Das Saarland prescht vor
Kramp-Karrenbauer will Wahlkampfauftritte von Politikern aus Ankara verbieten. Meinungsbildung in Berlin läuft noch. Erdogan beschimpft Merkel und die Niederlande
Im Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Minister in Deutschland hat erstmals ein Bundesland die Ampel auf Rot gestellt: Das Saarland werde solche Auftritte verbieten, kündigte Ministerpräsidentin Annegret KrampKarrenbauer (CDU) am Dienstag in Saarbrücken an. Man werde dazu alle Möglichkeiten ausschöpfen. Sie berief sich auf das Aufenthaltsgesetz. Dies erlaube, politische Betätigung von Ausländern zu untersagen, wenn das friedliche Zusammenleben gefährdet sei. „Innertürkische Konflikte haben in Deutschland nichts zu suchen. Wahlkampfauftritte, die den inneren Frieden in unserem Land gefährden, gehören verboten“, sagte sie. Im Saarland wird Ende März ein neuer Landtag gewählt.
Hintergrund der Wahlkampfauftritte ist das Verfassungsreferendum in der Türkei am 16. April. Eine neue Verfassung würde die Machtbefugnisse von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan massiv ausweiten. In Deutschland leben gut 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken – die größte Gruppe in der EU. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte vergangene Woche bei seinem Treffen mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel eine Liste mit 32 geplanten Wahlkampfauftritten übergeben. Wie viele davon noch ausstehen, ist unklar.
In ihrem Streit mit europäischen Staaten, darunter auch mit Deutschland, haben türkische Minister ein Recht auf Einreise und freie Meinungsäußerung eingefordert. Dagegen stellte das Bundesverfassungsgericht für Deutschland klar, weder das Grundgesetz noch das Völkerrecht gebe ausländischen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern einen Anspruch, in das Bundesgebiet einzureisen, um amtliche Funktionen auszuüben.
In der jetzigen Situation sei jede Ebene gefordert, den inneren Frieden im Land zu wahren – Bund, Länder wie Kommunen, sagte Kramp-Karrenbauer. Das Saarland werde nicht abwarten, bis der Bund die Fragen grundlegend regele oder gar eine EU-weite einheitliche Vorgehensweise gefunden sei.
Auch die Bundesregierung ist dabei, sich eine Meinung zu bilden. Man werde nicht dulden, dass türkische Politiker Migranten in Deutschland aufwiegeln, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). „Wir sollten nicht die Integrationserfolge der letzten Jahrzehnte gefährden.“
Derweil verschärfte der türkische Präsident ungeachtet aller Appelle zur Deeskalation seine Vorwürfe. Er hielt den Niederlanden „Staatsterrorismus“und eine „neonazistische Gesinnung“vor. Erdogan griff in Ankara auch erneut Bundeskanzlerin Angela Merkel an, die sich im Streit um Auftrittsverbote hinter die Regierung in Den Haag gestellt hatte.
Die Tonlage des türkischen Präsidenten wird immer aggressiver. Dies zeigt sich auch daran, dass er die Kanzlerin öffentlich duzt, was unüblich ist. „Die Länder, die für dieses Banditentum Hollands eintreten, haben all ihr Ansehen verloren“, sagte er. „Da kommt die Kanzlerin Deutschlands und sagt, ich bin auf der Seite Hollands. Wir wissen ohnehin, dass Du Dich von denen nicht unterscheidest. Wir erwarten ohnehin nichts anderes. Die greifen mit ihren Pferden und Kötern an, genauso wie Du mit Deinen Pferden und Kötern angreifst. Zwischen Euch gibt es keinen Unterschied.“Erdogan spielte auf die Polizeieinsätze in den Niederlanden gegen Demonstranten an. Die Kanzlerin hatte zuvor insbesondere Äußerungen Erdogans kritisiert, der niederländische Regierungsmitglieder als „Nazi-Überbleibsel“bezeichnet hatte.
Erdogan sagte am Dienstag weiter: „Wir kennen Holland und die Holländer noch vom Massaker von Srebrenica“im Jahr 1995, sagte er. „Wie verdorben ihre Natur und ihr Charakter ist, wissen wir daher, dass sie dort 8000 Bosniaken ermordet haben.“
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte wies den Vorwurf als „widerliche Geschichtsverfälschung“zurück. Tatsächlich hatten das Massaker in Srebrenica im Juli 1995 bosnisch-serbische Truppen verübt. Niederländische Blauhelm-Soldaten der Vereinten Nationen hatten den Angreifern die Stadt zuvor allerdings kampflos überlassen. Die französische Justiz hat Vorermittlungen im Zusammenhang mit einer US-Reise des damaligen Wirtschaftsministers und jetzigen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron aufgenommen. Das Enthüllungsblatt Le Canard Enchainé hatte vor einer Woche berichtet, der Auftritt des damaligen Ressortchefs in Las Vegas am 6. Januar 2016 habe mit über 380 000 Euro zu Buche geschlagen. Business France, eine vom Wirt- schafts- und Finanzministerium abhängige Einrichtung, habe den Auftrag für die Veranstaltung ohne Ausschreibung an die Werbe- und PR-Agentur Havas vergeben. Die Vorwürfe richten sich laut Justizkreisen gegen Business France und Havas. Von Macron war hingegen nicht explizit die Rede. Der 39-Jährige, der als Unabhängiger antritt, gilt als einer der Favoriten der Wahl in Frankreich. Umfragen geben ihm eine gute Chance, die Rechtspopulistin Marine Le Pen zu schlagen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Ungarn wegen der Inhaftierung und Abschiebung von zwei Bangladeschern nach Serbien verurteilt. Budapest muss den Klägern jeweils 10 000 Euro Entschädigung zahlen, heißt es in dem Urteil. Die Asylbewerber waren im September 2015 über die Balkanroute nach Ungarn gekommen. Im Grenzort Röszke wurden sie 23 Tage lang in einem bewachten Transitzentrum untergebracht, zu dem auch ihr Anwalt keinen Zugang hatte. „Das lief faktisch auf einen Freiheitsentzug hinaus“, heißt es in dem Urteil. Für diese Inhaftierung habe es an einer rechtlichen Grundlage gefehlt.