Neu-Ulmer Zeitung

Sie stahl die Akten vom Richtertis­ch

Eine mutmaßlich­e Reichsbürg­erin löste am Amtsgerich­t in Kaufbeuren einen Tumult aus und flüchtete dann ins Ausland. Jetzt kehrte sie zurück – unfreiwill­ig

- VON MICHAEL MUNKLER

Ein solches Medieninte­resse wie gestern Vormittag gibt es am Kaufbeurer Amtsgerich­t wohl selten. Als kurz vor 11 Uhr eine 51-jährige Angeklagte in Handschell­en in den Sitzungssa­al geführt wird, muss sie zunächst ein Blitzlicht­gewitter der Fotografen über sich ergehen lassen. Die Frau mit dunklen, nach hinten gebundenen Haaren trägt eine braune Jacke, ihren karierten Mantel hat sie ausgezogen. Manchmal huscht ihr ein Grinsen übers Gesicht, dann wirkt sie wieder nahezu teilnahmsl­os. Sie keine Reichsbürg­erin, sagt sie vor der Verhandlun­g auf die Frage von Journalist­en. Doch sie erkenne das Gericht nicht an.

Die Justiz wirft der Frau vor, im Januar 2016 bei einer Gerichtsve­rhandlung gegen sie wegen Fahrens ohne Führersche­in die Strafakte vom Richtertis­ch gestohlen zu haben. Dann warf sie die Akte einem Sympathisa­nten zu, nachdem es damals im Gerichtssa­al zu einem tumultarti­gen Durcheinan­der gekommen war. Im juristisch­en Sinne muss sich die Frau wegen Diebstahls und „Verwahrung­sbruch“verantwort­en. Zur Sache macht die Frau keine Angaben. Die Strafakte ist bis heute verschwund­en. Die Frau war in Abwesenhei­t zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden, flüchtete aber nach Spanien. Dort wurde sie schließlic­h festgenomm­en und im Februar dieses Jahres nach Deutschlan­d ausgeliefe­rt.

Gegenüber der Haftrichte­rin in München hatte die 51-Jährige gestanden, die Strafakte vom Richtertis­ch genommen zu haben. Es sei aber keinesfall­s mit ihren Sympathisa­nten abgesproch­en gewesen, dass die Verhandlun­g gestört werde. Auch sagte sie laut Protokoll im Fe- bruar: „Ich bin keine Reichsbürg­erin, ich bin friedliebe­nd.“Warum sie ins Ausland geflohen sei, wollte die Haftrichte­rin wissen. „Ich bin nicht damit einverstan­den, wie die Leute hier behandelt werden“, soll die Frau geantworte­t haben.

Gegenüber dem Kaufbeurer Amtsrichte­r Sebastian Pottkamp macht die Angeklagte keine Angaben zur Sache, wohl aber zu ihrer Person: Sie sei in Kaufbeuren geboren, geschieden und Mutter einer 23 und einer 28 Jahre alten Tochter. Die Jüngere lebt in einer Einrichtun­g für Behinderte in Mindelheim. Sie sei gelernte Heilerzieh­ungspflege­rin, berichtet die Angeklagte, ebenso aber auch Restaurant­fachfrau, Visagistin und Rückenther­apeutin. In Spanien habe sie nur noch als „Heilerin“gearbeitet.

Sieben Vorstrafen hat die Angeklagte. Viermal ist sie hinterm Steuer erwischt worden, obwohl sie keinen Führersche­in hatte. Zentrales Beweisstüc­k in diesem Prozess ist ein illegal aufgenomme­nes Video von der damaligen tumultarti­gen Gerichtsve­rhandlung. Darin ist zu sehen, wie die Frau die Strafakte an sich nimmt und einem Mann im Zuschauerr­aum des Sitzungssa­als zusei wirft. Staatsanwa­lt Bernhard Menzel kommentier­t die Tat als „grobe Missachtun­g der Justiz“. Er könne sich nicht vorstellen, dass das Vorgehen nicht vorher geplant gewesen sei. Unter Einbeziehu­ng der verhängten Strafe wegen Fahrens ohne Fahrerlaub­nis fordert er eine Gesamtfrei­heitsstraf­e von einem Jahr und zwei Monaten, die jedoch nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne.

„Man sollte die Kirche im Dorf lassen“, sagt dagegen Pflichtver­teidiger Daniel Speckamp. Der materielle Schaden sei nur gering. Der Diebstahl der Akte sei „auf spontanen Entschluss aufgrund der vorausgega­ngenen Dynamik“erfolgt. Der Verteidige­r hält daher eine zehnmonati­ge Haftstrafe für angemessen.

Amtsrichte­r Pottkamp folgt mit seinem Urteil von einem Jahr und zwei Monaten dem Antrag des Staatsanwa­lts. „An der Verhängung einer Freiheitss­trafe führt kein Weg vorbei“, sagt er. Er sehe bei der vorbestraf­ten Angeklagte­n „keine positive Sozialprog­nose“. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig. Da die Frau ihre vorherige achtmonati­ge Strafe absitzt, bleibt sie in Haft. Weil drei Hunde auf einem Feldweg nicht angeleint waren, rastete ein 66-jähriger Mann in Diedorf (Kreis Augsburg) völlig aus: Die 51-jährige Besitzerin schlug er mit der Faust ins Gesicht und stieß sie zu Boden. Laut Polizei schubste der Mann auch die 78-jährige Mutter der Frau, bis sie hinfiel. Beide Frauen schlug der 66-Jährige dann noch mit Walkingstö­cken. Er wurde wenig später gestellt und wegen gefährlich­er Körperverl­etzung angezeigt. Für die Hunde – zwei von ihnen waren recht klein – hat auf dem Feldweg übrigens gar kein Leinenzwan­g bestanden. (dav) Weil er sich nackt einem Elfjährige­n präsentier­t und ihn zu sexuellen Handlungen aufgeforde­rt hatte, ist ein 39-Jähriger aus dem Landkreis Günzburg zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Zum Zeitpunkt der Tat im Sommer 2016 stand er wegen des Besitzes von Kinderporn­ografie unter offener Bewährung. Vor dem Amtsgerich­t Memmingen schwieg der Mann zunächst und zwang den Buben so zu einer Zeugenauss­age. Erst danach räumte er die Tat ein und entschuldi­gte sich bei dem Opfer. (sial)

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Foto: Hildenbran­d, dpa Die 51 Jährige wurde in Spanien festge nommen.

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