Karl Brodbeck wäscht, bügelt und kocht noch selbst
„Super-Ü100“im Mittelpunkt. Ruja etwa. Sie spielt mit 102 noch wunderbar Klavier. Oder Ernst. 103 Jahre. Er warf nicht nur einen Einbrecher aus dem Haus. Der leidenschaftliche Tänzer lernte mit 89 noch eine Frau kennen. Und da ist Hella. 103. Sie geht mit ihrem Rollator noch selbstständig einkaufen und kocht. Genau so wollen sicher viele Menschen alt werden. Gesund. Fit im Kopf. Altersweise.
Karl Brodbeck gehört auch zu diesen Vorbildern. Wer dem 100-Jährigen im gemütlichen Wohnzimmer in seinem Haus in Wertingen gegenübersitzt, ist einfach verblüfft: So charmant kann man also mit 100 sein. So aufgeschlossen dem Weltgeschehen gegenüber. So rüstig. So humorvoll. So gelassen. So herzlich. Brodbeck hat geschafft, was viele anstreben: ein hohes Alter in guter Gesundheit.
Und das schaffen immer mehr, erklärt Sebastian Klüsener. Er forscht am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock und sagt: „Die Wahrscheinlichkeit, ein Alter von 100 beziehungsweise 110 zu erreichen, steigt weiterhin stark an.“Zwar machen derzeit weniger Menschen das Jahrhundert voll, was an den geburtenschwachen Jahrgängen des Ersten Weltkriegs liegt. „Dies sollte sich aber ab 2019 wieder stark ändern.“
Doch wie wird man so alt? „Die Gene spielen eine Rolle“, sagt Oberarzt Christian Steber vom Bezirkskrankenhaus Augsburg. Mindestens so wichtig ist seiner Meinung nach die Lebensführung. Eine gesunde Ernährung also. Ausreichend Bewegung – am besten drei- bis viermal in der Woche. Soziale Kontakte. Ehrenamtliches Engagement. Geis- tige Aktivität. „Alles, was einen aktiv im Leben stehen lässt.“
Aktiv war Karl Brodbeck immer. Doch er erlebte nicht nur Positives. Schließlich hat er die Schrecken des Zweiten Weltkriegs mitgemacht, war in Gefangenschaft. Doch noch immer ist seine Lust zu spüren, etwas zu bewegen. Wie er es immer in seinem Leben getan hat. Der gelernte Bäcker sattelte nach dem Krieg beruflich um. Er arbeitete zunächst im Landratsamt, leitete dann einen Omnibusbetrieb und das Lager eines Autohauses. Noch während des Krieges lernte er in Wertingen seine spätere Frau Wiltrudis kennen. Bald nach dem Krieg wurde Sohn KarlHeinz geboren, der heute als Wirtschaftsprofessor tätig ist. Sohn und Schwiegertochter besuchen ihn regelmäßig – an Feiertagen rufen auch die berühmten Neffen Fritz und Elmar Wepper an. Seit etwa einem Jahr helfen sein Sohn und die Schwiegertochter im Haushalt, erledigen die Einkäufe. Eine Hüft- und Knieoperation haben dazu geführt, dass Brodbeck nicht mehr Auto fahren kann. Das Fahren selbst vermisst er nicht. Aber die Mobilität.
Doch er ist kein Mann, der jammert. Schließlich hat er auch zwei Nachbarinnen, die sich um ihn kümmern. Die eine schaut jeden Tag, ob das Badfenster gekippt wird – ein Zeichen, dass alles gut ist. „Man muss im Alter gut organisiert sein“, erklärt Brodbeck und lacht. Zum Glück kann er aber vieles noch selbst machen: Waschen und Bügeln etwa – und Kochen. Das lernte er bei seiner Frau, die vor neun Jahren gestorben ist. Und er hat seinen Rhythmus. „Diese Regelmäßigkeit brauche ich.“Jeden Morgen frühstückt er und liest Zeitung. Nach dem Mittagessen folgt ein Schläfchen. Am Nachmittag ist Teestunde und es werden Kreuzworträtsel gelöst – am liebsten auf der Terrasse. Bald will er auch das Gemüsebeet anpflanzen. Am Abend ist Fernsehzeit. Vor allem Dokumentarfilme interessieren ihn.
Doch Brodbeck und die Persönlichkeiten aus dem „Ü100“-Film sind Ausnahmen. Eine kleine Gruppe. So klein, dass sie im Landesamt für Statistik gar nicht extra aufgeführt wird. Da aber viele Gemeinden den bayerischen Ministerpräsidenten informieren, wenn bei ihnen ein hochbetagter Jubilar lebt, hat die Staatskanzlei eine Liste. Sie kommt auf etwas mehr als 700 Menschen, die im vergangenen Jahr ihren 100. feiern konnten. Über 60 Menschen wurden 105, vier 108.
Auch Oberarzt Steber spricht von einer „Rarität“. Und als Gerontopsychiater kennt er vor allem die Schattenseiten des Altwerdens, die man nicht verschweigen und vergessen darf. Da sind eben nicht nur die körperlichen Beeinträchtigungen zu nennen, sondern auch die geistigen und seelischen. Schließlich steigt die Zahl der Patienten in Stebers Abteilungen. Und es ist nicht nur die Demenz, die vielen zu schaffen macht. Ein großer Teil der Patienten kämpfe mit Depressionen.
Damit man mit Demenz besser zurechtkommt, kann jeder ein bisschen vorbauen. Davon ist Professor Hans Gutzmann überzeugt. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und Gerontopsychotherapie. Wer sich beispielsweise bemüht, mit seinen Mitmenschen gut auszukommen, erhöhe seine Chance, dass er später als Demenzpatient wohlwollender behandelt wird. Zudem sei die eigene Zufriedenheit wichtig, um mit Demenz besser leben zu können. Gleichzeitig betont er aber auch: Mit zunehmendem Alter steige das Risiko, an Demenz zu erkranken.
Doch nicht nur die persönliche Lebensführung ist nach Angaben von Gutzmann wichtig, um gesund alt zu werden, sondern auch Bildung und Geld. „Betuchte und Gebildete haben eine wesentlich höhere Chance, gesund alt zu werden.“Studien aus London hätten ergeben, dass