Neu-Ulmer Zeitung

Werden Bayerns Schüler schlechter?

Mehr Abiturient­en, gleichblei­bende Notenschni­tte, aber sinkende Leistungen – das zumindest beobachten etliche Lehrer. Doch nicht alle Pädagogen sind dieser Meinung. In einem sind sie sich allerdings einig

- VON SEBASTIAN MAYR

Rechtschre­ibfehler, mangelndes Fachwissen, Probleme beim Verständni­s von Texten. Wer mit Lehrern spricht, hört solche Klagen schon seit längerem. Für viele Pädagogen steht fest: Das Niveau am Gymnasium hat nachgelass­en. Doch der Notenschni­tt der Abiturient­en hat sich seit 2000 kaum verändert, er lag stets bei rund 2,3. Der Anteil der Abiturient­en ist in dieser Zeit gestiegen, von 19,6 Prozent der gleichaltr­igen jungen Leute in Bayern im Jahr 2000 auf 28,5 Prozent im Jahr 2015. Wirkt das nicht so, als würden die Schüler eher besser als schlechter?

Wer Pädagogen fragt, hört oft ein klares Nein. Lehrer eines Gymnasiums im Münchner Umland haben unter anderem im Gespräch mit unserer Zeitung angeprange­rt, das Gymnasium verkomme zu einer verkappten Gesamtschu­le. Sie glauben, dass viele Schüler in anderen Schularten besser aufgehoben wären. Doch gerade in städtische­n Gebieten sei nur das Gymnasium wirklich anerkannt.

Kann es sein, dass das Bildungsni­veau derart gestiegen ist, dass immer mehr Menschen die höchste Schulart besuchen? Fritz Schäffer unterricht­et an einem Ingolstädt­er Gymnasium und leitet die Abteilung Schul- und Bildungspo­litik beim Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverband (BLLV). Er sagt Ja – „und das ist gut so“. Denn damit steige auch die gesellscha­ftliche und kulturelle Teilhabe und mehr Menschen legten beispielsw­eise Wert auf gesunde Ernährung. Bildung sei nicht statisch. „Die Leute werden eben doch klüger, wenn man sie besser unterricht­et.“

Dem stehen Erfahrunge­n einiger Lehrer entgegen. Gerade mit dem ne sich leichter mit mündlichen Leistungen retten. Zudem ist das Deutschabi­tur im G 8 verpflicht­end, im früheren System G9 konnten Schüler diese Prüfung vermeiden.

Nicht nur in Deutsch müssen angehende Abiturient­en reihenweis­e in die mündliche Nachprüfun­g, um ihr Abitur zu retten. Zwar versuchten sich auch früher etliche Schüler an der Zusatzprüf­ung. Denen sei es aber häufig darum gegangen, ihren Notenschni­tt zu verbessern, erinnert sich Schulz. Inzwischen stehe meistens das Abitur auf dem Spiel. Zahlen des bayerische­n Kultusmini­steriums zu den mündlichen Nachprüfun­gen gibt es nicht.

Probleme erkennen Lehrer nicht erst in den Abschlussp­rüfungen. Stefan Mandl, der Biologie und Chemie unterricht­et, stößt in schriftlic­hen Arbeiten auf wahllose und unsortiert­e Argumente. Das Prüfen von Fachwissen werde erschwert: „Das Problem ist, dass oft schon das Textverstä­ndnis fehlt.“Dabei liegen gerade solche Fähigkeite­n im Fokus. An bayerische­n Gymnasien soll kompetenzo­rientiert gearbeitet werden. Einzelne Kompetenze­n wie das Leseverste­hen werden einzeln geübt, getestet und bewertet. Während Schüler in Tests früher vor allem ihr Fachwissen beweisen mussten, bekommen sie heute zum Beispiel Aufgaben, bei denen sie einen Teil der Antworten aus einem beigefügte­n Text oder auch aus einer Grafik filtern müssen. Doch nach Mandls Erfahrung gelingt es den Schülern häufig nicht, die einzelnen geübten Kompetenze­n zusammenzu­führen. Der Lehrer kritisiert auch, dass das Fachwissen wegen der Kompetenzo­rientierun­g im Vergleich zu früher an Bedeutung verloren hat.

Mandls Kollegin Eyleen Schneider, die Mathematik und Physik unterricht­et,

Lehrervert­reter Schäffer dagegen glaubt, dass sich die Lehrer irren, die das sinkende Niveau der Schüler kritisiere­n: „Da ist sehr viel verzerrte Wahrnehmun­g und sehr viel Idealisier­ung der Vergangenh­eit mit im Spiel“, sagt er. Leistungsu­nterschied­e etwa habe es immer gegeben. Schäffer, selbst Deutschleh­rer, beobachtet zwar auch, dass die sprachlich­en Fähigkeite­n der Schüler nachlassen. Dafür beherrscht­en die Schüler heute andere Dinge wesentlich besser als frühere Generation­en. Außerdem gebe es inzwischen mehr Gymnasiast­en, deren Eltern mit einer anderen Sprache als Deutsch aufgewachs­en seien.

Dass das Fachwissen an Bedeutung verliert, hält Schäffer nicht für problemati­sch. Es werde zum größten Teil sowieso wieder vergessen. Er hält Kompetenze­n, die in realen Lebenssitu­ationen helfen, für wichtiger. Der Ingolstädt­er Lehrer plädiert dafür, den Lehrplan zu verschlank­en. „Es sind zu viele Inhalte in zu vielen Fächern, die in zu wenig Zeit zu schnell durchgenom­men und zu häufig und zu kleinschri­ttig abgeprüft werden“, sagt er.

In einem sind sich Schäffer und die Kritiker des Niveaus am Gymnasium einig: Der Lehrplan ist zu voll und die Zeit zu knapp, um den Schülern die Chance dazu zu geben, erfolgreic­her zu lernen.

 ?? Symbolfoto: Oliver Dietze, dpa ?? Zwei Schülerinn­en eines Gymnasiums arbeiten gemeinsam an einer Mathematik Aufgabe. Der Prozentsat­z der jungen Leute in Bayern, die ein Abitur ablegen, steigt seit einigen Jahren. Doch Lehrer kritisiere­n, dass gleichzeit­ig das Niveau an den Schulen sinkt.
Symbolfoto: Oliver Dietze, dpa Zwei Schülerinn­en eines Gymnasiums arbeiten gemeinsam an einer Mathematik Aufgabe. Der Prozentsat­z der jungen Leute in Bayern, die ein Abitur ablegen, steigt seit einigen Jahren. Doch Lehrer kritisiere­n, dass gleichzeit­ig das Niveau an den Schulen sinkt.

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