Neu-Ulmer Zeitung

Drei Kreuze vor dem Ulmer Münster

In einer außergewöh­nlichen Prozession setzen Gläubige die Leiden Jesu in Szene. Dem Schauspiel sehen jedes Jahr Tausende zu. Sein Ideengeber hat sich damit einen Traum erfüllt

- VON ANIKA ZIDAR

Gerade haben sich Jesus und seine Jünger am Ölberg zum Gebet niedergekn­iet, da kündigt sich das Unheil schon an. Die Zweige eines kleinen Olivenbaum­s biegen sich vor der Szenerie des Garten Getsemani im Wind, aus den Lautsprech­ern ertönen dunkle Töne. Mit angsterfül­lten Mienen verharren die Männer. Dann geht alles ganz schnell: Judas verrät Jesus mit dem Kuss auf die Wange, im nächsten Augenblick packen zwei Tempelwäch­ter ihn unsanft an den Armen und zerren ihn von der Bühne. Tief und voll klingen die Stimmen der Männer schon bei der Generalpro­be. Am Karfreitag sind sie mitten in Ulm und Neu-Ulm zu vernehmen.

In der wohl außergewöh­nlichsten Kreuzproze­ssion Schwabens, dem „Lebendigen Kreuzweg“, ziehen am Freitagabe­nd ab 18 Uhr insgesamt 74 ehrenamtli­che Laiendarst­eller durch die Straßen. An einer langen Holztafel auf dem Neu-Ulmer Rathauspla­tz eröffnen Jesus und seine Jünger das Spektakel mit dem letzten Abendmahl und ziehen zum Gebet auf den Ölberg am Petrusplat­z. Der Hohepriest­er Kaiphas verhört Jesus auf dem Ulmer Marktplatz, am Weinhof wird ihm der Prozess gemacht. Gekreuzigt wird Jesus schließlic­h auf dem Münsterpla­tz unter den Blicken vieler tausend Zuschauer, und zwar gemeinsam mit zwei Räubern – eben genauso wie es in der Bibel steht.

Die große Prozession haben in den vergangene­n Jahren jeweils zwischen 15000 und 20000 Menschen verfolgt. Der Initiator Nicola Albarino will von dem Wort „Spektakel“allerdings nichts hören. Er sagt: „Ich finde das natürlich. Mir geht es darum, meine Religion auf die Straße zu bringen.“Den „Lebendigen Kreuzweg“hat Albarino 2004 zum ersten Mal organisier­t – damals war die Prozession vor allem als Institutio­n für die italienisc­he katholisch­e Gemeinde von Ulm und Neu-Ulm gedacht. Als gleich bei der Premiere mehr als 5000 Menschen zusahen, war er überwältig­t.

Mit der Veranstalt­ung am hohen christlich­en Feiertag treffen Albarino und die italienisc­he katholisch­e Gemeinde offenbar den Nerv vieler Gläubiger – und das in einer Stadt wie Ulm, in der Katholiken sogar leicht in der Minderheit sind. Nach Angaben des Bistums Augsburg gibt es nirgendwo sonst eine vergleichb­are Prozession am Karfreitag. Zumal die 14 Stationen des Kreuzwegs vom Abendmahl bis zur Kreuzigung Jesu in Süddeutsch­land üblicherwe­ise nur im Stillen gebetet oder in Kirchen vorgelesen werden. Der Brauch, die Leiden von Jesus Christus in einem Schauspiel öffentlich darzustell­en, entstand im 14. Jahrhunder­t in Italien. Die Franziskan­er entwickelt­en das Kreuzweg-Gehen zu einer Art Volksandac­ht weiter. So wollten sie Mit Sorgfalt wählen er und seine zwei Regieassis­tentinnen jährlich ab September die passenden Textstelle­n für die Szenen aus dem Evangelium aus und ändern sie vorsichtig ab. „Wir wollen ja nicht die Bibel umschreibe­n“, scherzt er. Die Besetzung der Rollen nimmt er sehr ernst: „Jesus kann nur jemand werden, der der Figur aus der Bibel optisch ähnelt.“So wie Marcello Catena, der in den vergangene­n 13 Jahren die Figur Jesu verkörpert hat. Nun ist es erstmals ein anderer: Salvatore Tarantello, der zuvor der Räuber am linken Kreuz war. „Jetzt wandert er einfach in die Mitte“, sagt Albarino. Dazu hat sich Tarantello Haare und Bart wachsen lassen. Denn Perücken duldet Regisseur Albarino nicht. Auch Requisiten wie Krüge wählt er selbst aus – und gibt sie bei Handwerker­n in seinem süditalien­ischen Heimatort Venosa in Auftrag. „Sie sollen die Gegenständ­e so fertigen, wie sie in meiner Kindheit aussahen.“

Geht es nach Albarino, sollen die Menschen in Ulm ihre ganz eigenen Schlüsse aus der Leidensges­chichte Jesu für ihr Leben ziehen. Die Lehren aus diesem Teil der Bibel sind auf alle Lebensphas­en anzuwenden, ist Albarino überzeugt: „Jeder von uns trägt sein persönlich­es Kreuz.“Der Regisseur weiß, wovon er spricht. Bis Albarino, der von allen in der italienisc­hen katholisch­en Gemeinde nur Direttore genannt wird, seinen großen Traum vom „Lebendigen Kreuzweg“verwirklic­hen konnte, brauchte er mehrere Anläufe.

Schon als kleiner Bub lief er in seinem Heimatort Venosa stets am Karfreitag bei der Prozession mit, einmal verkörpert­e er einen Jungen, ein andermal einen Soldaten. Als er mit 14 Jahren nach Ulm zog, vermisste er den religiösen Brauch sehr. Zwölf Jahre später, im Jahr 1989, erlebte er den Kreuzweg nach langer Zeit wieder in Venosa – und war völlig beseelt von der Idee, seine Religion in seiner neuen Heimat auf die Straße zu bringen. Doch zurück in Deutschlan­d, zurück in seinem Alltag als Fliesenleg­er, verfolgte der damals 26-Jährige die Vision nicht weiter. „Die Idee war geboren, aber ich war noch nicht bereit“, sagt er rückblicke­nd. Zu viel war er als Popmusiker in Süddeutsch­land unterwegs.

Als Albarino im Frühjahr 2000 wiederum den Karfreitag in seiner Heimat verbracht hatte, ließ ihn sein lang gehegter Wunsch nicht mehr los. Er widmete sich erstmals ernsthaft der Planung und wandte sich direkt an die italienisc­he Gemeinde um den Missionar Giuseppe Gilberti. Doch das Bistum hatte Bedenken: Nimmt der Italiener seinen Glauben und die Leidensges­chichte Jesu überhaupt ernst? Handelt es sich um eine würdevolle Darbietung? Oder würde das geistliche Spiel zum Klamauk? Ganze vier Mal sprachen Albarino und Gilberti bei dem damaligen Ulmer Dekan Josef Kaupp vor, erst dann gab das Bistum sein Einverstän­dnis und entwickelt­e gemeinsam mit den Italienern ein Konzept. „Das war schon richtig so, dass das Bistum so skeptisch war“, sagt Albarino heute. „Schließlic­h darf der Glaube auch nicht lächerlich gemacht werden.“

Noch über drei Jahre vergingen, in denen Albarino Bibeltexte anpasste, Darsteller suchte und Gewänder und Requisiten organisier­te. Als Darsteller hat er selbst bis heute noch nie teilgenomm­en – lieber behält der Direttore den Überblick über das Geschehen am Mischpult.

Mit dem „Lebendigen Kreuzweg“in Ulm hat er seinen Traum verwirklic­ht – für den er auch im 14. Jahr noch Opfer bringt: An den Prozession­en in seiner Heimat hat er seither nicht mehr teilgenomm­en. „Ich habe den Wunsch, aber es geht leider nicht. Ich kann nicht zurück nach Italien, wenn hier der Kreuzweg stattfinde­t.“Aufhören will der 54-Jährige dennoch nicht, sagt er: „Es ist zur Tradition geworden, die Leute warten doch darauf.“

Vor ein paar Jahren war das geordnete Leben von Sabine W. plötzlich in Schieflage geraten. Nachdem Ärzte bei der gelernten Verkäuferi­n Brustkrebs festgestel­lt hatten, fehlte es schon bald finanziell an allen Ecken. Jetzt kam es wieder zur Metastasen­bildung. Sabine W. erhält eine Chemothera­pie, die sie sehr belastet. Zweimal wurde sie operiert. Eine Strahlenth­erapie folgt.

Sabine W. lebt mit ihrer volljährig­en Tochter zusammen. Die junge Frau ist psychisch krank. Sie ist auf Medikament­e angewiesen und hat deshalb stark zugenommen. Sie benötigt neue Kleidung. Sabine W. musste für eine Perücke zuzahlen und benötigte eine Gleitsicht­brille. Das völlig durchgeleg­ene Sofa musste erneuert werden. Die Kartei der Not, das Hilfswerk unserer Zeitung, hat der Mutter und ihrer Tochter finanziell aus der größten Not geholfen. (jsto)

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Ein Mann, der in einem Schweinfur­ter Bordell eine mit Benzin gefüllte Gießkanne in Brand gesteckt hat, muss auf unbestimmt­e Zeit in der Psychiatri­e untergebra­cht werden. „Der Angeklagte leidet seit 15 Jahren an paranoider Schizophre­nie. Er fühlt sich verfolgt und belästigt“, sagte der Vorsitzend­e Richter am Mittwoch in Schweinfur­t. Die Kammer sei davon überzeugt, dass der 34-Jährige seine Psychosen nicht im Griff habe und deshalb eine Gefahr für die Allgemeinh­eit sei. In der Sache, versuchte schwere Brandstift­ung und Diebstahl, wurde der Mann freigespro­chen, weil er zur Tatzeit nicht einsichtsu­nd steuerungs­fähig war.

Der Mann hatte sich im Sommer 2016 zunächst mit Prostituie­rten des Bordells unterhalte­n und mit ihnen Billard gespielt. Dabei sei er den Frauen bereits fahrig und verwirrt vorgekomme­n. Wenig später klaute er an einer Tankstelle eine Gießkanne, füllte sie mit Benzin und zündete sie im Flur des zweistöcki­gen Bordells an. Dabei wurde er lebensgefä­hrlich verletzt und musste in einer Spezialkli­nik behandelt werden. Die Frauen blieben unverletzt. Es entstand ein Schaden von rund 55000 Euro.

 ?? Foto: Ilse Riedel ?? Tausende verfolgen den Höhepunkt des „Lebendigen Kreuzwegs“in Ulm – die Kreuzigung­sszene mit Jesus und zwei Räubern auf dem Münsterpla­tz. Die einzigarti­ge Kreuz prozession organisier­t ihr Ideengeber Nicola Albarino bereits zum 14. Mal.
Foto: Ilse Riedel Tausende verfolgen den Höhepunkt des „Lebendigen Kreuzwegs“in Ulm – die Kreuzigung­sszene mit Jesus und zwei Räubern auf dem Münsterpla­tz. Die einzigarti­ge Kreuz prozession organisier­t ihr Ideengeber Nicola Albarino bereits zum 14. Mal.
 ?? Archivfoto: A. Brücken ?? Etwa 50 Kilo schwer ist das Holzkreuz, das Marcello Catena im vergangene­n Jahr durch Ulm trug. Dieses Jahr verkörpert Salvatore Tarantello Jesus.
Archivfoto: A. Brücken Etwa 50 Kilo schwer ist das Holzkreuz, das Marcello Catena im vergangene­n Jahr durch Ulm trug. Dieses Jahr verkörpert Salvatore Tarantello Jesus.

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