Die Geburtsstunde der Supermächte
Der entscheidende US-Kriegseintritt wider Willen und eine abenteuerliche Zugfahrt: In diesen Apriltagen vor 100 Jahren wurden die Weichen für die politische Ordnung des 20. Jahrhunderts gestellt. Ein Lehrstück?
Wer die Welt im 20. Jahrhundert zu lesen gelernt hat, dem erscheint die heutige nicht von ungefähr als unübersichtlich. Bis vor 25 Jahren konkurrierten zwei Ordnungssysteme, zwei Blöcke, um die Vorherrschaft auf allen möglichen globalen Schauplätzen: Kapitalismus gegen Kommunismus, USA gegen Sowjetunion. Heute, in einer Welt der vielen Pole, ringen gerade diese beide ehemaligen Weltmächte um ein neues Selbstverständnis im Inneren und um ihre Rolle im Äußeren.
Ihre Präsidenten Trump und Putin knüpfen mit Macht und Emotion an die einstige Bedeutung an, als wäre es ein natürlicher Anspruch, auf den es sich zu besinnen gelte. Dabei wurden die Weichen dafür schon damals vor allem durch eine existenzielle Krise Europas gestellt – mit entscheidender Beteiligung Deutschlands und innerhalb weniger Tage, Anfang April des Jahres 1917. Es waren zentrale Geschehnisse eines der denkwürdigen Jahre der Weltgeschichte, einer der größten Umschwünge der Weltgeschichte, wie es der deutsche Offizier Harry Graf Kessler damals beschrieb.
Nach dem dritten Kriegswinter waren die Heimatfronten ausgezehrt, die Materialschlachten im Osten und Westen immer verheerender und immer verzweifelter. Die aufkommende Kriegsmüdigkeit war hüben wie drüben nur noch in Propaganda zur Fortsetzung des Kampfes umzumünzen durch die Behauptung: alles andere als ein „Siegfrieden“wäre die bis dato nie für möglich gehaltenen, aber nun tatsächlich erlittenen Verluste nicht wert gewesen. Da kam Bewegung ins katastrophal festgefahrene Geschehen.
Zuerst im Westen. Die Ausweitung des deutschen U-Boot-Krieges gegen die für die heimische Bevölkerung so verheerende britische Seeblockade hatte auch die Amerikaner in Mitleidenschaft gezogen. Diese hatten bis dahin die Ententemächte Großbritannien und Frankreich lediglich mit Kriegskapital und Rüstungsgerät unterstützt, dem Drang zum eigenen Kriegseintritt aber nie nachgegeben – mit diesem Versprechen hatte Woodrow Wilson kurz zuvor erst die Präsidentschaftswahl gewonnen.
Nun, am 6. April 1917, trat dieser doch vor den Kongress, um über die Kriegserklärung an Deutschland abstimmen zu lassen. Und die Bestätigung bedeutete den Antritt der USA in eine neue europa- und weltpolitische Rolle – auch, weil sie damit den Krieg im Westen entschied. Die nun verbündeten Frankreich und Großbritannien hatten sich damit auch einen Partner ins Boot geholt, von dem sie nicht nur längst finanziell abhängig waren, sondern der auch für das Ende ihrer bisherigen Weltordnung einstand. Woodrow Wilson nämlich sah als Hauptursache des Krieges die „Missachtung der Rechte von kleinen Nationen und Völkern, denen die Verbindungen und die Macht fehlten, ihre Ansprüche geltend zu machen und so ihre eigenen Bündnisse und politisch-konstitutionellen Formen zu bestimmen“. Er trat für deren Selbstbestimmung ein und damit gegen die Kolonialmächte, gegen multiethnische Großreiche. Ob Naher Osten oder Indien – es ging ein folgenreicher Ruck durch Welt …
Und dann die Bewegung im Osten. Obwohl die Februarrevolution in Russland zur Absetzung von Zar Nikolaus II. in Petrograd (Sankt Pe- tersburg) geführt hatte, waren jene deutschen Hoffnungen unerfüllt geblieben, die zweite Front würde sich somit schließen. Unter der Führung von Kriegsminister Alexander Kerenski setzte die neue Übergangsregierung die Kämpfe fort. Da kam die Oberste Heeresleitung unter der Vermittlung des preußisch gewordenen, für Wilhelm II. arbeitenden Russen Alexander Parvus auf die durchs Reich bis nach Petrograd chauffiert wurde.
Lenin sagte intern: „Wenn die deutschen Kapitalisten so dumm sind, uns nach Russland zu bringen, schaufeln sie damit ihr eigenes Grab.“Und ergänzte offiziell: „Ich nehme das Angebot an – ich fahre.“General Ludendorff schrieb: „Wir haben eine große Verantwortung auf uns genommen, indem wir Lenin nach Russland brachten, aber es musste sein, damit Russland fällt.“Ob er ahnte, wie groß die Verantwortung werden sollte? Jedenfalls wurde kurz darauf gemeldet: „Lenins Eintritt in Russland geglückt. Er arbeitet völlig nach Wunsch.“
Immerhin wurde der Oberbolschewik mit Jubel empfangen – ein erster Revolutionsversuch im Juli missglückte aber. Erst nach erneuter Flucht (diesmal nach Finnland) und überstürzter Rückkehr (nachdem er erfahren hatte, dass Österreich Russland und den Westmächten einen Separatfrieden angeboten hatte) zettelte Lenin mit der letzten Gunst des exklusiven Friedensversprechens die Oktoberrevolution erfolgreich an. Das führte tatsächlich zum Ende der Ostfront. Aber arbeitete Lenin wirklich nach Wunsch? Schon bald sagte er öffentlich: „Ich werde oft beschuldigt, in der Revolution mithilfe deutschen Geldes gesiegt zu haben. Diese Tatsache habe ich nie geleugnet – noch tue ich das jetzt. Ich will jedoch hinzufügen, dass wir mit russischem Geld eine ähnliche Revolution in Deutschland inszenieren werden.“
Nach dem verlustreich gewonnenen Bürgerkrieg ging es Lenin um die kommunistische Weltrevolution, den internationalen Bürgerkrieg. Und Woodrow Wilson ging es nach dem gewonnenen Weltkrieg auf der anderen Seite um internationalen Liberalismus und demokratische Interventionen im Namen des Kapitalismus. Die beiden Pole, die die Politik des 20. Jahrhunderts bestimmen sollten, waren geboren. Und damit eine verheerende Ausweitung des Prinzips vom Freund im Feind des Feindes. Zumindest diese Lehre sollte heute, 25 Jahre nach Ende jener Welt mit zwei Polen, doch eigentlich präsent sein. Mit Superlativen aus der Tierwelt beschäftigt sich das Nachschlagewerk „Superinsekten“, das die 100 lautesten, schnellsten und gefährlichsten Insektenarten vorstellt. Seine sehr gute Einführung macht deutlich, was Gliederfüßer sind und wie sie sich über Jahrmillionen fortentwickelt haben. Der unterschiedliche Körperbau von Spinnen, Krebstieren und Insekten, dazu die Schönheiten mancher Schmetterlinge werden mit vielen Details erläutert. Natürlich sind etliche Arten nicht nur bizarr bis abschreckend anzuschauen, sie sind mitunter auch lästig oder gar ausgesprochen gefährlich durch ihre Bisse oder Stiche. Als hochinteressant erweisen sich informative Steckbriefe wie auch Info-Boxen mit immer wieder verblüffenden Daten.
Größe, Nahrung, Verbreitung und Lebensraum der wichtigsten Insekten werden gut beschrieben. Faszinierend auch die Fülle der spektakulären Großdarstellungen einschließlich einzigartiger 3 D-Grafiken. Weil in Makrogröße Einblicke in das Innenleben und die Funktionsweise des Leuchtkäfers sowie in die „Fabrikationsanlage“der Seidenspinnerraupe ermöglicht werden, dürfte diese Ansammlung exzellenter Darstellungen konkurrenzlos auf dem Büchermarkt sein. (niew)
Aus d. Engl. von Eva Sixt; Dorling Kindersley, 208 S., 19,95 Euro – ab 8 Jahren
Erna ist elf Jahre und für ihr Alter ganz schön clever. Das hat auch damit zu tun, dass sie sich kein X für ein U vormachen lässt – auch nicht von ihren Eltern.
Die nehmen es nämlich mit der Wahrheit nicht so genau. Und deshalb schaut sie immer exakt hin und schlägt im etymologischen Wörterbuch nach, was sie nicht versteht. Zum Beispiel, warum „gemein“in derselben Wortfamilie ist wie „Gemeinschaft“. Da hat sich was verändert – vom Guten zum Schlechten; von dem, was allen gehört, hin zu wertlos und niederträchtig. Und damit kennt Erna sich aus. Schließlich wohnt sie in einem Gemeinschaftshaus und geht in eine Gemeinschaftsschule. Auch da ist nicht alles so, wie es sein sollte. Von wegen Gemeinschaft!
Erna erkennt, dass die Erwachsenen sich gerne etwas vormachen und manchmal das Gegenteil von dem sagen, was sie kurz zuvor behauptet haben. Aber was kann ein pummeli- ges Mädchen mit dem uncoolen Oma-Namen Erna schon dagegen machen? Manchmal fühlt sie sich bei all dem Ärger in der Schule und bei all dem Unverständnis der Erwachsenen vollkommen hilflos und würde am liebsten losheulen. Dann wieder könnte sie abheben vor lauter Glück.
Die Wahlberlinerin Anke Stelling, in Ulm geboren, hat mit ihren Romanen für Erwachsene schon einigen Erfolg gehabt. „Erna und die drei Wahrheiten“ist ihr erstes Kinderbuch. Es bleibt hoffentlich nicht ihr letztes. Denn so eine aufmüpfige Heldin auf der Höhe der Zeit findet man selten. (li)
cbt, 240 S., 12,99 Euro – ab 11 Jahre