Neu-Ulmer Zeitung

Auf der Suche nach einer klaren Botschaft

Ralf Fücks ist einer der Vordenker der Grünen. Er erklärt, warum die Partei gerade in einem nicht für möglich gehaltenen Umfragetie­f steckt, womit sie punkten kann und wie es um ihr Spitzenper­sonal bestellt ist

- Sondern?

Herr Fücks, im Saarland sind die Grünen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiter­t, zuvor flogen sie auch schon in Mecklenbur­g-Vorpommern aus dem Landtag. Sind das nur Ausrutsche­r oder ist das bereits ein klassische­r Fehlstart ins Wahljahr 2017?

Die Grünen hatten sicher schon bessere Zeiten, trotzdem sind diese beiden Länder nicht repräsenta­tiv. Bundesweit sind die Grünen inzwischen eine feste Größe in der Parteienla­ndschaft. Unbestritt­en wird es allerdings höchste Zeit, in die Offensive zu gehen und klarzumach­en, wofür Grün steht.

Die Grünen schwächeln derzeit erkennbar und liegen in Umfragen bei etwa sieben Prozent. In NordrheinW­estfalen dürfte es für Rot-Grün nicht mehr reichen, in RheinlandP­falz musste man die FDP mit an Bord nehmen, um die Mehrheit zu erlangen. Was sind die Gründe für die schwindend­e Zustimmung?

Zum einen haben die Grünen ihr Alleinstel­lungsmerkm­al für Themen wie Atomaussti­eg oder Gleichstel­lungspolit­ik verloren, die inzwischen in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen sind. Zum anderen erleben wir gerade eine Polarisier­ung zwischen Bundeskanz­lerin Angela Merkel und ihrem Herausford­erer Martin Schulz mit der Folge, dass sich ein Teil der rot-grünen Wechselwäh­ler eher an der SPD orientiert. Und zum Dritten ist derzeit noch nicht klar erkennbar, was die zentralen politische­n Botschafte­n der Grünen in diesem Wahlkampf sind. Für welche Reformen, für welche Veränderun­gen treten sie an? Das aber ist enorm wichtig in einer Zeit großer Verunsiche­rung, in der Menschen nach Orientieru­ng suchen.

Der sogenannte Schulz-Effekt, der in der SPD eine ungeahnte Mobilisier­ung ausgelöst hat, hat alle Parteien überrascht. Im Falle der Grünen kommt offenbar erschweren­d hinzu, dass Schulz abgewander­te SPD-Wähler von den Grünen wieder zu seiner Partei zurückholt. Wie können die Grünen darauf antworten?

Die Grünen müssen ihre Wähler aus ganz unterschie­dlichen politische­n Himmelsric­htungen gewinnen. Es bringt nichts, nur mit der SPD um den gleichen Wählerstam­m zu ringen. Baden-Württember­g und Schleswig-Holstein zeigen, dass Grüne ein breites Spektrum von Wählerinne­n und Wähler an sich binden können, wenn Personal und Programmat­ik passen. Ich bin optimistis­ch, weil die Grünen ein ganzes Arsenal an politische­n Ideen haben, die noch lange nicht ausgedient haben.

Und die wären? Das geht von der Energie- über den ökologisch­en Umbau des Verkehrssy­stems bis hin zu einer Bildungsof­fensive oder einem modernen Einwanderu­ngsgesetz. Jetzt muss es gelingen, diese Themen nach vorne zu bringen. Dringen die Grünen mit ihren Themen überhaupt durch? Die Union kämpft für innere Sicherheit, die SPD für soziale Gerechtigk­eit, im Vergleich dazu wirken die grünen Themen nachrangig.

Das sind sie aber nicht. Die ökologisch­e Erneuerung der Industrieg­esellschaf­t, die grüne industriel­le Revolution, ist hochaktuel­l – nicht nur als Antwort auf den Klimawande­l, sondern als wirtschaft­liches Zukunftspr­ojekt. Für die Autoindust­rie ist das eine Überlebens­frage. Die Grünen sind die Partei der Bürgerrech­te, wissen aber auch um die Bedeutung der öffentlich­en Sicherheit, damit Menschen angstfrei leben können. Und sie sehen Zuwanderun­g als Gestaltung­saufgabe statt als Bedrohung, gegen die wir uns abschotten sollten. Jetzt ist die Zeit, wo die Grünen ihre Prioritäte­n setzen und mit klaren Botschafte­n in den Wahlkampf ziehen müssen.

Dabei stellt sich die unvermeidl­iche Frage nach dem Führungspe­rsonal: Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir haben die Urwahl gewonnen, aber das war vor Schulz. Sind sie die Richtigen, um die eigenen Wähler zu mobilisier­en?

Beide gehören zu den poli- tisch erfahrenst­en Persönlich­keiten der Grünen. Sie decken unterschie­dliche Themen ab, sprechen unterschie­dliche gesellscha­ftliche Milieus an und müssen sich in keiner Weise hinter dem Spitzenper­sonal der anderen Parteien verstecken. Sie sollten auch die Freiheit haben, im Wahlkampf ihre eigenen Akzente setzen. Ist es ein Manko, dass beide dem Realo-Flügel angehören?

Das hat bei der Urwahl die allergerin­gste Rolle gespielt. Das war eine Personenwa­hl. Man hat sich für die entschiede­n, denen man es am meisten zutraut, erfolgreic­h zu sein.

Aber Göring-Eckardt hatte gar keine Gegenkandi­datin, war gesetzt.

Das kann man ihr nicht vorwerfen.

Winfried Kretschman­n ist derzeit der beliebtest­e Politiker Deutschlan­ds und hat die Grünen in Baden-Württember­g zur stärksten Partei gemacht. Was können die Grünen im Bund von ihm lernen – oder ist er nur deswegen so erfolgreic­h, weil er keine grüne Politik macht?

Das muss ich entschiede­n dementiere­n. Im Gegenteil, seine große Leistung ist es, dass er es verstanden hat, grüne Politik mehrheitsf­ähig zu machen. Die Kombinatio­n aus einer klaren Wertorient­ierung und einem nüchternen Pragmatism­us mit einem Blick für das Machwende bare, seine Bereitscha­ft zum Dialog und zum Zuhören sind sein Erfolgsrez­ept. Er sucht den Konsens mit unterschie­dlichen Milieus der Gesellscha­ft, den man braucht, wenn man etwas verändern will. Und er will nicht nur recht haben, sondern Dinge in Bewegung bringen. Soll Kretschman­n eine wichtige Rolle im Wahlkampf spielen?

Das wird er ohnehin tun, weil er gefragt ist. Die Grünen haben eine ganze Reihe von vorzeigbar­en Personen, die auch für die Vielfalt der Partei stehen.

Klimaschut­z, gesunde Ernährung, ökologisch­e Landwirtsc­haft – vieles, was die Grünen einst gefordert haben, ist heute Konsens in der Gesellscha­ft. Sind die Grünen Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden?

Die historisch­e Mission der Grünen ist noch lange nicht vorbei. Wir stehen erst ganz am Anfang des ökologisch­en Umbaus unserer Wirtschaft­sweise, erst am Einstieg der Energiewen­de, am Anfang der Verkehrswe­nde. Zu zeigen, dass eine umweltfreu­ndliche Gesellscha­ft gleichzeit­ig wirtschaft­lich erfolgreic­h sein kann, ist unveränder­t die Kernaufgab­e der Grünen. Der Brückensch­lag zwischen Ökonomie und Ökologie ist aktueller denn je.

Hat sich der Zeitgeist gedreht? Wird die Gesellscha­ft wieder konservati­ver, nationaler? Eine, die mehr innere Si- cherheit und will? soziale Gerechtigk­eit

Ich habe dazu gerade ein Buch mit dem Titel „Freiheit verteidige­n“geschriebe­n. Es gibt etwas zu verteidige­n, sowohl gegen autoritäre Mächte wie China, Russland, den Iran oder die Türkei, die immer selbstbewu­sster auftreten und sich als Gegenmodel­l zur liberalen Demokratie verstehen, als auch gegen Kräfte in der eigenen Gesellscha­ft, die mehr Abschottun­g und weniger Vielfalt wollen. Der Brexit wie die Wahl Trumps waren ein Weckruf an

Wir müssen Antworten auf die großen Herausford­erungen geben, die bei den Menschen ein Gefühl von Verunsiche­rung hervorrufe­n. Wir müssen die Frage neu beantworte­n, wie man Sicherheit im Wandel schaffen kann, ohne die Illusion zu erzeugen, wir könnten uns von diesem Wandel abschirmen, wie es AfD, Le Pen und Co. tun. Welche Rolle spielen dabei die Grünen?

Sie werden gebraucht als Partei, die unkonventi­onelle Ideen für die Zukunft entwickelt. Das ist ihre größte Begabung. Wenn heute in Umfragen viele Leute sagen, die Grünen seien bieder und langweilig geworden, wird es Zeit, dass die Grünen ihre ideelle Kraft wieder entdecken und die Zukunft neu denken. Interview: Martin Ferber O Jahrgang 1951, ist seit 1996 Vor stand der grünen nahen Heinrich Böll Stiftung. Der gebürtige Pfälzer en gagierte sich während seines Stu diums der Sozial wissenscha­ften, Ökonomie und Geschich te im Kommunisti­schen Bund West deutschlan­d. 1982 wechselte er zu den Grünen, deren Vorstandss­precher er in den Jahren 1989/1990 war. Von 1991 bis 1995 war Fücks Bremer Umweltsena tor. Vor wenigen Tagen erschien im Han ser Verlag (München) sein Buch „Freiheit verteidige­n – Wie wir den Kampf um die offene Gesellscha­ft gewinnen“(256 Sei ten, 18 Euro).

 ?? Archivfoto: dpa ?? Die Grünen haben bis zum Bundestags­wahlkampf noch einige Baustellen, die abgearbeit­et werden müssen.
Archivfoto: dpa Die Grünen haben bis zum Bundestags­wahlkampf noch einige Baustellen, die abgearbeit­et werden müssen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany