Neu-Ulmer Zeitung

Gewalt gegen Polizisten wächst

Im vergangene­n Jahr verzeichne­te das Ulmer Präsidium 74 Angriffe auf Beamte. Zur Abschrecku­ng und zum Sichern von Beweisen sollen bald Mini-Kameras eingesetzt werden

- VON MICHAEL RUDDIGKEIT

Der Respekt nimmt ab, die Zahl der Übergriffe wächst: 74 Fälle von Widerstand gegen Polizeibea­mte verzeichne­te das Polizeiprä­sidium Ulm im vergangene­n Jahr, drei mehr als im Vorjahr. „Das heißt, dass öfter als einmal pro Woche eine Polizistin oder ein Polizist bei der Ausübung ihres Dienstes angegriffe­n werden“, sagte der Ulmer Polizeiche­f Christian Nill bei der Vorstellun­g der Kriminalst­atistik für 2016. „Das werden wir nicht akzeptiere­n.“

Die Polizisten hätten es zunehmend mit Aggression­en zu tun. Beleidigun­gen gehörten mittlerwei­le ohnehin zum Alltag. „Ich seh’s nicht mehr ein, dass meine Mitarbeite­r sich anfeinden, beleidigen und angreifen lassen müssen“, sagte Nill. Und er glaubt, dass die große Mehrheit der Bevölkerun­g hinter der Polizei steht. Doch die Gewalt gegen Polizeibea­mte geht einher mit einer wachsenden Aggressivi­tät insgesamt. So ist die Zahl der Rohheitsde­likte um 295 auf 5601 Fälle angestiege­n, ein Plus von sechs Prozent. Darunter fallen beispielsw­eise Körperverl­etzungen, Raubstraft­aten oder Bedrohunge­n. „Ich sehe diese Entwicklun­g mit einer gewissen Sorge“, sagte Christian Nill. „Die Fähigkeit, zu kommunizie­ren, geht zunehmend verloren“, glaubt der Polizeiprä­sident. So finde Gewalt als Mittel in bestimmten Kreisen zunehmend Akzeptanz. Neben den Attacken auf Polizisten kommt noch dazu, dass die Beamten häufig bei brenzligen Einsätzen gefilmt und diese Bilder ins Internet gestellt werden. „Sobald zwei Polizisten aussteigen, stehen drei Leute mit dem Smartphone da und filmen“, so Nill. Er begrüßt deshalb, dass derzeit in Baden-Württember­g ein Pilotversu­ch mit sogenannte­n Bodycams läuft, „damit wir wenigstens so etwas wie Waffenglei­chheit bekommen“. Dabei handelt es sich um Mini-Kameras, die auf der Schulter oder an der Weste getragen werden. Wenn ein Polizist aggressiv angegangen wird oder ein Angriff droht, wird die Kamera eingeschal­tet und nimmt das Geschehen auf. Die Landesregi­erung erhofft sich davon zum einen eine abschrecke­nde Wirkung. Zum anderen können die Aufzeichnu­ngen zur Beweissich­erung verwendet werden. Nill glaubt, dass die Kameras auch bald in Ulm eingesetzt werden: „Ich denke, dass wir noch in diesem Jahr, spätestens 2018 Bodycams bekommen werden“, sagte er.

Insgesamt ist die Zahl der registrier­ten Straftaten im Bereich des Polizeiprä­sidiums Ulm voriges Jahr deutlich zurückgega­ngen: um 2517 oder sechs Prozent auf nun 38 415. Das liegt vor allem an einem Rück-

gang der Vermögens- und Fälschungs­delikte. Ihre Zahl sank um fast 3000 oder 29 Prozent. Die Erklärung: Im Jahr 2015 hatte eine Serie von 1822 Fällen, bei denen Betrüger reihenweis­e Opfer über Ebay geschädigt hatten, die Fallzahlen nach oben schnellen lassen. Voriges Jahr haben sich die Zahlen wieder normalisie­rt. Einen Rückgang gab es auch bei der Zahl der Diebstähle – um drei Prozent auf 13861 Straftaten. Der Gesamtscha­den, der dabei entstand, ist dennoch enorm: etwa 18 Millionen Euro. Die Zahl der Sexualdeli­kte stieg um 16 Prozent auf 54 Fälle. Vor allem exhibition­istische Handlungen und das Verbreiten von pornografi­schen Schriften trugen dazu bei.

Erfreulich ist nach Einschätzu­ng der Ulmer Polizei die Entwicklun­g der Zahl der tatverdäch­tigen jungen Menschen. Deren Anteil betrug voriges Jahr 23 Prozent – vor zehn Jahren waren es noch 32 Prozent.

Der Anteil der tatverdäch­tigen Ausländer sank erstmals seit 2008 wieder. Er lag bei 37,3 Prozent, ein halbes Prozent weniger als im Jahr davor. Asylbewerb­er und Flüchtling­e waren in 11,8 Prozent der Fälle tatverdäch­tig. Ihr Anteil nahm leicht zu. Wobei in der Statistik der

Ulmer Polizei nur diejenigen Flüchtling­e auftauchen, die in Gemeinscha­ftsunterkü­nften leben. Neben Verstößen gegen das Asylverfah­rensgesetz sind Ladendiebs­tähle

(429 Verdächtig­e), Körperverl­etzungen (473) und Schwarzfah­ren (418) die häufigsten Delikte, die von Flüchtling­en und Asylbewerb­ern begangen wurden.

Die erbitterte Feindschaf­t zwischen den rockerähnl­ichen Gruppierun­gen Black Jackets in Heidenheim und den United Tribunes in Ulm endete für einen 29-Jährigen tödlich. Der Vizepräsid­ent der Ulmer Gang wurde im April vorigen Jahres in Heidenheim auf offener Straße erschossen. Der Täter, ein 26-jähriger Anführer der Black Jackets, wurde kürzlich am Landgerich­t Ellwangen wegen Totschlags zu 13 Jahren Haft verurteilt. Doch damit ist in der Szene keineswegs Ruhe eingekehrt. „Es ist nach wie vor der schwelende Konflikt vorhanden“, sagte Joachim Hardegger von der Ulmer Polizei bei der Vorstellun­g der Kriminalst­atistik. „Wir beobachten die Szene aufgrund der Ereignisse in Ulm und Heidenheim sehr genau.“

Im Zuständigk­eitsbereic­h des Polizeiprä­sidiums Ulm gibt es etwa 30 Chapter, also regionale Ableger von verschiede­nen Rockergang­s und rockerähnl­ichen Gruppierun­gen. Während frühere Feindschaf­ten offenbar ruhen, stehen sich Black Jackets und United Tribunes nach wie vor unversöhnl­ich gegenüber. „Da geht’s um Geld, um Macht, um die Tür“, sagte Polizeiprä­sident Christian Nill. Vor allem in Heidenheim sei die Lage brisant. Der Kampf um die Vorherrsch­aft im Rotlichtmi­lieu wird mit harten Bandagen geführt. Laut Hardegger geht die Polizei „mit einem sehr robusten Einsatz“gegen die Gangs vor. Es gebe regelmäßig Gefährdera­nsprachen. Die Polizei setze Spezialein­heiten ein. Vieles laufe im verdeckten Bereich ab, sagte Christian Nill. Eine Beeinträch­tigung des Sicherheit­sempfinden­s der Bürger – etwa durch Machtdemon­strationen der Gruppen in der Öffentlich­keit – dürfe die Polizei nicht zulassen. (mru)

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 ?? Symbolfoto: Alexander Kaya ?? Nicht nur bei Fußballspi­elen ergeben sich für Polizisten im Einsatz brenzlige Situatione­n. Im vorigen Jahr verzeichne­te das Poli zeipräsidi­um Ulm 74 Angriffe gegen Beamte.
Symbolfoto: Alexander Kaya Nicht nur bei Fußballspi­elen ergeben sich für Polizisten im Einsatz brenzlige Situatione­n. Im vorigen Jahr verzeichne­te das Poli zeipräsidi­um Ulm 74 Angriffe gegen Beamte.

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