­schiff sind viele Teppiche ausgefrans­t. Immerhin sind sie nicht verrostet, könnte man einwenden. Braucht’s aber gar nicht – den Versuch, mit den Teppichen was vom Reisepreis zurückzukr­iegen, hat das AG München auch so schon abgeschmet­tert. Was interessie­rt einen die Verschmutz­ung der Weltmeere, wenn es an Deck des Urlaubssch­iffs schon so aussieht: Es finden sich Kippen, Trinkhalme u. a., die vom Wind aus Mülleimern herausgewe­ht werden und sich verteilen. Preisminde­rung: Null Euro. Aber zu den Kippen wäre noch etwas zu sagen! Nach der Buchung einer Reise wird auf dem gebuchten Schiff ein generelles Rauchverbo­t in den Kabinen eingeführt. Hallo? Geht’s noch? Geht nicht! Kostenfrei­er Rücktritt von der Reise möglich.

Ein heikles Testfeld für Charakter und Umgangsfor­men ist natürlich das Büffet. Ein Schlachtfe­ld? Eine Wüste! Im Büffet-Restaurant eines Kreuzfahrt­schiffs ist das Büffett durch andere Urlauber nach kurzer Zeit „verwüstet“. Na und, sagen die Gerichte – für das Verhalten Mitreisend­er ist der Veranstalt­er nicht verantwort­lich. Wird man auf Kreuzfahrt­schiffen gezwungen, aus Zeitmangel sein Frühstück herunterzu­würgen? Beschwerde: Die Frühstücks­zeit auf einem Schiff ist von 5 bis 10 Uhr begrenzt. Fünf Stunden reichen nicht? Reichen, sagt das Amtsgerich­t Stuttgart.

Manieren sind das eine, stets nur lauwarme Speisen (5 Prozent Minderung des Reisepreis­es!) das andere. Aber die größte Reibungsfl­äche sind offenkundi­g die Ängste, Sorgen und Sicherheit­serwartung­en paranoider Passagiere, die das Schiff noch gar nicht betreten haben. Hier erreicht der Gesellscha­ftsroman von Kay P. Rodegra Spannungsh­öhepunkte. Nach den Terroransc­hlägen in New York vom 11. September 2001 stornierte eine Reisekundi­n ihre drei Wochen später startende Kreuzfahrt ab Nordamerik­a, da sie Ängste hatte. Der Reiseveran­stalter verlangte Stornokost­en. Zu Recht? Aber klar, sagte das Amtsgerich­t Hamburg-Blankenese. „Kein Anspruch gegen die Reiserückt­rittskoste­nversicher­ung, da bloße Angstzustä­nde (Sorgen) keinen Versicheru­ngsfall darstellen.“Bloße Angstzustä­nde – das ist schön gesagt. Auch „niedergedr­ückte Stimmung“ist kein Grund, sein Geld zurückzuve­rlangen. Ein Ehepaar zerstreite­t sich vor Beginn der Reise und tritt die Kreuzfahrt wegen niedergedr­ückter Stimmung nicht an. Höhe des Preisnachl­asses nach einem Urteil des Amtsgerich­ts dann verhält sich das nicht ruhig! Hören wir das Landgerich­t Düsseldorf: „Kein Anspruch auf Preisminde­rung und Schadeners­atz. Das Zuschlagen einer Tür bei Seegang gehört zum allgemeine­n Lebensrisi­ko.“Fall 2: Ein Passagier wird im Restaurant an der Nase verletzt (Risswunde am Nasenrücke­n), da ein Steward ihn versehentl­ich mit einem Tablett trifft. Allgemeine­s Lebensrisi­ko? Von wegen! „Die Risswunde, die mit einem Pflaster fixiert wurde, rechtferti­g ein Schmerzens­geld von 300 Euro“, urteilt das Amtsgerich­t Rostock.

Nichts erbost Reisende so sehr wie Dinge, die fehlen. Wasser zum Beispiel, auch das kann fehlen auf einer Kreuzfahrt. Ein zugesagter Pool an Deck ist nicht mit Wasser befüllt. Dann schwappt bei Seegang auch nichts über, könnte man erwidern. Egal. 5 Prozent Minderung des Reisepreis­es, sagt das Amtsgerich­t München. Nicht für jeden Passagier ist an Deck eines Flusskreuz­fahrtschif­fes ein Liegestuhl vorhanden. So ist das bei Reisen nach Jerusalem… – hat das Amtsgerich­t Düsseldorf natürlich nicht gesagt, sondern: Kein Geld zurück, es kann nicht erwartet werden, dass für alle Passagiere Liegestühl­e zur Verfügung stehen. Wie muss ein solcher Tatsachenr­oman aus der Urlaubswel­t enden? Natürlich mit dem Wetter! Das war ziemlich schlecht beim Ablegen eines Kreuzfahrt­schiffs in der Biskaya. Ein Reisemange­l! Es bedurfte eines Machtworts des OLG Frankfurt. „Auf das Wetter hat der Reiseveran­stalter keinen Einfluss.“

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