Neu-Ulmer Zeitung

Philipp Kohlschrei­ber – ein Unvollende­ter

Der Augsburger war viele Jahre der beste deutsche Tennisspie­ler. Er galt als schwierig und eigenwilli­g. Nächste Woche in München will er wieder zeigen, dass er reifer geworden ist – und weiter seinen Traum verfolgen

- VON ANDREAS KORNES

Besuch in Oberhachin­g. Die Sonne brennt vom stahlblaue­n Himmel. Es ist einer der ersten warmen Frühlingst­age. Philipp Kohlschrei­ber rinnt der Schweiß über die Stirn. Der 33-Jährige trainiert Auf- schläge. Konzentrie­rt. Präzise. Explosiv. Knapp drei Stunden steht der gebürtige Augsburger unter den Augen seines Trainers und Managers Stephan Fehske auf dem Platz.

Die beiden sind auch abseits des Platzes gut befreundet. „Ich brauche eine gute Beziehung zu meinem Training und dann tschüss, das kann ich nicht“, sagt Kohlschrei­ber später am Nachmittag. Frisch geduscht sitzt der Tennisprof­i auf einem Plastikstu­hl. Zwei ältere Herren wollen gerade eine Runde Tennis spielen, als sie Kohlschrei­ber entdecken. „Das glaubt mir meine Frau nie“, sagt der eine und bittet um ein gemeinsame­s Beweisfoto. Souverän lächelt Kohlschrei­ber in die Handykamer­a.

Jetzt, im Herbst seiner Karriere, wirkt er entspannt, ausgeglich­en, offen. Das war nicht immer so. Kohlschrei­ber hat im Laufe seiner Karriere oft für Reibung gesorgt. Mit dem damaligen DaviscupTe­amchef Patrick Kühnen zoffte er sich 2012 in aller Öffentlich­keit. Der Streit endete mit dem Rücktritt Kühnens. Als Kohlschrei­ber im gleichen Jahr seine Olympia-Teilnahme in London wegen einer Verletzung kurzfristi­g absagte, hagelte es Kritik von allen Seiten. Auch Deutschlan­ds Tennis-Heroen Boris Becker und Michael Stich meldeten sich zu Wort. Kohlschrei­ber wehrte sich. Nicht immer diplomatis­ch. Der Augsburger ist keiner, der mit seiner Meinung hinter dem Berg hält. In einer Welt voller glattgebüg­elter Sportler und nichtssage­nder Phrasen ist das eine wohltuende Abwechslun­g.

Inzwischen ist es ruhiger geworden um den derzeit 31. der Weltrangli­ste. Mit Kühnen pflegt er wieder ein ordentlich­es Verhältnis. Mit Becker ohnehin. Zu sagen, Kohlschrei­ber habe sich angepasst, ist dennoch falsch. Vielmehr hat er aus seinen Erfahrunge­n gelernt. „Ich habe mir ja schon den ein oder anderen Fauxpas geleistet“, sagt er mit einem breiten Grinsen. Früher habe er sich schnell angegriffe­n gefühlt, in die Ecke gedrängt von der öffentlich­en Meinung. Seine Reaktionen seien dementspre­chend ausgefalle­n. „Inzwischen bin ich viel entspannte­r und weiß mit solchen Situatione­n umzugehen. Ich will trotzdem nicht nur glatt sein, aber diese ganzen Nebenkrieg­sschauplät­ze mit schlechter Presse – das kostet nur Energie.“

Aus dem nassforsch­en Kohlschrei­ber von einst ist ein reflektier­ter Sportler geworden. Einer, der so wahrgenomm­en werden will, wie er ist. „Wenn in der Öffentlich­keit ein schlechtes Bild entsteht, denkt man sich schon: So bin ich doch gar nicht, ich bin doch eigentlich gar kein negativer Mensch.“Trotzdem sei er froh über die Fehler, die er gemacht hat. „Sie haben mich geprägt. In den letzten Jahren habe ich mich dann aber nicht mehr in jedes Fettnäpfch­en gesetzt. Ich hau schon gerne immer noch einen Spruch raus, aber ich kann auch mal ruhig sein und mir meinen Teil nur denken.“

Diese neue Lockerheit hat Kohlschrei­ber auch auf den Tennisplat­z mitgenomme­n. Aus dem verbissene­n Perfektion­isten ist ein Spieler geworden, „der auch mal mit schlechter­en Schlägen zufrieden ist“. Beim Sandplatzt­urnier in Marrakesch musste er sich Mitte April erst im Finale dem Kroaten Borna Coric geschlagen geben. In Barcelona dagegen scheiterte er unter der Woche schon in der ersten Runde. Nun wird er ab nächster Woche in München versuchen, seinen Titel bei den BMW Open zu verteidige­n. Dort könnte er auch auf die neue deutsche Nummer eins Alexander Zverev treffen. Ganz sicher treffen wird er einen alten Bekannten aus Augsburger Tagen. Steffen Haufe war einer von Kohlschrei­bers Jugendtrai­nern beim TC Augsburg. Er erinnert sich noch gut an seinen einstigen Schützling. „Philipp war immer voller Ideen und sehr umtriebig“, erzählt er mit einem Schmunzeln. „Ihm hat der nötige Ernst bisweilen gefehlt.“

An eine große Tenniskarr­iere, wie sie Kohlschrei­ber später dann gelang, sei damals noch nicht zu denken gewesen. „Sicherlich hatte Philipp ein gutes Händchen und Gefühl. Aber dass er einmal so gut wird, hat man damals noch nicht sehen können“, sagt Haufe. Beim TCA lernte Kohlschrei­ber die Grundlagen des Tennisspie­lens. Mit 14 Jahren ging er dann nach München auf ein Internat. „Schon vorher hat mich mein Papa drei-, viermal zum Training rübergefah­ren“, erzählt Kohlschrei­ber. In Augsburg habe es nicht mehr die richtigen Trainingsp­artner gegeben. „Für meine Mutter war es unglaublic­h schwer, ihr einziges Kind nach München abzugeben. Sie hat viel von meiner Entwicklun­g nicht mitbekomme­n.“Nur noch an den Wochenende­n sei er ab und zu nach Hause gefahren, „wenn gerade kein Turnier anstand“.

Am Ende seiner Schulzeit habe er dann aber gemerkt, dass er Profi werden wolle. „Die mittlere Reife habe ich noch gemacht – dank meiner Mama, die darauf bestanden hat. Dafür bin ich ihr dankbar, denn ich sehe es ja an meinen früheren Spielkamer­aden: Wie viele haben es geschafft? Die meisten nicht.“

Kohlschrei­ber schaffte den Durchbruch mit seinem ersten Sieg in München 2007. „Das hat mir einen riesigen Push gegeben. Der Sieg hat mir gezeigt, dass ich tatsächlic­h so ein Turnier gewinnen kann. Das war ein echter Meilenstei­n.“Kohlschrei­bers Karriere ist aber auch geprägt von großen Niederlage­n. Mancher sagt, in den entscheide­nden Situatione­n habe ihm das gewisse Etwas gefehlt, um ein ganz Großer zu werden.

2008 etwa bei den Australian Open. Sensatione­ll setzte sich Kohlschrei­ber dort gegen Andy Roddick durch – und verlor dann im AchtelTeam. finale gegen den vermeintli­ch schwächere­n Jarkko Nieminen. „Das hat mir damals sehr wehgetan. Das Ding hätte ich einfach gewinnen müssen. Vielleicht wäre dann noch mehr passiert in meiner Karriere – hätte, wenn und aber. Ich bin trotzdem ein in mir ruhender Mensch.“

Seinen bislang größten Erfolg schaffte Kohlschrei­ber 2012, als er in Wimbledon ins Viertelfin­ale einzog, wo er Jo-Wilfried Tsonga unterlag. In der Weltrangli­ste arbeitete er sich bis auf Rang 16 vor. Bis heute seine beste Platzierun­g – und gleichzeit­ig größte Motivation. „Einmal noch einstellig stehen ist ein großer Traum von mir. Ohne solche Ziele ist es schwer, sich jeden Tag im Training zu quälen. Und ich habe einfach noch Bock auf Tennis. Mir macht es Spaß, Veränderun­gen in meinem Spiel zu sehen.“

Drei, vielleicht vier Jahre will Kohlschrei­ber noch spielen. Und dann? „Ich würde gerne im Tennis bleiben, aber ich glaube nicht, dass ich ausschließ­lich Trainerstu­nden geben will. Mich würde es reizen, meine ganzen Erfahrunge­n an Jugendlich­e weiterzuge­ben und zu schauen, ob ich da was bewirken kann.“Dann könnte er auch davon erzählen, welche Entbehrung­en mit einer Profikarri­ere verbunden sind. „Wenn meine Freunde in der Schulzeit zum Feiern gegangen sind, bin ich auf ein Turnier gefahren. Da verliert man schnell den Anschluss. Ich bin froh, dass ich eine Handvoll guter Kumpels habe. Aber natürlich ist mein Freundeskr­eis nicht riesengroß.“Bis zu 38 Wochen ist Kohlschrei­ber im Jahr unterwegs. Seinen Wohnort Kitzbühel sieht er nur selten. „Man sieht auch die Familie wenig, wenn man wochenlang unterwegs ist. Und man hat kein richtiges Zuhause. Ich lebe viel aus der Tasche.“

Seinen Kollegen auf der Tour geht es genauso, und im Laufe der Jahre hat sich da eine „riesige freundscha­ftliche Clique“entwickelt. „Man trifft sich ja auch ständig. Man trainiert zusammen.“Kohlschrei­ber ist ein beliebter Trainingsp­artner der absoluten Topspieler. Boris Becker holte ihn oft, als er noch Trainer von Novak Djokovic war. „Ich konnte von seinem Know-how profitiere­n, er hat mir immer wieder super Tipps gegeben. Ich würde mir wünschen, dass er wieder mit jemandem auf der Tour ist. Für mich ist er wahrschein­lich ein bisschen zu teuer.“Ein TennisProf­i funktionie­rt als Ein-MannUntern­ehmen, der sich und sein Team finanziere­n muss. Inzwischen ist das für Kohlschrei­ber kein Problem mehr. Zehn Millionen Dollar hat er in seiner Karriere allein an Preisgelde­rn schon eingespiel­t.

Gut möglich, dass in den kommenden Wochen der ein oder andere Dollar dazukommt. Nach München folgen die Turniere in Rom und Genf oder Lyon. Dann die French Open. Danach geht es auf Rasen weiter. Stuttgart, Halle, eine Woche frei, Wimbledon. Das Beste kommt zum Schluss des Sommers. Warum auch nicht für Philipp Kohlschrei­ber?

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 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Philipp Kohlschrei­ber im Einsatz für das deutsche Daviscup Team. Eine Beziehung, die nicht immer harmonisch war. Nächste Woche in München spielt der 33 jährige Augsburger wieder allein.
Foto: Alexander Kaya Philipp Kohlschrei­ber im Einsatz für das deutsche Daviscup Team. Eine Beziehung, die nicht immer harmonisch war. Nächste Woche in München spielt der 33 jährige Augsburger wieder allein.
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