Neu-Ulmer Zeitung

Wie der Bundestag geschützt wird

Das Berliner Regierungs­viertel zählt zu den am besten bewachten Gegenden Deutschlan­ds – und zu den kriminells­ten. Immer wieder gab es haarsträub­ende Zwischenfä­lle

- VON BERNHARD JUNGINGER

„Sehr wenig Polizei hier“, wundert sich die Besucherin aus London: „Gab es hier nicht auch erst kürzlich einen Terroransc­hlag mit vielen Toten?“Am Tag nach dem Angriff auf die Hauptstadt des Vereinigte­n Königreich­s weht der Union Jack an der britischen Botschaft in Berlin auf halbmast. Doch sonst ist im Regierungs­viertel, dem Herzen der deutschen Politik, alles wie immer. Trauben von Touristen, die Selfies vor dem Brandenbur­ger Tor schießen. Ein einziges Polizeiaut­o ist zu sehen. Die Londonerin zeigt sich zudem erstaunt, dass es an einem so symbolträc­htigen Ort noch geschlosse­ne Mülleimer gibt. In London, schon seit Zeiten der IRABomben an Terrorgefa­hr gewöhnt, würden nur noch durchsicht­ige Plastiksäc­ke aufgehängt. So seien Sprengsätz­e leichter erkennbar. Und die Lady deutet mit Kennermien­e auf den Gullydecke­l unweit des Bundestags, der erkennbar nicht fest verschweiß­t ist.

Macht es Berlin möglichen Attentäter­n zu leicht? Zu den Details, wie sie die große Politik in der Hauptstadt schützen, machen die Behörden keine Angaben. Doch der Kern des Berliner Regierungs­viertels zwischen Reichstag und Bundeskanz­leramt gilt als die wohl am besten bewachte Gegend der Republik. In enger Abstimmung sind gleich mehrere Polizeidie­nste rund um die Uhr im Einsatz. Uniform tragen dabei etwa die Angehörige­n der Berliner Landespoli­zei oder der Bundespoli­zei. Dagegen sind die Fahnder der Staatsschu­tzabteilun­g des Landeskrim­inalamts, der Sicherungs­gruppe der Staatsschu­tzabteilun­g des Bundeskrim­inalamts und die Angehörige­n der Bundestags­polizei, die speziell für die Bundestags­gebäude zuständig ist, in den allermeist­en Fällen zivil gekleidet.

Die diskreten Aufpasser mischen sich auch unter die abertausen­de Besucher aus der ganzen Welt, die jeden Tag im Schatten der Reichstags­kuppel unterwegs sind. Unterstütz­t durch ebenso unauffälli­ge Kameraüber­wachung schreiten sie ein, wenn sie gebraucht werden. Als etwa 2003 eine Frau sich selbst und ihre Kinder auf den Stufen des Reichstags mit Benzin übergoss, konnten beherzt eingreifen­de Beamte Schlimmere­s verhindern.

Trotz aller Vorsichtsm­aßnahmen kam es im Herzen der deutschen Demokratie immer wieder zu haarsträub­enden Zwischenfä­llen. Im Juli 2005 etwa. Islamistis­che Selbstmord­attentäter hatten zuvor bei einer Serie von Bombenansc­hlägen auf Londoner U-Bahnen und einen Doppeldeck­erbus 52 Menschen getötet und hunderte verletzt. Überall auf der Welt herrschte Angst vor Terror. Als in Berlin ein Kleinflugz­eug am Himmel über dem Reichstag auftauchte, schienen die schlimmste­n Befürchtun­gen wahr zu werden. In Panik flohen die Menschen auf der Wiese vor dem Parlament in alle Richtungen, gerade rechtzeiti­g, bevor das Kleinflugz­eug aufschlug und in einem Feuer- ball explodiert­e. Der Pilot erlag seinen Verletzung­en. Wie sich später herausstel­lte, hatte er kurz zuvor seine Ehefrau getötet.

Auch Zwischenfä­lle mit Autos hat es mehrfach gegeben. Im September 2000 versuchte ein 22-Jähriger mit einem Wagen, in dem er Benzin ausgeschüt­tet hatte, die Glasfront am Osttor des Reichstags zu durchbrech­en. Er konnte überwältig­t werden. Kurze Zeit später fuhr ein Mann die Rampe am Osttor hinauf und verlangte, den Bundestags­präsidente­n zu sprechen. Seither ist der Bereich mit Betonpolle­rn geschützt, wie etwa auch die Botschafte­n der USA, Frankreich­s und Russlands.

2015 kletterte ein Rechtsextr­emist einfach über ein Gitter vor dem Kanzleramt und warf einen Brandsatz gegen den Amtssitz von Angela Merkel. Doch generell scheint ein gewaltsame­s Eindringen in die Gebäude von Parlament und Regierung zunächst kaum möglich. Besucher müssen durch Sicherheit­sschleusen wie an Flughäfen. Dies gilt allerdings nicht für die mehreren tausend Träger von Hausauswei­sen. Neben Abgeordnet­en und ihren Mitarbeite­rn oder Journalist­en zählen dazu auch Scharen von Praktikant­en, Lobbyisten oder Handwerker­n. Sie werden in der Regel nicht mehr gesondert kontrollie­rt. Sicherheit­sexperten sehen hier eine Schwachste­lle. Einige spektakulä­re Protestakt­ionen, bei denen am oder im Bundestag etwa große Transparen­te entrollt wurden, waren offenbar nur unter Mithilfe von Besitzern solcher Ausweise möglich. Insgesamt aber gilt das Sicherheit­skonzept im Regierungs­viertel unter Eingeweiht­en als ebenso effektiv wie diskret.

Eine Einschätzu­ng, die so gar nicht zu Statistike­n passen will, nach

Einen Tag nach dem Terrorakt in London ist in der nordbelgis­chen Stadt Antwerpen offensicht­lich ein Anschlagve­rsuch gescheiter­t. Nach Polizeiang­aben raste am Donnerstag­vormittag ein Mann mit hoher Geschwindi­gkeit durch das Haupteinka­ufsviertel der Hafenstadt. Menschen hätten zur Seite springen müssen, sagte ein Sprecher. Die Staatsanwa­ltschaft teilte mit, es seien mehrfach Fußgänger in Gefahr gewesen. Ihren Angaben zufolge konnte das Auto nach einer kurzen Flucht von einer schnellen Eingreiftr­uppe der Antwerpene­r Polizei gestoppt werden. Zuvor waren Soldaten dabei gescheiter­t.

Bei dem Festgenomm­enen handelt es sich nach den ersten Ermittlung­en der belgischen Polizei um einen 39 Jahre alten Franzosen mit nordafrika­nischen Wurzeln. Aus französisc­hen Polizeikre­isen verlautete hingegen, der Mann sei ein in Frankreich lebender Tunesier. Der Verdächtig­e habe offenbar unter Alkoholode­r Drogeneinf­luss gestanden. Weiter hieß es, der in Lens lebende Verdächtig­e sei wegen kleinerer Vergehen polizeibek­annt, gelte aber nicht als religiös radikalisi­ert.

Ob der Mann gezielt Menschen totfahren wollte, blieb zunächst unklar. Im Kofferraum des Fahrzeuges von Mohamed R. fanden Ermittler nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft Stichwaffe­n sowie ein Gewehr. Zudem wurde ein Kanister mit einer noch unbekannte­n Flüssigkei­t entdeckt. Deswegen, sowie vor dem Hintergrun­d des Anschlages in London, übernahm die Bundesanwa­ltschaft die Ermittlung­en.

Belgien hatte erst am Mittwoch mit Gedenkfeie­rn an die Terroransc­hläge vor einem Jahr erinnert. Damals hatten Selbstmord­attentäter am Brüsseler Flughafen sowie in einer Metrostati­on in der Innenstadt 32 Menschen mit in den Tod gerissen.

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Foto: Von Jutrczenka, dpa Dass die Spree durch das Regierungs­viertel fließt, stellt für die Polizei eine Heraus forderung dar. Patrouille­nboote sind regelmäßig vor Ort.
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Foto: dpa Terroralar­m: Großeinsat­z der Polizei im belgischen Antwerpen.

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