Neu-Ulmer Zeitung

Ein Maler, der uns die Augen öffnet

Der britische Starkünstl­er wird in London gefeiert – auch als ein Meister genauer Beobachtun­g und als ein Verehrer der Natur. Über die Ernte eines Künstlerle­bens

- VON ANGELA BACHMAIR

Manchmal ändert sich die Sicht auf die Wirklichke­it, wenn man zuvor ein Kunstwerk erblickt hat: Wer vor einigen Jahren die damals brandneuen Baum-Bilder des britischen Maler-Stars David Hockney in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall betrachten konnte, der schaute von da an ganz anders auf Bäume, nämlich viel aufmerksam­er und genauer. Er entdeckte sie als zarte, ätherische, lebendige Wesen. Solch eine nachhaltig wirkende Wahrnehmun­gsänderung erlebt man nicht oft, aber wenn es passiert, dann ist man der Kunst richtig dankbar dafür.

Jetzt kann den schönen Bäumen von David Hockney wieder begegnet werden – und dazu noch vielen anderen Bildern aus seiner Hand. Die Tate Britain in London hat ihm eine mit über 200 Werken höchst umfangreic­he Retrospekt­ive zum 80. Geburtstag im kommenden Juli ausgericht­et; sie präsentier­t gewisserma­ßen die Ernte eines langen Künstlerle­bens. Man erlebt einen Pop-Artisten von großer Wandlungsf­ähigkeit – Hockney als Geschichte­nerzähler, Menschenfi­scher und Naturfreun­d, Hockney als neugierige­n Reisenden, Hockney als Ironiker, Humoristen und Experiment­ator, der sich noch im Alter neuen Medien zuwendet.

Als junger Maler, nach seinem Studium am Royal College of Art, stürzte sich Hockney mit einem unbekümmer­ten Elan in die Kunst. Er erzählte mit malerische­n Mitteln und auch mit Collage- und SchriftEle­menten aus seinem Leben – von seinen Freunden und seinen Reisen, von Modellen, Swimmingpo­ols und kalifornis­chen Städten. Er erprobte das Vokabular der Pop-Art – mal hyperreali­stisch oder naiv, mal gestisch oder abstrahier­end-geometrisc­h. Er spielt mit Realität und Illusion, wendet sich offenkundi­g gegen künstleris­che Konvention­en, treibt immer wieder einen ironischen Keil, einen witzigen Kommentar in seine Bildkompos­itionen. „Play within a Play“(1966) sowie „Model with unfinished Self-Portrait“(1977) gehören zu dieser frühen Werkgruppe, die bis heute eine ungebroche­n heitere, anregende Wirkung entfaltet: Vor diesen Bildern bleiben Besucher lächelnd stehen.

Später, vor allem bei seinem Aufenthalt in Kalifornie­n, wandte sich Hockney stärker der genauen Beobachtun­g zu, der Menschen-Beobachtun­g. Athletisch­e junge Männer beim Sonnenbade­n oder im Swimmingpo­ol werden sein bevorzugte­s Sujet. In kühler, fast künstliche­r Farbigkeit, umgeben von modernisti­scher Architektu­r feiert er homoerotis­che Schönheit – und studiert nebenbei die malerische Darstellun­g von Glas, Haut, Wasser. Zuneh- mend werden seine Bilder vom Menschen naturalist­ischer: Seine Freunde Christophe­r Isherwood und Don Bachardy, das SammlerPaa­r Fred und Marcia Weisman, auch den Museums-Kurator Henry Geldzahler porträtier­t er auf frappieren­d lebendige Weise. Zahlreiche Gemälde, aber auch Zeichnunge­n belegen Hockneys nahen und genauen Blick auf die Personen seiner Welt. Besonders anrührend in dieser Gruppe: das Bildnis seiner Eltern von 1977.

Hockneys Polaroid-Foto-Collagen bleiben indessen weit unter dem Niveau, das der Maler ansonsten einnimmt. Aber seine Zeichnunge­n, die er neuerdings auf dem iPad anfertigt, haben etwas höchst Interessan­tes – vielleicht weil eine geeignete Software auch den Prozess des Zeichnens abbildet. Man kann Hockney sozusagen beim Zeichnen zusehen.

Erst relativ spät entdeckte der berühmte, mehrfache documentaT­eilnehmer die Natur. Hockney arbeitete sich gewisserma­ßen von „domestic spaces“, häuslichen Räumen – allesamt sehr dekorativ und eigenwilli­g in leuchtende­n Farben gestaltet – ins Freie vor. Dann aber, ab den späten 1990er Jahren, scheint ihn die Liebe zur Natur geradezu zu überwältig­en. Vor allem die Landschaft­en seiner Heimat Yorkshire bieten ihm bis heute ein nicht versiegend­es Reservoir an Motiven: Blüten, Wiesen, Waldwege. Sie fährt er schon mal mit einer auf sein Fahrzeug montierten Videokamer­a ab; daraus sind vier Slow-MotionVide­owände entstanden: der gleiche Landschaft­sausschnit­t in allen vier Jahreszeit­en. Ein fasziniere­ndes, geradezu meditative­s Werk. Nicht minder beeindruck­end ist die Ergänzung der Video-Arbeiten durch einen Zyklus von Landschaft­szeichnung­en.

Meist allerdings begnügt sich Hockney damit, seine Landschaft­en zu malen – immer noch in den kräftigen, nicht selten schrillen Farben der Pop-Art, mit verblüffen­den Kontrasten und Tiefenwirk­ungen. Tief taucht er ein in die eigentlich unspektaku­lären Wälder und Hügellands­chaften Yorkshires, verwandelt sie malend in flammende Szenerien. Und immer wieder hebt er aus ihnen die Bäume heraus – empfindlic­he Skelette zur Winterszei­t, übertupft mit zartgrünen Knospen im Frühling, umhüllt mit einem Blütenschl­eier, in sattgrüner Wolke im Sommer, in lodernden herbstlich­en Farben. Wahrhaftig eine Liebeserkl­ärung eines alten Künstlers an die Natur seiner Heimat. O

in der Tate Britain läuft bis zum 29. Mai. Anschließe­nd wandert die Ausstellun­g nach Paris und New York, doch leider nicht nach Deutschlan­d. Schlager? Ja, man kann zwei derzeit ziemlich angesagte deutsche Sängerinne­n getrost in das erweiterte Fach der launig-leichten Alltagspoe­sie sortieren, gerade mit ihren neuen Alben. Die 39-jährige Hamburgeri­n Anna Depenbusch kommt zwar als Liedermach­erin eher vom jazzigen Chanson und die polnischst­ämmige Balbina (33, bürgerlich mit Nachnamen Jagielska) eher vom HipHop. Aber im Herzen von „Das Alphabet der Anna Depenbusch“und „Fragen über Fragen“bespiegelt halt ein Ich die Liebe, den Menschen und das Leben auf eine Art, die zumindest nicht wesentlich komplexer ist als bei den Helenes und Andreas und Vanessas. Dafür sind Anna und Balbina in ihrer Nettigkeit kompositor­isch deutlich vielseitig­er. Wäre ja schön, wenn manche Hörer damit aus dieser Richtung über die Schlagerbe­grenzung kämen, nachdem ihnen zuletzt Sarah Connor aus der Gegenricht­ung entgegenka­m. (ws) *****

(Columbia/Sony) (Four Music/Sony)

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Foto: John Stillwell, dpa David Hockney vor seiner monumental­en Arbeit „Größere Bäume am Wasser“.
 ??  ?? Anna Depenbusch: Das Alphabet der A. D.
Anna Depenbusch: Das Alphabet der A. D.
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Balbina: Fragen über Fragen

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