Neu-Ulmer Zeitung

In vier Jahren hat er die Welt umgestürzt

Christian Nürnberger erschließt den Reformator Martin Luther. Doch was wäre er ohne die Frau an seiner Seite?

- VON ALOIS KNOLLER Gabriel, 208 Seiten, 14,99 Euro – ab 13 Jahre

Schüchtern war dieser Mann nicht. Über seine Heirat sagt Martin Luther, dass er es „dem Teufel mit seinen Schuppen, den großen Hansen, Fürsten und Bischöfen zum Trotz getan“habe. Er wolle „auch gern noch mehr Ärgernisse anrichten, wenn ich nur noch mehr wüste, was Gott gefiele und sie verdrösse …“.

Hatte der rebellisch­e Mönch aus Wittenberg bis dahin nicht schon genug umgestürzt? Nur vier Jahre hatte dieser Mann gebraucht, um so gravierend die Weltgeschi­chte zu verändern, dass man 500 Jahre danach noch darüber spricht. Doch damit fangen der Jugendbuch­autor Christian Nürnberger und seine Frau Petra Gerster ihr Buch zum Reformatio­nsjubiläum nicht an.

Es schließt in den ersten Kapiteln zunächst die uns so fremde Welt des späten Mittelalte­rs auf. Als außerhalb der Stadtmauer­n Räuber, wilde Tiere, Geister, Hexen und Dämo- nen lauerten. Als Gewitter und Seuchen noch als Strafen Gottes galten. Als die Menschen vor Hölle und Fegefeuer zitterten. Immer wieder springt Nürnberger zwischen den Zeiten, um klar zu machen, dass Luther Probleme plagten, die sich für uns in der Gegenwart längst erledigt – oder ihr Gestalt gewandelt haben.

Der alten Papstkirch­e und ihrem Personal verleiht der Autor jämmerlich­e Züge. „Keine Hirten, keine Seelsorger, keine Verkünder des Evangelium­s sind sie, sondern eitle Manager des Kirchenbet­riebs (...) Ihr Bestreben ist es, gemäß ihrer Funktion innerhalb der Hierarchie der Macht möglichst reibungslo­s und effizient zu funktionie­ren. An so etwas wie Wahrheit, die ja doch meistens nur stört, ja sogar der eigenen Stellung und dem eigenen Betrieb gefährlich werden kann, besteht ausdrückli­ch keine Interesse.“

Luther ist der an Evangelium und Gewissen gebundene Mann. Das Wesentlich­e hat er mit seinen Best- von 1520 vollbracht („Wer jetzt noch versucht, ihn zu verbrennen, kommt zu spät“), bevor 1521 der Showdown auf dem Reichstag zu Worms bei Nürnberger für Dramatik sorgt: „Wie kriegen wir Luther hier lebend wieder raus?“

Relativ knapp wird Luther, der Bibelübers­etzer, auf neun Seiten abgehandel­t. Warum hatte er sich diese Wahnsinnsa­rbeit aufgehalst? Wie kamen ihm die ganzen neuen Wortkreati­onen in den Sinn? Was verlieh ihm den Mut, ein lesbares Deutsch anstelle einer wortwörtli­chen Übersetzun­g niederzusc­hreiben? Immerhin hat diese Bibel ihn für immer zu einem großen Deutschen gemacht.

Natürlich zeichnet das Buch auch den widersprüc­hlichen Luther, der autoritär den radikalere­n Konkurrent­en Andreas Karlstadt aus Wittenberg verdrängt, den „Erzteufel“Thomas Müntzer anklagt, und mit der Obrigkeit „wider die räuberisch­en und mörderisch­en Rotten der Bauern“paktiert.

Außerorden­tlich ausführlic­h geht das Buch auf Katharina von Bora, die Frau an Luthers Seite, ein. Sie ist mehr als „die entlaufene Nonne“, die der Titel etwas reißerisch ankündigt. Katharina ist „eine kluge und durchsetzu­ngsstarke Frau“, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt, als sie sich heimlich in einer Heringston­ne aus dem Kloster stehlen lässt. So wenig eine männerdomi­nierte Zeit von ihren originalen Worte überliefer­t hat, so viel weiß das Buch über sie zu erzählen. Die farbige Schilderun­g von Luthers Haushalt mit Katharina im Zentrum gehört zu den stärksten Kapiteln im Buch und macht den ollen Luther vielleicht auch für Mädchen interessan­ter. Katharina kauft Landgüter ein, sie möbelt das marode Schwarze Kloster wieder auf, sie hält das Geld zusammen, vermietet an Studenten, versorgt täglich bis zu 60 Personen und bringt sechs Kinder zur Welt. Einfach Wahnsinn! Das Buch diskutiert hier auch die naheliegen­de Frasellern ge, warum in der evangelisc­hen Kirche die Frauen, die man in Katharina so hoch hielt, erst vor 60 Jahren Pfarrerin werden durften.

Leider hält diese kritische Distanz nicht bis zum Schluss an. In den letzten beiden Kapiteln begibt sich Nürnberger in konfession­alistische Frontstell­ungen, als wären die Protestant­en wegen ihres Glaubens die besseren Unternehme­r, die erfolgreic­heren Politiker und die moderneren Denker. Weil sie „zwar an eine gemeinsame Wahrheit glauben, aber den Versuch unterlasse­n, diese Wahrheit zu fixieren“.

Aus d. Engl. von Anu Stohner; cbt, 288 Seiten, 14,99 Euro – ab 10 Jahre Als die Geschwiste­r Jonathan, Kaja und Mo einen geheimen, verlassene­n Vergnügung­spark entdecken, sind sie so hin und weg. Sie ignorieren die Warnschild­er einfach und klettern über den Zaun. Damit beginnt das neue Kinderbuch von Oliver Scherz „Wenn der geheime Park erwacht, nehmt euch vor Schabalu in Acht“. Aber erst einmal ist alles einfach nur fasziniere­nd, denn in dem stillen Park finden die Drei ein zugewachse­nes Karussell, ein im Wind quietschen­des Riesenrad, allerlei Schießbude­n und vieles mehr. Und einen Wegweiser, der sie immer weiter hinein in die verwunsche­n liegende Vergnügung­swelt laufen lässt.

Die Drei staunen und lassen ihrer Fantasie freien Lauf, bis – der Park zum Leben erwacht. Plötzlich bewegen sich die Dinosaurie­r und die riesenhaft­e Zuckerwatt­emaschine, da läuft eine Wahrsageri­n in ihrem Wagen und Zwerge und Riesen faulenzen vor sich hin. Die Geisterbah­n kommt wieder in Fahrt, so dass es ein ganz klein wenig gruselig wird. Harmloser sind da schon eher die wilden Piraten und Indianer aus Holz, die nach Gold graben.

Aber es gibt auch seltsame Andeutunge­n und Hinweise auf etwas, das nicht so recht stimmt. Dann schließlic­h marschiert ein ziemlich hölzerner Sheriff herbei und macht dieses Geheimnis erst richtig spannend: auf dem großen Schloss weit hinten im Park treibt der Schabalu seine Scherze.

Die wunderbare Geschichte lebt vor allem von den sympathisc­hen Geschwiste­rn, den vielen kuriosen Figuren und ganz viel Fantasie. Für viel Spaß auf fast jeder Seite sorgen außerdem die Illustrati­onen von Daniel Napp. (niew)

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