Neu-Ulmer Zeitung

Absturz eines Liebenden?

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Begegnunge­n mit Walser: Das sind auch Begegnunge­n mit Reaktionen auf das Werk dieses Schriftste­llers. Begegnunge­n mit zustimmend­en oder ablehnende­n Urteilen, an denen die eigene Lese-Erfahrung sich misst. So wie 2008, als „Ein liebender Mann“erschien. Ein Roman über jene späte Episode in Goethes Leben, da der 74-Jährige heftig für die 19 Jahre alte Ulrike von Levetzow entflammte und sogar um ihre Hand anhielt, die jedoch ausgeschla­gen wurde. Walsers Erzählung des aufschieße­nden (und wohl recht einseitige­n) Liebesgefü­hls – gekonnt leichtfüßi­g sei das geschriebe­n, befand weithin die Kritik.

Wäre da nicht das letzte Drittel des Romans, wo Walser seinen Goethe Briefe an Ulrike schreiben lässt: Briefe, die der reale Goethe wohl niemals aufsetzte, Briefe, in denen Walser den Dichter an seinem fortgeschr­ittenen Alter leiden lässt wie einen Hund. Auch hier war das kritische Echo überwiegen­d einmütig: Ein „klaftertie­fer Absturz“sei das im Vergleich zum schönen Beginn des Romans; der Olympier, von Walser vorgeführt als liebeswund­er Teenager… Aber, fragt man sich selbst beim Lesen des Romans, ist es nicht eher so, dass Walser hier eine Ehrfurchts­gestalt ins nackte Leben holt, wenn er die Macht des Eros auch fürs höhere Alter reklamiert? Fernliegen­des, durch Lektüre hereingeho­lt in den eigenen Erfahrungs­raum – das verdankt man einer solchen Begegnung mit Walser.

Stefan Dosch Die schlechte Nachricht zuerst. Für die vielen, die im Jahr 2000 wieder neue Leidenscha­ft zu deutschspr­achiger Popmusik fassen konnten: Die Band Wir sind Helden ist wohl Geschichte, das hat deren Sängerin Judith Holofernes, die ja auch mit Drummer Pola verheirate­t ist, anlässlich ihres zweiten Soloalbums klargemach­t. Nun ist die 40-Jährige also alleine. Dass das auch ein Gewinn ist, hat sie vor drei Jahren mit „Ein leichtes Schwert“bewiesen, zumindest zur Hälfte, mit textlich und musikalisc­h so feinen wie launigen Songs über die Lebenswirk­lichkeit von Eltern. Der Nachfolger „Ich bin das Chaos“weitet zum Glück die Perspektiv­e, ist mutiger, klingt eigentlich wieder mehr nach den späten Helden – und ruht in seinen Höhepunkte­n „Ich bin Optimist“und „Der Krieg ist vorbei“. Niemand kann so schön traurig und so optimistis­ch sein wie sie. Danke. (ws) **** *

(52843/Warner)

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Judith Holofernes: Ich bin das Chaos

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