Leitartikel
Ein neues Gesicht an der Spitze genügte, um der verzagten Volkspartei neues Leben einzuhauchen. Wie weit trägt die Welle der Begeisterung?
Der SPD ist das erstaunlichste politische Comeback der jüngeren deutschen Geschichte gelungen. Die alte, in Resignation versunkene Volkspartei, die bereits wie die sichere Verliererin der Bundestagswahl im Herbst aussah, ist wie einst Lazarus von den Toten auferstanden und liegt in den Umfragen plötzlich gleichauf mit der CDU/CSU. Was eben noch völlig unwahrscheinlich schien, ist nun im Bereich des Möglichen: eine Niederlage Angela Merkels, ein Machtwechsel im Kanzleramt.
Martin Schulz ist binnen sechs Wochen gelungen, woran tüchtige Sozialdemokraten wie Gabriel, Steinmeier und Steinbrück ein Jahrzehnt lang gescheitert sind. Der aus dem Raumschiff Brüssel eingeflogene Kanzlerkandidat hat den scheinbar uneinholbaren Vorsprung der Union im Handumdrehen wettgemacht und der SPD eine realistische Machtoption eröffnet. Was wunder, dass die Partei ihm zu Füßen liegt und begeistert feiert, was die Männerfreunde Schulz und Gabriel unter sich ausgekartet haben: Die ganze Macht für Schulz – und den Außenministerposten für Gabriel, der geräuschlos Platz macht und zum Dank dafür auf eine Fortsetzung seiner Karriere über 2017 hinaus hoffen darf.
Die im Rekordtempo geglückte Wiederbelebung einer verzagten Partei mag wundersam erscheinen – ein unerklärbares „Wunder“ist es nicht. Die SPD war ja nie weg vom Fenster. Sie hat ihre Position in den Ländern behauptet und ihre Handschrift in die Große Koalition eingebracht. Ihr Wählerpotenzial im Bund lag und liegt konstant bei 30 Prozent plus. Die Voraussagen über den unaufhaltsamen Niedergang der SPD waren Unfug. Die SPD ist einfach wiederholt unter Wert geschlagen worden, weil sie mit sich selbst beschäftigt war und niemanden zur Hand hatte, der Angela Merkel Paroli bieten konnte. Es bedurfte eines Kicks von außen, um die Erstarrung zu lösen und der Partei neuen Mut einzuflößen.
Martin Schulz hat diesen Anstoß geliefert. Der Mann hat die Gabe, Menschen unmittelbar anzusprechen. Seine Erzählung von einem Land, in dem es endlich gerechter zugehen müsse, findet Gehör. Er wirkt, wie es so schön heißt, „authentisch“– obwohl er zu jenen Eliten zählt, die er sich nun im Stile eines Populisten gerne zur Brust nimmt. Er holt zur Linken und zu den Grünen abgewanderte Wähler zurück. Schulz ist ein Mann, der Angela Merkel gefährlich werden kann. Weil er nach zwölf MerkelJahren etwas „Neues“verkörpert, gekonnt mit den Abstiegsängsten in der Mitte der Gesellschaft spielt und – das Geheimnis jeden Wahlerfolgs – sowohl die eigene Partei als auch Wähler mobilisiert. Wie weit der momentane Schulz-Hype trägt, wird sich demnächst bei drei Landtagswahlen erweisen. Noch ist ja keine gegen Merkel gerichtete, verfestigte Wechselstimmung spürbar. Noch hat Schulz leichtes Spiel mit einer Union, die im Schockzustand nach einer Gegenstrategie sucht. Noch hat es die Kanzlerin, die als Garantin von Sicherheit und Stabilität in unsicheren Zeiten gilt, in der Hand, den Aufstieg von Schulz zu bremsen.
Man weiß inzwischen, dass Schulz einen Teil der bahnbrechenden Schröder’schen Reformen rückabwickeln und noch mehr Geld für soziale Transferleistungen lockermachen will. Der Aufbruch, den er verheißt, wirkt seltsam rückwärtsgewandt. Antworten auf andere, noch drängendere Fragen stehen aus. Wie hält es Schulz mit der Sicherheits-, Einwanderungs- oder Euro-Politik? Was genau verbirgt sich hinter der populären Formel von „mehr sozialer Gerechtigkeit“? Und ist Schulz, wofür vieles spricht, tatsächlich auf eine rotrot-grüne Regierung aus? Schulz hat einen tollen Lauf – am Ziel ist er noch lange nicht. Zum Leitartikel „Höchste Zeit, um Erdo gan in die Schranken zu weisen“von Walter Roller vom 15. März: Eigentlich kann man die Attacken dieses Menschen, dem jeglicher Anstand fremd zu sein scheint, auf Deutschland und die Niederlande nicht ernsthaft kommentieren. Jedoch ist es mir als demokratisch denkender, freiheitsliebender und die Menschenrechte achtender Bürger dieses Landes nicht einfach möglich, die respektlosen Hasstiraden dieses Osmanen zu ignorieren. Wer diesem selbstverliebten und machtbesessenen Autokraten die Stirn bietet, ist Faschist, Terrorist oder ein Nazi. Von so einem Menschen müssen wir uns als Europäer nicht beleidigen lassen. Stehen wir Demokraten solidarisch zusammen und erklären diesen „Hirten“mit der gesamten Riege zu unerwünschten Personen.
Augsburg Ebenfalls dazu: Dramaturgie – um nicht zu sagen: Demagogie – kann Erdogan gut, die Nazis konnten das auch schon ... Dennoch: Da Europa der Aufklärung und der Demokraten frei und tolerant ist, sollte er hier reden können, allerdings mit der Auflage, D. Yücel mitzubringen und andere inhaftierte Journalisten frei zu lassen. Meinungsfreiheit, die er hier fordert, soll auch für ihn dort gelten. Dann sollte Europa ihm sagen, dass sein autokratischer Cäsarismus eines Kalifats, Sultanats oder Absolutismus hier bereits erledigt ist. Ein Reich, ein Glaube, ein Herrscher – vorbei.
Seinen Anhängern sei ein Besuch des Augsburger Rathauses angeraten: Im Geist der Renaissance werden die Deckengemälde des Goldenen Saales von der Göttin Sapientia – Weisheit – „durch mich regieren die Herrscher“bestimmt. Die Wandfresken zeigen verschiedene Kaiser, und bei Theodosius Magnus steht (lateinisch, übersetzt): „dem Zornigen entreiße die Waffe“. Ob es hilft? Aber das sind unsere Werte und Tugenden, von denen man noch mehr im Goldenen Saal sehen kann. Augsburg Zu „Hier spricht der Papst“(Politik) vom 10. März: Die Deutsche Bischofskonferenz hat auf ihrer Frühjahrstagung u.a. über den Zölibat beraten. Herausgekommen ist: nichts.
Der Vorsitzende soll sinngemäß gesagt haben, eine Änderung müsse, wenn schon, dann für die ganze Weltkirche gelten, eine Willensbildung sei jedoch nicht erkennbar. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Warum versteckt sich eine nicht unbedeutende Bischofskonferenz wieder einmal hinter der Weltkirche?
Und die Willensbildung? Müsste sie nicht endlich von den Bischöfen selbst ausgehen? Der Zölibat ist weder heilig wie von Ratzinger insinuiert, er ist auch nicht von Gott oder von Jesus gewollt. Petrus war verheiratet, auch gilt er nicht seit 2000 Jahren, sondern auf dem Papier allenfalls seit 1000 Jahren. Nur in der Papstkirche.
Von diesen Bischöfen wird keine Erneuerung ausgehen, sie werden keine Änderung anstoßen. Was fehlt, ist eine nüchterne Bestandsaufnahme: Was denken die Priester über den Zölibat? Wie viele Priester leben weltweit in eheähnlichen Bindungen? Wie viele von ihnen wurden ihres Dienstes enthoben? Wie geht es den betroffenen Frauen? Wie viele Priesterkinder sind aus diesen Beziehungen hervorgegangen? Wie geht es ihnen, die sie ihren leiblichen Vater vor der Öffentlichkeit verstecken müssen?
Penzberg