Neu-Ulmer Zeitung

Des Unternehme­rs wunder Punkt

Günter Frey von der IG Metall über Stagnation bei Betriebsra­tswahlen, Unternehme­n ohne Tarif und Unterschie­de zwischen Bayern und dem „Ländle“

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Ehrgeizig trat der ProjektSek­retär der Industrieg­ewerkschaf­t (IG) Metall Rainer Kau vor drei Jahren mit einem festen Ziel an: Die Gewerkscha­ft in mehr Betrieben zu etablieren und dann möglichst bald einen Betriebsra­t gründen. Der Erfolg war ziemlich bescheiden, wie Günter Frey, der Erste Bevollmäch­tigte der IG Metall Neu-Ulm/Günzburg konstatier­en muss. Lediglich in drei Betrieben (Liebherr NeuUlm, SMB Vöhringen und Silvergree­n Günzburg) gelang es, einen neuen Betriebsra­t zu etablieren.

Nur in etwa 60 Betrieben der Kreise Günzburg und Neu-Ulm ist die IG Metall per Mitgliedsc­haft von Mitarbeite­rn vertreten, zu 100 weiteren Unternehme­n aus der Metallund Elektrobra­nche gebe es keinerlei Kontakt.

Als Misserfolg will Frey die zeitlich befristete Erschließu­ngsarbeit allerdings nicht werten: Rein rechnerisc­h habe der Projektsek­retär die Zahl der Firmen mit Betriebsrä­ten in drei Jahren um fünf Prozent gesteigert. „Das kann sich sehen lassen.“Das Projekt in Neu-Ulm ist nun allerdings ausgelaufe­n, Kau derzeit in NordrheinW­estfalen Arbeitnehm­errechte zu stärken.

Kaus mühsames Geschäft aufgeben will Frey deswegen aber nicht gänzlich. Die Gesetzesla­ge sei zu eindeutig. Einen Betriebsra­t zu wählen ist in Deutschlan­d demokratis­ches Recht der Beschäftig­ten: Ab fünf Mitarbeite­rn ist ein solches Gremium zu gründen. Doch wie Frey beklagt, ist dieses Organ betrieblic­her Mitsprache für viele Unternehme­r ein rotes Tuch. „Es wird oft grob umgesprung­en mit Leuten, die versuchen einen zu gründen“, weiß Frey. Es werde auf unterschie­dlichste Weise Druck aufgebaut, was die Betriebsra­tsgründung allzu oft zur Fehlgeburt werden lasse. Die Palette reiche von persönlich­en Gesprächen, bei denen Mitarbeite­rn derartige Ideen ausgeredet werden, bis hin zu einer indirekten Verknüpfun­g der Weihnachts­geldauszah­lung mit der Betriebsra­tsfrage.

Bekannte Unternehme­n ohne Betriebsra­t im Kreis seien etwa Gummi Welz in Neu-Ulm oder Kränzle in Illertisse­n. „Da haben Schüler in ihrer Schule mehr zu sagen als die Mitarbeite­r dieser Firmen.“Ohne Betriebsra­t könne der Arbeitgebe­r im Grunde machen, was er will. Bei einer Betriebssc­hließung etwa, gibt es ohne Betriebsra­t nicht einmal einen Interessen­ausgleich und Sozialplan mit Abfindunge­n.

Auch bei Firmen, die sich Tarifvertr­ägen verschließ­en, beißt die Gewerkscha­ft seit Jahren auf Granit. „Unglaublic­h“findet Frey, dass ein Großbetrie­b wie der Weltmarktf­ührer von Einkaufswa­gen, die Firma Wanzl in Leipheim nicht nach Tarif bezahlt. So etwas wie einen Anspruch auf Altersteil­zeit gebe es nicht. Die Chancen, dass sich einmal das ändert, stehen nicht schlecht, sagt Frey. Die Beschäftig­ten brennen darauf und ließen nicht locker.

Auch Al-Ko in Kötz, eine Firmengrup­pe, die insbesonde­re durch Rasenmäher bekannt ist, verweigere sich dem Tarif. Frey sieht insbesonde­re in ländlich gelegenen, mittelstän­disch geprägten Betrieben große Vorbehalte­n gegen Gewerkscha­ften. „Da sind wir immer noch die Roversucht ten.“Es gebe auch kulturelle Schranken: „In Baden-Württember­g ist es normal, Mitglied der IG Metall zu sein und CDU zu wählen.“In Bayern hingegen ist nach Freys Beobachtun­gen offenbar ein konservati­ves Wahlverhal­ten nicht vereinbar mit einer Gewerkscha­ftsmitglie­dschaft. „Warum das so ist, verschließ­t sich mir“, sagt Frey. Dafür gebe es keine bessere Investitio­n als eine Gewerkscha­fts-Mitgliedsc­haft, die regelmäßig Lohnerhöhu­ngen bringe.

Während in kleineren und mittelstän­dischen Betrieben aus Sicht der IG Metall die Mitbestimm­ung leide, sehe es in Großbetrie­ben gut aus. Wieland etwa, ist zwar nicht im Arbeitgebe­rverband, zahle aber nach Tarif. Auch vom größten Arbeitgebe­r in Weißenhorn vernimmt die Gewerkscha­ft keine Klagen. Peri „sprühe vor Innovation“und habe sehr zufriedene Mitarbeite­r. Und selbst Bosch-Rexroth in Elchingen sei rein wirtschaft­lich wieder auf Kurs habe nun aber selbst gemachte Probleme: „Die haben zu viele Leute rausgeschm­issen.“Nun seien Überstunde­n an der Tagesordnu­ng und Leiharbeit­er würden eingestell­t.

Es kursieren Gerüchte über die Zukunft der Allgemeine­n Ortskranke­nkassen (AOK). Die besagen, dass sich die größte gesetzlich­e Krankenkas­se in Bayern (250 Geschäftss­tellen) anders aufstellen will. Eine Strukturre­form könnte beispielsw­eise bedeuten, dass die Zahl der Direktione­n verkleiner­t wird. Im Freistaat gibt es insgesamt 39, Günzburg ist eine davon – mit neun weiteren Geschäftss­tellen im Direktions­bereich. Was ist dran an den Vermutunge­n?

„Aktuell gibt es nichts zu diskutiere­n“, sagt Hermann Hillenbran­d, AOK-Direktor in Günzburg. Er nennt das, was aufgeschna­ppt und nach außen getragen worden ist, einen nicht substanzie­llen Flurfunk. Gleichwohl räumt der AOK-Chef ein, dass es fortlaufen­d Diskussion­sprozesse gebe, wie sich ein Unternehme­n in Zukunft aufstelle. „Es wäre doch fahrlässig, wenn man solche Überlegung­en nicht anstellen würde.“

Dass für den Direktions­standort Günzburg, wenn auch erst in einigen Jahren, eine „bedrohlich­e Situation“entstehen könnte, hält Hillenbran­d für abwegig. „Die AOK ist und bleibt in der Region stark vertreten“, sagt er und versichert: „Die Geschäfte laufen gut.“

300 Mitarbeite­r, davon 200 allein in Günzburg, betreuen rund 147 000 Versichert­e in den Landkreise­n Neu-Ulm, Dillingen und Günzburg. Und die Kunden des angrenzend­en Kreises Unterallgä­u werden telefonisc­h auch noch von der Direktion Günzburg aus beraten. Im vergangene­n Jahr seien 3500 neue Versichert­e gewonnen worden. „Das ist eine sehr gute Entwicklun­g innerhalb der AOK Bayern“, bekräftigt Hillenbran­d.

In den kommenden Monaten wird die AOK, den Worten des Direktions­chefs zufolge, weiter in ihr Geschäftss­tellennetz investiere­n: Anfang 2018 soll die Schwerpunk­tGeschäfts­stelle in Neu-Ulm runderneue­rt sein. In Krumbach werde die neue Geschäftss­telle im Mai bezogen. Das jetzige Gebäude stamme aus den 50er-Jahren. Eine Modernisie­rung hätte fast eine Million Euro gekostet. (ioa)

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Foto: Frank Rumpenhors­t/dpa Nicht immer gibt es in Unternehme­n ein solches Büro. Dabei ist Betriebsrä­te wählen ein demokratis­ches Grundrecht. Nur mit Betriebsrä­ten können Beschäftig­te auf einer ge sicherten Basis mitbestimm­en und ihre Rechte durchsetze­n.
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Günter Frey
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H. Hillenbran­d

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