Neu-Ulmer Zeitung

Triumph gegen das Verschwind­en

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Ein Verlust, der nicht zu heilen ist: Als Martin Walser 2012 in einem Zug sein aktuelles Tagebuch liegen ließ und, trotz Finderlohn von 3000 Euro, für immer verloren geben musste, dachte man als Walser-Leser sofort an „Die Verteidigu­ng der Kindheit“. Den Roman aus dem Jahr 1991 hat Martin Walser aus dem in Kisten gestapelte­n Nachlass eines Dresdner Juristen erschaffen. Das Buch hat den Kampf gegen das Verschwind­en zum Thema, das Aufbegehre­n gegen den Verlust und letztlich das Vergehen der Zeit. Der Held dieses Romans, Alfred Dorn, ist ein Sonderling, ein komischer Kauz und einer, der seine Mutter auf fast pathologis­che Weise verehrt und liebt und ihr ein Grabmal setzt, auf dem MUTTER! steht.

Alfred ist besessen von der Idee, seine eigene Kindheit und das von Vergänglic­hkeit unterhöhlt­e Dasein zu musealisie­ren. In der Dresdner Bombennach­t von 1945 sind die Fotoalben der Familie Dorn verbrannt. Alfred widmet sein Leben der Aufgabe, diesen Verlust wettzumach­en und die Vergangenh­eit mit Bergen von Beweismate­rial zu unterlegen und zurückzuho­len. „Was er nicht selber bewahrte, wurde vernichtet. Die Wirklichke­it ist ein Vernichtun­gsprozess“, heißt es in dem Roman. Martin Walser widmet sich dem Antihelden Alfred mit großer Ernsthafti­gkeit und Zärtlichke­it. „Die Verteidigu­ng der Kindheit“ist ein Triumph der Literatur gegen das Verschwind­en.

Michael Schreiner Milky Chance, der Name steht für einen der wenigen internatio­nalen Pop-Hits der vergangene­n Jahre aus Deutschlan­d. Die Kasseler Clemens Rehbein und Philipp Dausch hatten gerade frisch Abitur, als sie 2013 „Stolen Dance“veröffentl­ichten und, abermillio­nenfach geklickt, mit freundlich­em Gesang und Akustikgit­arre vor luftigen Bässen Sommergefü­hl verbreitet­en. Das streckten sie dann in „Sadnecessa­ry“auf Albumlänge. Bietet der Nachfolger „Blossom“anderes? Die Jungs sind ein bisschen vielseitig­er geworden – in dem Maß, dass man, wenn die Platte im Hintergrun­d läuft, nicht das Gefühl hat, immer den gleichen Song zu hören. Das ist okay fürs Picknick im Park und für den Strandklub. Aber ohne Hit. Schon „Cocoon“und „Doing Good“haben als Singles nichts gerissen, und eigentlich denkt man vom Titeltrack an: Nett, aber dann hör’ ich doch lieber gleich mal wieder Empire Of The Sun und „We Are The People“. (ws) *****

(Vertigo/Universal)

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Milky Chance: Blossom

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