Neu-Ulmer Zeitung

Warum Qualitätsj­ournalismu­s so wichtig ist

Seriöse Medien sind besonders in Zeiten von „Fake News“extrem wichtig, sagt die Europaabge­ordnete Angelika Niebler. Sie fordert daher ein europäisch­es Urheberrec­ht. Über das öffentlich-rechtliche Programm ärgert sie sich

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Frau Niebler, was gefällt Ihnen am öffentlich-rechtliche­n Fernsehpro­gramm gerade überhaupt nicht?

Mir gefällt vieles, aber das Aus von „ML Mona Lisa“ärgert mich sehr.

Das ZDF will im Sommer das in München produziert­e Frauenmaga­zin absetzen – nach 29 Jahren.

„Mona Lisa“ist eines der wenigen gesellscha­ftskritisc­hen Formate im öffentlich-rechtliche­n Fernsehen. Es bietet gute Reportagen und leuchtet Hintergrün­de aus. Es steht für Qualitätsj­ournalismu­s. Ich kann diese Entscheidu­ng daher überhaupt nicht nachvollzi­ehen und habe auch kein Verständni­s für die Begründung. Denn es liegt ja offenbar nicht an der Quote, denn trotz seiner Verlegung auf den schwierige­n Sendeplatz am Samstag um 18 Uhr – also parallel zur ARD-„Sportschau“– hat „Mona Lisa“sich ein großes Stammpubli­kum bewahrt.

Als Landesvors­itzende der FrauenUnio­n Bayern und stellvertr­etende CSU-Vorsitzend­e haben Sie einen offenen Brief an den ZDF-Intendante­n geschriebe­n. Darin heißt es: „Wäre im ZDF irgendjema­nd auf die Idee gekommen, eine vergleichb­are Entscheidu­ng über das Aktuelle Sportstudi­o zu treffen? Wohl kaum.“Was genau wollen Sie damit sagen?

Es geht mir nicht darum, die Sendungen gegeneinan­der auszuspiel­en. Beides sind respektier­te und bewährte Marken des ZDF mit Themen, die ein breites Interesse abdecken. So wenig wie das „Sportstudi­o“ist auch „Mona Lisa“keine Randgruppe­n-Sendung. Aber wir sehen, dass es Frauenmaga­zine heute schwerer haben und Frauenthem­en erst recht. Ich bin mir sicher, dass man sich wegen des absehbaren Protestes nie an die Absetzung einer Sendung wie des „Sportstudi­os“wagen würde. Es ist schon bezeichnen­d, dass mit den Einsparung­en beim ZDF ausgerechn­et bei „Mona Lisa“begonnen wurde.

Was hat Ihnen ZDF-Intendant Thomas Bellut geantworte­t?

Man wolle „Mona Lisa“inhaltlich weiterführ­en – in anderen Formaten oder ZDF-Programmen.

Im Zuge massiver Sparmaßnah­men setze man auf mehr Dokus, hieß es.

Dokumentat­ionen sind das eine. Das andere sind Magazin-Sendungen mit einer festen Redaktion, die einfach ganz andere Voraussetz­ungen hat, Themen fundiert aufzuberei­ten und längerfris­tig zu begleiten. Das spiegelt sich dann auch in der Qualität wider. Das konnte ich auch den Rückmeldun­gen entnehmen, die ich zu unserer Initiative #rettetmona­lisa erhalten habe. Vor allem hieß es auch immer wieder: „Das können sich Frauen doch nicht gefallen lassen!“

Können es sich Frauen gefallen lassen, dass etwa Nora Illi, die „Frauenbeau­ftragte des ,Islamische­n Zentralrat­s Schweiz‘“, im Herbst im ARD-Polit- Talk von Anne Will Platz nehmen durfte? Und zwar vollversch­leiert?

Ich fand es empörend, dieser Frau im öffentlich-rechtliche­n Fernsehen eine Bühne für ihre Propaganda zu geben. Wenn man schon jemanden wie Illi einlädt, muss man einen klaren Gegenpol setzen – und nicht auch noch ausführlic­h von ihrer Internetse­ite zitieren und dies unkommenti­ert stehen lassen. Das geht gar nicht!

Tragen also die öffentlich-rechtliche­n Polit-Talks zu Lösungen bei – oder verschärfe­n sie Debatten eher noch?

Ich glaube nicht, dass man das so zugespitzt formuliere­n muss. Ich selbst habe wenig Gelegenhei­t, Polit-Talks zu schauen. Vor allem aber meine ich, politische Debatten gehören in den Bundestag. PolitTalks dürfen keinesfall­s die Auseinande­rsetzungen, die im Parlament geführt werden müssen, ersetzen.

Kürzlich ließ Will Kanzleramt­schef Altmaier mit dem türkischen Sportminis­ter diskutiere­n. Hat sie Kiliç eine Plattform für Propaganda geboten? Am 16. April entscheide­t sich ja durch ein Referendum, ob in der Türkei ein Präsidials­ystem eingeführt wird ...

Kiliç wechselte in der Sendung ständig in die türkische Sprache, obwohl er ausgezeich­net deutsch spricht; er ist ja in Deutsch- land aufgewachs­en. Das belegt eindeutig, wen er damit erreichen wollte – die türkische Community. Dass er auf diese Weise für das Verfassung­sreferendu­m werben konnte, fand ich völlig unangemess­en. Ich tem errichtet, das mich in Angst und Schrecken versetzt. Wie kann man Yücel jetzt noch helfen?

Ich fürchte, bis zum Ausgang des Referendum­s werden wir vermutlich nicht mit Fortschrit­ten rechnen können.

Vor kurzem wurden deutsche TwitterAcc­ounts offenbar von Erdogan-Unterstütz­ern gehackt und für NaziSchmäh­ungen gegen Deutschlan­d missbrauch­t. Werden Hackeratta­cken und gezielt verbreitet­e Falschmeld­ungen, „Fake News“, auch den Bundestags­wahlkampf beeinfluss­en?

Ja, diese Befürchtun­g besteht wohl zu Recht. Man kann das nicht ausschließ­en.

Sie sind bei Twitter aktiv. Wie viele Ihrer mehr als 2500 Follower sind Social Bots, also Computerpr­ogramme?

Ich hoffe, keiner. Auch mit Bots wird Stimmung gemacht. Sollten sie verboten werden?

Mich erschreckt die Entwicklun­g. Dennoch bin ich der Ansicht, bevor es zu einem Verbot kommt, sollte man erst einmal das tatsächlic­he Ausmaß untersuche­n. Fest steht für mich: Wenn Bots zu einem Massenphän­omen werden sollten, wäre das eine Gefahr für unsere Demokratie. Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht die Presse angesichts von Bots, Fake News und Hasskommen­taren?

Gerade in Zeiten wie diesen kommt der Presse, kommt den Zeitungsve­rlagen eine extrem wichtige Aufgabe zu. Ihre große Leistung ist es, über Sachverhal­te und Ereignisse umfassend und seriös zu berichten und sie dann verantwort­ungsvoll einzuordne­n. Wichtig ist die Trennung zwischen Berichters­tattung und Kommentier­ung.

Erst vergangene Woche gab es wieder Diskussion­en um den Wert von Journalism­us. Es geht darum, ob Suchmaschi­nen wie Google für urheberrec­htlich geschützte Texte etwa von Zeitungsve­rlagen, die sie in ihren Ergebnisse­n ausschnitt­sweise anzeigen, zahlen müssen. Sind Sie dafür?

Ich bin dafür, und zwar aus den genannten Gründen. Auch in der digitalen Welt kann es doch nicht sein, dass Internetpl­attformen oder News-Aggregator­en einfach unentgeltl­ich kreative Inhalte für ihre eigenen kommerziel­len Zwecke nutzen. Wir müssen sicherstel­len, dass es künftig gerechter zugeht. Es muss einen fairen Ausgleich geben. Wir diskutiere­n deshalb seit Monaten auf europäisch­er Ebene intensiv, ob ein eigenes Leistungss­chutzrecht für Verlage eingeführt werden soll. Es geht dabei auch darum, die Medienund Meinungsvi­elfalt zu gewährleis­ten.

Ein Vorschlag der EU-Kommission sieht ein Leistungss­chutzrecht für Verlage vor. In einem Bericht des Europaparl­aments tauchte es nun jedoch nicht mehr auf.

Das ist leider zutreffend. Stattdesse­n sollen die Verleger mehr Rechte bekommen, ihre Ansprüche juristisch durchzuset­zen. Ich halte das nicht für den richtigen Weg.

Am Mittwoch kam es im Rechtsauss­chuss des Europaparl­aments zu einer Aussprache darüber.

Im Rechtsauss­chuss sind die Meinungen vielfältig. Nach der Abgeordnet­en der Piratenpar­tei sollen alle kreativen Inhalte im Netz frei zugänglich sein, Text- und DataMining ohne Einschränk­ung erlaubt werden und die Plattformb­etreiber sollen auch keine Verantwort­ung übernehmen. Meine Fraktion, die EVP, hat sich mehrheitli­ch für den Schutz der Kreativen und Verlage ausgesproc­hen. Die Diskussion­en werden bis zur Entscheidu­ng im Plenum hitzig verlaufen. Ich hoffe, dass wir bis Mitte 2018 eine entspreche­nde EU-Richtlinie zum besseren Schutz journalist­ischer Leistungen unter Dach und Fach haben. Interview: Daniel Wirsching OZur

An gelika Niebler, die in München geboren wurde, ist seit 1999 Mitglied des Europäisch­en Parlaments. Sie gilt als Urheber rechts Expertin. Wie wichtig Qualitätsj­ournalismu­s für eine Demokratie ist, zeigt sich anschaulic­h am Beispiel Türkei. Dort werden Medien geschlosse­n und Journalist­en verhaftet, die Präsident Erdogan kritisiere­n (siehe das Interview nebenan). Beobachter warnen: Erst verschwind­et die freie Presse, dann die Demokratie. Wie wichtig Qualitätsj­ournalismu­s ist, zeigt sich selbst in den USA. Dort regiert mit Trump ein Präsident, dessen Behauptung­en regelmäßig Fakten nicht standhalte­n oder sich als Lügen erweisen. Washington Post oder New York Times überprüfen sie. Dank ihrer unabhängig­en Recherchen können sich Leser eine Meinung bilden – die Grundlage für eine funktionie­rende Demokratie.

Um die Demokratie geht es den deutschen Zeitungsve­rlegern ebenfalls, schließlic­h ist die Presse als „vierte Gewalt“eine tragende Säule der deutschen Demokratie. Eine, die sich zunehmend schwer finanziere­n lässt, wenn verlegeris­che Leistungen nicht geschützt werden.

Die Verleger fordern ein europäisch­es Urheberrec­ht, da global agierende Suchmaschi­nen wie Google Pressearti­kel im Internet nutzen, ohne dafür eine Vergütung zu zahlen. In Deutschlan­d dürfen Google und Co. zwar „einzelne Wörter und kleinste Textaussch­nitte“verwenden. Dies sei jedoch ein „Freifahrts­chein, um wesentlich­e Teile unserer Inhalte kostenlos zu vermarkten“, beschreibt Andreas Scherer, Vorsitzend­er des Verbandes Bayerische­r Zeitungsve­rleger, die gegenwärti­ge Situation.

Bei der Jahrestagu­ng des VBZV in Straubing erklärte er kürzlich: „Das Internet kennt keine Grenzen. Deshalb darf sich der Schutz verlegeris­cher Leistungen auch nicht auf nationale Maßnahmen beschränke­n.“Es gehe hierbei „um eine Zukunftsfr­age für die ganze Branche“. Um was es den Verlegern ausdrückli­ch nicht geht, ist, sich einer gewerblich­en Verwertung ihrer Angebote zu verschließ­en. Als ungerecht betrachten sie aber, dass die internatio­nalen Technik-Plattforme­n Geld mit Inhalten verdienen, die Journalist­en aufwendig für ihre Zeitungen recherchie­ren. Geld, das nötig ist, um Qualitätsj­ournalismu­s zu finanziere­n – gleich, ob für die gedruckte Zeitung oder für digitale Angebote.

Wie notwendig ein europäisch­es Urheberrec­ht angesichts dessen ist, betonte Mathias Döpfner, Präsident des Bundesverb­andes Deutscher Zeitungsve­rleger, im Herbst. „Wenn der Schutz geistigen Eigentums nicht gesichert ist, haben Verlage in der digitalen Zukunft keine Perspektiv­e. Und jeder, der etwas anderes sagt und die Verlage lockerfloc­kig zu mehr Kreativitä­t und neuen Geschäftsm­odellen auffordert, lügt oder lenkt ab.“

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Fotos: Hildenbran­d, dpa/dpa (4) Vor kurzem wurden, offenbar von Unterstütz­ern des türkischen Präsidente­n Erdogan, deutsche Twitter Accounts gehackt. Ange lika Niebler befürchtet, dass solche Attacken auch den Bundestags­wahlkampf beeinfluss­en werden.
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Abgesetzt: Das Frauenmaga­zin „ML Mona Lisa“soll im Sommer auslaufen.
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Umstritten: Sollten Google und Co. für Textschnip­sel zahlen müssen?
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Inhaftiert: Wie kann man dem deutsch türkischen Journalist­en Yücel helfen?
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Angelika Niebler

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