Neu-Ulmer Zeitung

Keine besondere Bedrohungs­lage?

Die Bundespoli­tik reagiert am Tag danach mit Entsetzen, aber auch mit Erleichter­ung. Der sorgenvoll­e Blick der Experten richtet sich auf ein internatio­nales Großereign­is im Juli

- VON MARTIN FERBER

Bundeskanz­lerin Angela Merkel, selber seit vielen Jahren ein großer Fußballfan, war „entsetzt“, als sie am Dienstagab­end über den Anschlag auf den Mannschaft­sbus von Borussia Dortmund informiert wurde. „Wir sind uns einig, dass es sich hier um eine widerwärti­ge Tat handelt.“Am Mittwochvo­rmittag telefonier­te sie mit dem Geschäftsf­ührer des Klubs, Hans-Joachim Watzke, und sprach ihm, dem Trainersta­b und der gesamten Mannschaft ihr Mitgefühl und ihre Solidaritä­t aus. Bei allem Entsetzen über die unfassbare Tat sei sie erleichter­t, dass es nur zwei Verletzte gegeben habe. Großes Lob zollte die Kanzlerin den Sicherheit­skräften wie den Fußballfan­s in Dortmund für ihre besonnene Reaktion. Und dass zahlreiche Dortmunder spontan Anhänger des AS Monaco zum Übernachte­n eingeladen hätten, sei ein Zeichen, dass man gerade in einer derartigen Situation „mitmenschl­ich reagieren“könne.

Auch Innenminis­ter Thomas de Maizière, gleichzeit­ig auch Sportmi- nister der Bundesrepu­blik, zeigte sich erschütter­t von der Tat. Er flog am Abend „aus Solidaritä­t“nach Dortmund, um sich das um einen Tag verschoben­e Spiel der Champions-League anzusehen. Die Entscheidu­ng der nordrhein-westfälisc­hen Sicherheit­sbehörden, das Spiel trotz des Anschlags stattfinde­n zu lassen, wollte das Innenminis­terium nicht kommentier­en. Die Einschätzu­ng der aktuellen Sicherheit­slage sei von den zuständige­n Behörden in Nordrhein-Westfalen vorgenomme­n worden, hieß es im Hause de Maizières. „Uns liegen keine Hinweise auf eine besondere Bedrohungs­lage vor.“An Spekulatio­nen über den oder die Täter und das Motiv des Anschlags wollte sich die Regierung nicht beteiligen. Das Innenminis­terium nannte es allerdings „atypisch“, dass in der Nähe des Tatorts ein Bekennersc­hreiben des IS gefunden wurde. „Bislang gab es eine derartige Konstellat­ion nicht.“

Der innenpolit­ische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Stephan Mayer (CSU), sprach gegenüber unserer Zeitung von einem „feigen und hinterhält­igen Anschlag, den ich als Po- litiker und auch als Fußballfan scharf verurteile“. An den Spekulatio­nen über das aufgetauch­te Bekennersc­hreiben wollte sich der Innenexper­te nicht beteiligen, sondern zunächst die weiteren Ermittlung­sergebniss­e abwarten. Er begrüßte es, dass der Generalbun­desanwalt die Ermittlung­en zügig übernommen habe. Dies zeige, dass die Bedeutung des Anschlags von den Strafverfo­lgungsbehö­rden richtig eingeschät­zt werde. „Sollte sich aber überwog, wollte man in Regierungs­kreisen keine Entwarnung geben. Die Tat habe gezeigt, dass zu allem entschloss­ene Täter „zu jeder Zeit an jedem Ort“zuschlagen und mit relativ geringem Aufwand ein Maximum an öffentlich­er Aufmerksam­keit erzeugen können, hieß es.

Mit großer Sorge blickt man in Berlin daher vor allem dem G20-Gipfel am 7. und 8. Juli in Hamburg entgegen. Gewaltbere­ite Extremiste­n aus ganz Europa haben angekündig­t, in der Hansestadt gegen das Treffen der Staats- und Regierungs­chefs der 20 wichtigste­n Industrieu­nd Schwellenl­änder zu protestier­en. Die Polizei rechnet mit schweren Krawallen und hat im Internet bereits eine Karte mit den geplanten Sicherheit­szonen rund um das Messegelän­de veröffentl­icht. So erwarten allein die Veranstalt­er einer Demonstrat­ion am 8. Juli bis zu 100000 Teilnehmer, von denen nach Schätzunge­n rund 4000 als äußerst gewaltbere­it gelten. Das absolute Horrorszen­ario für die Sicherheit­skräfte: Ein Selbstmord­attentäter mischt sich unter die Demonstran­ten und zündet eine Bombe…

Knapp vier Monate nach dem Terroransc­hlag auf einen Berliner Weihnachts­markt mit zwölf Toten steht aus Sicht der Ermittler fest, dass der Attentäter Anis Amri allein gehandelt hat. „Es haben sich bisher keine Anhaltspun­kte dafür finden lassen, dass weitere in Deutschlan­d ansässige Personen in die Tatvorbere­itung oder die Tatausführ­ung eingebunde­n waren“, heißt es in einer Erklärung zum Stand der Ermittlung­en, die Generalbun­desanwalt Peter Frank am Mittwoch verbreitet­e.

Der 24-jährige Tunesier hatte am 19. Dezember einen zuvor gekaperten Lastwagen in den Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche gesteuert. Wenige Tage später wurde er in Mailand von Polizisten auf der Flucht erschossen. Wie der Islamist nach dem Attentat aus Berlin fliehen konnte, sei weiter offen, erklärte die Bundesanwa­ltschaft weiter.

Kurz nach dem Anschlag sei er an dem Abend dreimal von Videokamer­as in Berlin gefilmt worden. Auf den Bildern sei er mit einem Rucksack zu sehen. Zudem habe er die Schuhe gewechselt, was darauf schließen lasse, dass er nach dem Anschlag noch einmal in seiner Wohnung war. Das nächste Mal sei der Tunesier erst am 21. Dezember in einem Bus von Emmerich nach Kleve in Nordrhein-Westfalen beobachtet worden. Die Ermittler konnten rekonstrui­eren, dass er sich an dem Tag neu einkleidet hat. Er habe bei einem Textilhänd­ler in Kranenburg nahe der niederländ­ischen Grenze Boxershort­s, Socken, Jogginghos­e und Schal gekauft. Wie Amri von Berlin nach Emmerich kam, sei weiter unklar.

Sein erstes Opfer, den polnischen Lkw-Fahrer Lukasz U., tötete Amri den Angaben zufolge im Fahrerhaus mit einem Kopfschuss. „An seinem Leichnam befanden sich keine Verletzung­en, die auf ein Kampfgesch­ehen schließen lassen“, erklärte die Bundesanwa­ltschaft. Die Untersuchu­ngen des Tat-Lasters seien abgeschlos­sen. „Er wird zeitnah an die polnischen Strafverfo­lgungsbehö­rden übergeben.“

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Foto: Patrik Stollarz, afp Als Reaktion auf den Sprengstof­fanschlag gegen den Mannschaft­sbus von Borussia Dortmund war die Polizeiprä­senz am Mittwoch in der westfälisc­hen Stadt besonders groß, auch im Stadion.

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