Das sind die Süchte der Deutschen
Fast zwei Millionen Bundesbürger sind tablettenabhängig. Der Konsum von Medikamenten birgt Risiken und erhöht womöglich das Risiko für Alzheimer. Doch die größte Sucht der Menschen ist noch viel weiter verbreitet
In Deutschland sind mehr Menschen von Medikamenten abhängig als vom Alkohol. Das besagt das neue „Jahrbuch Sucht“der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, das am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Demnach sind bis zu 1,9 Millionen Menschen süchtig nach Arzneimitteln – knapp 1,8 Millionen sind es beim Alkohol.
Am stärksten betroffen von der medikamenten-Abhängigkeit sind Ältere und Frauen. Die Gründe sind nach Angaben des Gesundheitsexperten Gerd Glaeske vielfältig: Vor allem Frauen seien mit zunehmendem Alter von Depressionen betroffen. Auch Einsamkeit und finanzielle Schwierigkeiten tragen Glaeske zufolge dazu bei, dass diese häufiger Medikamente einnehmen. Die Folgen sind gefährlich. Konzentration und kognitive Fähigkeiten werden gedämpft, dadurch steigt beispielsweise die Gefahr zu stürzen. Neue Studien zeigen außerdem, dass das Risiko, an Demenz zu erkranken, womöglich durch Arzneimittel steigt. Das Risiko von Missbrauch und Abhängigkeit geht von immerhin vier bis fünf Prozent aller Medikamente aus, die häufig verschrie- ben werden. Gefährlich sind vor allem Schlaf- und Beruhigungsmittel wie Valium. Glaeske kritisierte die fehlende Transparenz und nahm insbesondere Ärzte in die Pflicht: Die Arzneimittel seien zwar notwendig, aber sie müssten kritisch so eingesetzt werden, dass es nicht zu einer Abhängigkeit kommt. Inzwischen werde mehr als die Hälfte solcher Beruhigungsmittel mit Privatrezepten verordnet. Dadurch können die Verschreibungen nicht systematisch ausgewertet werden. Auch von Schmerzmitteln, die zu rund 70 Prozent rezeptfrei erhältlich sind, geht ein Sucht- und Missbrauchsrisiko aus. Etwa 150 Millionen Packungen davon werden jährlich in Deutschland verkauft. Die genaue Zahl der Medikamentensüchtigen ist unbekannt, Glaeske und seine Kollegen müssen schätzen. Viele Erhebungen zum Thema Sucht hätten Lücken, kritisiert der Pharmakologe. Denn die vom Gesundheitsministerium geförderten Studien zum Arzneimittelkonsum würden nur Menschen erfassen, die höchstens 64 Jahre alt sind.
Das Jahrbuch Sucht fasst auch weitere Daten und Trends zusammen. Eine Veränderung gibt es bei Deutschlands beliebtestem Suchtmittel: Die Zahl der gerauchten Zigaretten ist im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um knapp acht Prozent gesunken – auf 75 Milliarden Zigaretten. Stark gestiegen ist hingegen der Konsum von Pfeifentabak – von 1732 Tonnen 2015 auf 2521 Tonnen im vergangenen Jahr. Das war ein Plus von mehr als 45 Prozent.
Martina Pötschke-Langer vom Aktionsbündnis Nichtrauchen kritisierte die aus ihrer Sicht laxe Gesetzgebung. Die Preise seien vergleichsund weise niedrig, Werbung sei in größerem Ausmaß erlaubt als anderswo. In einer EU-weiten Rangliste, die die Gesetzgebung zur Rauchprävention misst, landete Deutschland kürzlich auf dem vorletzten Platz. Nur Österreich schnitt schlechter ab.
Offenbar greifen inzwischen aber immer weniger Jüngere zum Glimmstängel. Kaum Veränderungen gebe es hingegen bei Rauchern, die älter als 35 Jahre sind. Daran ändern auch die E-Zigaretten nichts, die Pötschke-Langer kritisch sieht. Diese bewegten kaum einen Raucher zum Aufhören. Die Sucht sei zu stark. E-Zigaretten würden nicht anstatt herkömmlicher Zigaretten konsumiert, sondern oftmals zusätzlich. Insgesamt erkennt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen ein konstant hohes Niveau beim Konsum legaler und illegaler Drogen. Im Jahr 2015 trank der Durchschnittsbürger mit immerhin 9,6 Liter reinem Alkohol so viel wie im Jahr davor. Zugenommen hat die Zahl derer, die wegen der weiterhin häufigsten illegalen Droge Cannabis in Konflikt mit dem Gesetz geraten sind. Das liege aber auch daran, dass die Polizei dort inzwischen intensiver ermittelt. Der im Dönermesser-Prozess verurteilte 22-Jährige hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Das Urteil muss voraussichtlich vom Bundesgerichtshof geprüft werden. Das Tübinger Gericht hatte den Mann wegen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass er am 24. Juli 2016 in Reutlingen seine Freundin mit einem Messer aus einem Dönerimbiss getötet hat. Mit rotem Spray hat eine 86 Jahre alte Aktivistin in Bern die Absperrwand vor der Schweizer Nationalbank neu beschriftet. „Geld für Waffen tötet“, schrieb die Friedensaktivistin Louise Schneider. Die Polizei ließ nicht lange auf sich warten und nahm die Frau fest. Die Beamten halfen ihr freundlich über die hohe Einstiegskante in den Streifenwagen. Schneider ist keine Unbekannte: Sie ist Mitglied der Organisation „Schweiz ohne Armee“und hat zeitlebens gegen jede Form von Gewalt gekämpft.