Gewalt gegen Polizisten wächst
Im vergangenen Jahr verzeichnete das Ulmer Präsidium 74 Angriffe auf Beamte. Zur Abschreckung und zum Sichern von Beweisen sollen bald Mini-Kameras eingesetzt werden
Der Respekt nimmt ab, die Zahl der Übergriffe wächst: 74 Fälle von Widerstand gegen Polizeibeamte verzeichnete das Polizeipräsidium Ulm im vergangenen Jahr, drei mehr als im Vorjahr. „Das heißt, dass öfter als einmal pro Woche eine Polizistin oder ein Polizist bei der Ausübung ihres Dienstes angegriffen werden“, sagte der Ulmer Polizeichef Christian Nill bei der Vorstellung der Kriminalstatistik für 2016. „Das werden wir nicht akzeptieren.“
Die Polizisten hätten es zunehmend mit Aggressionen zu tun. Beleidigungen gehörten mittlerweile ohnehin zum Alltag. „Ich seh’s nicht mehr ein, dass meine Mitarbeiter sich anfeinden, beleidigen und angreifen lassen müssen“, sagte Nill. Und er glaubt, dass die große Mehrheit der Bevölkerung hinter der Polizei steht. Doch die Gewalt gegen Polizeibeamte geht einher mit einer wachsenden Aggressivität insgesamt. So ist die Zahl der Rohheitsdelikte um 295 auf 5601 Fälle angestiegen, ein Plus von sechs Prozent. Darunter fallen beispielsweise Körperverletzungen, Raubstraftaten oder Bedrohungen. „Ich sehe diese Entwicklung mit einer gewissen Sorge“, sagte Christian Nill. „Die Fähigkeit, zu kommunizieren, geht zunehmend verloren“, glaubt der Polizeipräsident. So finde Gewalt als Mittel in bestimmten Kreisen zunehmend Akzeptanz. Neben den Attacken auf Polizisten kommt noch dazu, dass die Beamten häufig bei brenzligen Einsätzen gefilmt und diese Bilder ins Internet gestellt werden. „Sobald zwei Polizisten aussteigen, stehen drei Leute mit dem Smartphone da und filmen“, so Nill. Er begrüßt deshalb, dass derzeit in Baden-Württemberg ein Pilotversuch mit sogenannten Bodycams läuft, „damit wir wenigstens so etwas wie Waffengleichheit bekommen“. Dabei handelt es sich um Mini-Kameras, die auf der Schulter oder an der Weste getragen werden. Wenn ein Polizist aggressiv angegangen wird oder ein Angriff droht, wird die Kamera eingeschaltet und nimmt das Geschehen auf. Die Landesregierung erhofft sich davon zum einen eine abschreckende Wirkung. Zum anderen können die Aufzeichnungen zur Beweissicherung verwendet werden. Nill glaubt, dass die Kameras auch bald in Ulm eingesetzt werden: „Ich denke, dass wir noch in diesem Jahr, spätestens 2018 Bodycams bekommen werden“, sagte er.
Insgesamt ist die Zahl der registrierten Straftaten im Bereich des Polizeipräsidiums Ulm voriges Jahr deutlich zurückgegangen: um 2517 oder sechs Prozent auf nun 38 415. Das liegt vor allem an einem Rück-
gang der Vermögens- und Fälschungsdelikte. Ihre Zahl sank um fast 3000 oder 29 Prozent. Die Erklärung: Im Jahr 2015 hatte eine Serie von 1822 Fällen, bei denen Betrüger reihenweise Opfer über Ebay geschädigt hatten, die Fallzahlen nach oben schnellen lassen. Voriges Jahr haben sich die Zahlen wieder normalisiert. Einen Rückgang gab es auch bei der Zahl der Diebstähle – um drei Prozent auf 13861 Straftaten. Der Gesamtschaden, der dabei entstand, ist dennoch enorm: etwa 18 Millionen Euro. Die Zahl der Sexualdelikte stieg um 16 Prozent auf 54 Fälle. Vor allem exhibitionistische Handlungen und das Verbreiten von pornografischen Schriften trugen dazu bei.
Erfreulich ist nach Einschätzung der Ulmer Polizei die Entwicklung der Zahl der tatverdächtigen jungen Menschen. Deren Anteil betrug voriges Jahr 23 Prozent – vor zehn Jahren waren es noch 32 Prozent.
Der Anteil der tatverdächtigen Ausländer sank erstmals seit 2008 wieder. Er lag bei 37,3 Prozent, ein halbes Prozent weniger als im Jahr davor. Asylbewerber und Flüchtlinge waren in 11,8 Prozent der Fälle tatverdächtig. Ihr Anteil nahm leicht zu. Wobei in der Statistik der
Ulmer Polizei nur diejenigen Flüchtlinge auftauchen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben. Neben Verstößen gegen das Asylverfahrensgesetz sind Ladendiebstähle
(429 Verdächtige), Körperverletzungen (473) und Schwarzfahren (418) die häufigsten Delikte, die von Flüchtlingen und Asylbewerbern begangen wurden.
Die erbitterte Feindschaft zwischen den rockerähnlichen Gruppierungen Black Jackets in Heidenheim und den United Tribunes in Ulm endete für einen 29-Jährigen tödlich. Der Vizepräsident der Ulmer Gang wurde im April vorigen Jahres in Heidenheim auf offener Straße erschossen. Der Täter, ein 26-jähriger Anführer der Black Jackets, wurde kürzlich am Landgericht Ellwangen wegen Totschlags zu 13 Jahren Haft verurteilt. Doch damit ist in der Szene keineswegs Ruhe eingekehrt. „Es ist nach wie vor der schwelende Konflikt vorhanden“, sagte Joachim Hardegger von der Ulmer Polizei bei der Vorstellung der Kriminalstatistik. „Wir beobachten die Szene aufgrund der Ereignisse in Ulm und Heidenheim sehr genau.“
Im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Ulm gibt es etwa 30 Chapter, also regionale Ableger von verschiedenen Rockergangs und rockerähnlichen Gruppierungen. Während frühere Feindschaften offenbar ruhen, stehen sich Black Jackets und United Tribunes nach wie vor unversöhnlich gegenüber. „Da geht’s um Geld, um Macht, um die Tür“, sagte Polizeipräsident Christian Nill. Vor allem in Heidenheim sei die Lage brisant. Der Kampf um die Vorherrschaft im Rotlichtmilieu wird mit harten Bandagen geführt. Laut Hardegger geht die Polizei „mit einem sehr robusten Einsatz“gegen die Gangs vor. Es gebe regelmäßig Gefährderansprachen. Die Polizei setze Spezialeinheiten ein. Vieles laufe im verdeckten Bereich ab, sagte Christian Nill. Eine Beeinträchtigung des Sicherheitsempfindens der Bürger – etwa durch Machtdemonstrationen der Gruppen in der Öffentlichkeit – dürfe die Polizei nicht zulassen. (mru)