Flucht in die Fantasie
Von den Eltern vernachlässigt und in der Schule ausgegrenzt, findet ein Siebenjähriger im Theaterstück „Die Biene im Kopf“Halt in einer imaginären Welt
Roland Schimmelpfennig ist der in Deutschland aktuell meistgespielte Gegenwartsdramatiker. 2016 schrieb der 49-Jährige sein erstes Kinderstück. „Die Biene im Kopf“war eine Auftragsarbeit für ein Gelsenkirchener Theater. Das Theater Ulm zeigt in einer Inszenierung von Annelore Sarbach jetzt für Familien mit Kindern ab acht Jahren im Podium „Die Biene im Kopf“– mit Jakob Egger als namenloser kleiner Bub, der seiner unguten familiären Situation durch seine Fantasie entkommt. Egger zeigt in Gestik und Mimik authentische Kindlichkeit, ohne je in gespielt kindliches Getue abzugleiten.
Es ist nicht leicht für erwachsene Schauspieler, ein Kind „echt“darzustellen. Dass es bei „Die Biene im Kopf“überzeugend gelingt, ist eine der Stärken des Stückes. Drei Schauspieler – Jakob Egger, Fran- ziska Maria Pößl und Christian Streit – in exakt gleicher Kleidung: Sie alle drei sind der kleine Junge, wobei Jakob Egger ihn vor allem darstellt; Franziska Maria Pößl und Christian Streit personalisieren die Gedanken und Ideen im Kopf des Siebenjährigen.
Der hat es schwer genug: Seine arbeitslosen Eltern bekommen nichts, aber auch gar nichts auf die Reihe. Das Leben in der elterlichen Mietwohnung besteht aus Fernsehen und Streit, aus Alkohol und Zigaretten. Keiner weckt den Siebenjährigen, damit er morgens rechtzeitig zur Schule kommt, keiner wäscht die Wäsche, keiner macht ihm zu essen oder schaut, ob er gekämmt ist oder die Zähne putzt, keiner wünscht ihm abends eine gute Nacht. Die Rettung des Buben ist seine Fantasie: Schon morgens im Bett denkt er sich in eine Bienenwelt hinein, in der das rote Betttuch zur duftenden Blüte wird. Die Schule, in der der Außenseiter regelmäßig Einträge bekommt, weil er zu spät kommt oder keine Schultasche dabei hat, ist die Hölle für das Kind. Wieder flieht es in die Welt der Bienen, die Flucht aus dem bedrohlichen des Kindes so bedrückend ist, dass er kaum auszuhalten ist. Doch Schimmelpfennig zeigt nicht die grauenhafte Familiensituation, sondern weist Kindern einen befreienden Weg der Fantasie, der Realität zu entkommen – und im übertragenen Sinn wachsen dem kleinen Buben mit der „Biene im Kopf“Flügel, den Alltag zu bewältigen. Auch wenn er die Mikrowelle zunächst falsch bedient und die Wohnung fast in die Luft jagt – er findet Wege, nicht zu zerbrechen, sondern Selbstbewusstsein zu entwickeln. Das ist die andere Stärke des Stückes, auf dessen Struktur Eltern ihre Kinder vorbereiten sollten, damit die Perspektivwechsel aus Realität und Fantasie verstehbar sind. O
Die nächsten Aufführungen von „Die Biene im Kopf“sind heute so wie am Donnerstag, 11. Mai, Samstag, 20. Mai, Sonntag, 21. Mai, Dienstag, 23. Mai, und am Donnerstag, 26. Mai.
Die Moving Rhizomes sind eine Künstlergruppe um den Tänzer Pablo Sansalvador, die seit 2014 multidisziplinäre Aufführungen und Installationen produziert. Aktuell suchen die Moving Rhizomes für ein „Step by Step“-Projekt – einen „Tanzweg“von der Ulmer Innenstadt zur Wilhelmsburg – Interessierte, die sich am bis zum 24. Juli laufenden Projekt beteiligen möchten. Die Idee: Die Tänzer Giulia Insinna, Daniel Perin und Bogdan Muresan werden am 2. Juni – nach einer Choreografie von Pablo Sansalvador und begleitet vom Musiker Friedrich Glorian – ab 18.30 Uhr vom Münsterplatz aus zur Wilhelmsburg tanzen und dabei Zuschauer und Passanten animieren, mitzumachen. Gegen 19.30 Uhr will man an der Wilhelmsburg eintreffen, wo im Anschluss die Open AirProduktion „Aida“des Theaters Ulm ihre Premiere erleben wird.
„Step by Step“besteht aus einer multidisziplinären Installation, die als 1855 Meter langer durchgängiger Pfad aus sichtbaren Tanzschrittschablonen den Münsterplatz mit der Wilhelmsburg verbindet. Der Installationsweg zieht sich vom Zentrum zum Karlsplatz und dann über die Fußgängerbrücke der Eisenbahn zum Michelsberg und bis zum Eingangstor der Wilhelmsburg. Verschiedene Örtlichkeiten und Plätze auf dem Weg zur Wilhelmsburg sollen mit tänzerischen und anderen künstlerischen Ausdrucksformen erforscht werden. Am Weg entlang platzierte QRCodes bieten der Öffentlichkeit Zugänge per Smartphone zu Onlinevideos der Aktionen, die anregen, wie der Weg begangen oder betanzt werden kann.
Bei Aktionen, für die sich Interessierte – beispielsweise Vereine, Tanzschulen, Schulen oder auch kreative Einzelpersonen – bewerben können, wird in Kooperation mit dem „Projekt Space: Wilhelmsburg 2016“ein Tanzvideo erstellt, das als Grundlage für die Interpretation des Weges im Rahmen verschiedener öffentliche Aktionen von Künstlern und Künstlergruppen dienen soll. Diese Bestandteile des Programms werden im Laufe des Projektprozesses entwickelt, dokumentiert und über soziale Netzwerke zugänglich gemacht. (köd) O
Interessierte sollen sich bis Freitag, 5. Mai, bei den Moving Rhizo mes unter der E Mail Adresse info@movingrhizomes.com melden.