Wie der Bundestag geschützt wird
Das Berliner Regierungsviertel zählt zu den am besten bewachten Gegenden Deutschlands – und zu den kriminellsten. Immer wieder gab es haarsträubende Zwischenfälle
„Sehr wenig Polizei hier“, wundert sich die Besucherin aus London: „Gab es hier nicht auch erst kürzlich einen Terroranschlag mit vielen Toten?“Am Tag nach dem Angriff auf die Hauptstadt des Vereinigten Königreichs weht der Union Jack an der britischen Botschaft in Berlin auf halbmast. Doch sonst ist im Regierungsviertel, dem Herzen der deutschen Politik, alles wie immer. Trauben von Touristen, die Selfies vor dem Brandenburger Tor schießen. Ein einziges Polizeiauto ist zu sehen. Die Londonerin zeigt sich zudem erstaunt, dass es an einem so symbolträchtigen Ort noch geschlossene Mülleimer gibt. In London, schon seit Zeiten der IRABomben an Terrorgefahr gewöhnt, würden nur noch durchsichtige Plastiksäcke aufgehängt. So seien Sprengsätze leichter erkennbar. Und die Lady deutet mit Kennermiene auf den Gullydeckel unweit des Bundestags, der erkennbar nicht fest verschweißt ist.
Macht es Berlin möglichen Attentätern zu leicht? Zu den Details, wie sie die große Politik in der Hauptstadt schützen, machen die Behörden keine Angaben. Doch der Kern des Berliner Regierungsviertels zwischen Reichstag und Bundeskanzleramt gilt als die wohl am besten bewachte Gegend der Republik. In enger Abstimmung sind gleich mehrere Polizeidienste rund um die Uhr im Einsatz. Uniform tragen dabei etwa die Angehörigen der Berliner Landespolizei oder der Bundespolizei. Dagegen sind die Fahnder der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamts, der Sicherungsgruppe der Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamts und die Angehörigen der Bundestagspolizei, die speziell für die Bundestagsgebäude zuständig ist, in den allermeisten Fällen zivil gekleidet.
Die diskreten Aufpasser mischen sich auch unter die abertausende Besucher aus der ganzen Welt, die jeden Tag im Schatten der Reichstagskuppel unterwegs sind. Unterstützt durch ebenso unauffällige Kameraüberwachung schreiten sie ein, wenn sie gebraucht werden. Als etwa 2003 eine Frau sich selbst und ihre Kinder auf den Stufen des Reichstags mit Benzin übergoss, konnten beherzt eingreifende Beamte Schlimmeres verhindern.
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kam es im Herzen der deutschen Demokratie immer wieder zu haarsträubenden Zwischenfällen. Im Juli 2005 etwa. Islamistische Selbstmordattentäter hatten zuvor bei einer Serie von Bombenanschlägen auf Londoner U-Bahnen und einen Doppeldeckerbus 52 Menschen getötet und hunderte verletzt. Überall auf der Welt herrschte Angst vor Terror. Als in Berlin ein Kleinflugzeug am Himmel über dem Reichstag auftauchte, schienen die schlimmsten Befürchtungen wahr zu werden. In Panik flohen die Menschen auf der Wiese vor dem Parlament in alle Richtungen, gerade rechtzeitig, bevor das Kleinflugzeug aufschlug und in einem Feuer- ball explodierte. Der Pilot erlag seinen Verletzungen. Wie sich später herausstellte, hatte er kurz zuvor seine Ehefrau getötet.
Auch Zwischenfälle mit Autos hat es mehrfach gegeben. Im September 2000 versuchte ein 22-Jähriger mit einem Wagen, in dem er Benzin ausgeschüttet hatte, die Glasfront am Osttor des Reichstags zu durchbrechen. Er konnte überwältigt werden. Kurze Zeit später fuhr ein Mann die Rampe am Osttor hinauf und verlangte, den Bundestagspräsidenten zu sprechen. Seither ist der Bereich mit Betonpollern geschützt, wie etwa auch die Botschaften der USA, Frankreichs und Russlands.
2015 kletterte ein Rechtsextremist einfach über ein Gitter vor dem Kanzleramt und warf einen Brandsatz gegen den Amtssitz von Angela Merkel. Doch generell scheint ein gewaltsames Eindringen in die Gebäude von Parlament und Regierung zunächst kaum möglich. Besucher müssen durch Sicherheitsschleusen wie an Flughäfen. Dies gilt allerdings nicht für die mehreren tausend Träger von Hausausweisen. Neben Abgeordneten und ihren Mitarbeitern oder Journalisten zählen dazu auch Scharen von Praktikanten, Lobbyisten oder Handwerkern. Sie werden in der Regel nicht mehr gesondert kontrolliert. Sicherheitsexperten sehen hier eine Schwachstelle. Einige spektakuläre Protestaktionen, bei denen am oder im Bundestag etwa große Transparente entrollt wurden, waren offenbar nur unter Mithilfe von Besitzern solcher Ausweise möglich. Insgesamt aber gilt das Sicherheitskonzept im Regierungsviertel unter Eingeweihten als ebenso effektiv wie diskret.
Eine Einschätzung, die so gar nicht zu Statistiken passen will, nach
Einen Tag nach dem Terrorakt in London ist in der nordbelgischen Stadt Antwerpen offensichtlich ein Anschlagversuch gescheitert. Nach Polizeiangaben raste am Donnerstagvormittag ein Mann mit hoher Geschwindigkeit durch das Haupteinkaufsviertel der Hafenstadt. Menschen hätten zur Seite springen müssen, sagte ein Sprecher. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, es seien mehrfach Fußgänger in Gefahr gewesen. Ihren Angaben zufolge konnte das Auto nach einer kurzen Flucht von einer schnellen Eingreiftruppe der Antwerpener Polizei gestoppt werden. Zuvor waren Soldaten dabei gescheitert.
Bei dem Festgenommenen handelt es sich nach den ersten Ermittlungen der belgischen Polizei um einen 39 Jahre alten Franzosen mit nordafrikanischen Wurzeln. Aus französischen Polizeikreisen verlautete hingegen, der Mann sei ein in Frankreich lebender Tunesier. Der Verdächtige habe offenbar unter Alkoholoder Drogeneinfluss gestanden. Weiter hieß es, der in Lens lebende Verdächtige sei wegen kleinerer Vergehen polizeibekannt, gelte aber nicht als religiös radikalisiert.
Ob der Mann gezielt Menschen totfahren wollte, blieb zunächst unklar. Im Kofferraum des Fahrzeuges von Mohamed R. fanden Ermittler nach Angaben der Staatsanwaltschaft Stichwaffen sowie ein Gewehr. Zudem wurde ein Kanister mit einer noch unbekannten Flüssigkeit entdeckt. Deswegen, sowie vor dem Hintergrund des Anschlages in London, übernahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen.
Belgien hatte erst am Mittwoch mit Gedenkfeiern an die Terroranschläge vor einem Jahr erinnert. Damals hatten Selbstmordattentäter am Brüsseler Flughafen sowie in einer Metrostation in der Innenstadt 32 Menschen mit in den Tod gerissen.