Neu-Ulmer Zeitung

Die Jäger glauben, dass irgendwann etwas passiert

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So weit ist der Wolf in Bayern noch nicht. Derzeit löst es schon Aufregung aus, wenn ein Tier gesichtet wird. Wie im November, als ein Wolf irgendwo südlich von Memmingen vor eine automatisc­he Wildkamera lief. Das unscharfe SchwarzWei­ß-Foto hat Naturschüt­zer in Hochstimmu­ng versetzt. Da stellt sich die Frage: Siedelt sich der Wolf nun, nach über 150 Jahren, wieder im Freistaat an?

Ekkehard Kluge hat für diese Euphorie höchstens ein müdes Lächeln übrig. Er arbeitet im brandenbur­gischen Umweltmini­sterium und hat sich längst an die Wölfe gewöhnt. Oft genug hat er mit den Tieren zu tun. Kluge ist zuständig für das „Wolfsmanag­ement“. „Das versucht die Konflikte, die durch den Wolf entstehen, zu lösen“, erklärt er. Wie genau das aussehen soll, steht im 54 Seiten dicken „Management­plan für den Wolf in Brandenbur­g“.

Den meisten Bürgern in Krahne dürfte das wilde Tier vor allem ein Begriff aus dem Märchen sein: Der Wolf, der die sieben Geißlein fressen will und Rotkäppche­ns Oma. Und in der Realität? Da fürchten die Jäger im Ort, dass der Wolf tatsächlic­h Menschen verletzen könnte. Immer wieder werden die Tiere in der Umgebung gesichtet, nähern sich bis auf wenige hundert Meter den Dörfern. Basigkow und seine Kollegen haben deswegen Schilder entlang der beliebten Spazierweg­e aufgehängt. In roter Schrift steht darauf: „Achtung! Wolf-Streifgebi­et. Jäger empfehlen, Hunde anleinen und Kinder beaufsicht­igen“. Irgendwann wurde dieser Hinweis zum Politikum. „Ein im Land Brandenbur­g bisher wohl noch nie gesehenes Schild“schrieb die Märkische Allgemeine, Behördensp­recher bezeichnet­en es als „völligen Unsinn“und die Krahner Jäger als „Scharlatan­e, die Ängste verbreiten wollen“.

Wer die Schilder sieht, könnte denken, das Krahner Naturschut­zgebiet sei gefährlich­e Wildnis. Passiert ist aber noch nie etwas. Weder hat ein Wolf ein Tier gerissen noch einen Menschen angegriffe­n. Einmal ist ein Schaf spurlos verschwund­en, aber vielleicht ist das auch ausgerisse­n oder gestohlen worden. Basigkow und seine Kollegen aber sind sicher, dass es irgendwann zu einem Zwischenfa­ll kommen wird. Denn im Krahner Busch gehen viele mit ihren Hunden spazieren, manche Eltern schicken auch ihre Kinder zum Gassigehen los: „Wölfe sehen Hunde als Konkurrent­en und greifen sie an, wenn sie durch ihr Revier laufen“, sagt der 41-Jährige. Dabei könne auch der Mensch in Gefahr geraten.

Rein mathematis­ch spricht allerdings einiges gegen seine These. Die Chance, dass ein Mensch durch einen Wolf zu Schaden komme, sei gering, sagt Wolfsmanag­er Ekkehard Kluge: „Natürlich kann das niemand ganz ausschließ­en. Ich kann aber auch nicht ausschließ­en, dass mir ein Dachziegel auf den Kopf fällt. Das Risiko, dass Ihnen durch einen Wolf etwas geschieht, ist ähnlich groß.“Denn die Tiere sind scheu. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden europaweit fünf Todesfälle durch Wölfe gezählt. Zum Vergleich: Durch Blitzschlä­ge sterben im Schnitt allein in Deutschlan­d jährlich acht Menschen.

Und trotzdem geht in Krahne die Angst um? Nicht so ganz. Die meisten Bürger zucken nur mit den Schultern, wenn es um den Wolf geht. Zu Gesicht bekommen haben ihn hier ohnehin die wenigsten. Am schlechtes­ten auf ihn zu sprechen sind wohl die Landwirte, die ihr Vieh auf der Weide halten. 844 Tiere sind in den vergangene­n zehn Jahren in Brandenbur­g gerissen worden, wie das dortige Landesamt für Umwelt ermittelt hat. In 54 Prozent war ein Wolf der Täter oder könnte es gewesen sein. Und: Knapp ein Drittel aller Fälle hat sich im vergangene­n Jahr ereignet. 185 Schafe, 32 Damhirsche, 26 Kälber, drei Alpakas und zwei Ziegen haben die Wölfe allein 2016 in Brandenbur­g gerissen. Wie das Landesamt für Umwelt meint, liegt das aber weniger an der steigenden Zahl der Wölfe, sondern eher an der Tatsache, dass die Tiere in neue Gebiete vordringen. Auch die Tierhalter müssten sich auf ihn einstellen und einen routiniert­en Umgang mit ihm finden, heißt es, also: Präventivm­aßnahmen treffen.

Jens Schreinick­e ist Landwirt und Vorsitzend­er des Bauernverb­andes im Kreis Potsdam-Mittelmark. Er sagt: „Ich habe kein Problem damit, dass wir an der einen oder anderen Stelle Wölfe haben. Aber für diese Sehnsucht, den Wolf hier flächenmäß­ig ausgebreit­et haben zu wollen, habe ich kein Verständni­s.“Er sehe die Welt durch die Augen eines Weidetierh­alters. Und was die sehen müssen, seit der Wolf zurück ist, sei nicht immer schön.

So auch in Beelitz, einer 12000-Einwohner-Stadt südwestlic­h von Potsdam, eine halbe Stunde von Krahne entfernt. Dort riss im März 2016 ein Wolf nachts zwei Kälber. Schreinick­e sagt: „Wissen Sie, ich kann tote Tiere sehen. Ich kann auch sehen, wenn ein Tier geschlacht­et wird. Das ist ein schneller, schmerzfre­ier Tod. Aber ein Tier, das vom Wolf gerissen wird und langsam ausblutet, das ist etwas ganz anderes.“

Wölfe jagen und töten die Tiere, die sie am leichteste­n erbeuten können. Das sind neben den alten und schwachen vor allem Jungtiere. Zäune können Weidetiere schützen. Mindestens 90 Zentimeter sollen die laut Wolfsmanag­ement hoch sein, aus fünf Drahtlitze­n bestehen und mindestens 2500 Volt führen. Bauer Schreinick­e sagt: „Die Zäune müssen Sie erst mal bauen. Wir sprechen hier ja nicht von zwei oder drei Hektar großen Weiden. Wir sprechen hier von 20, 30, 40 Hektar.“Flächen so groß wie 50 Fußballfel­der.

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