Luther – angehimmelt und verteufelt
Wie der Reformator zum Helden der Deutschen wurde, zeigt die Wartburg in einer großen Ausstellung. Der legendäre Tintenfleck ist dort nicht zu finden. Dafür erfährt man manches über den Missbrauch des Mythos’ Luther
So sehen Helden aus. Triumphierend sieht dieser Martin Luther den Betrachter und seine staunenden Zeitgenossen an. Den Hammer hat er erhoben, sein Thesenblatt haftet an der Kirchentüre. Die Botschaft ist gesetzt: Was der Papst in Rom euch Deutschen als Ablass andrehen will, ist überflüssig. Ihr könnt eure Sache mit Gott selbst in die Hand nehmen. 450 Jahre nach dem dramatischen Ereignis 1517 zu Wittenberg hat Paul Thumann die Szene 1872 für die Reformationszimmer auf der Wartburg gemalt. Luther musste herhalten für die nationale Sache des neugegründeten Deutschen Reichs: Die Wartburg sollte sein Monument werden. Dort, im Herzen Thüringens, findet nun im Reformationsgedenkjahr 2017 bis 5. November die nationale Ausstellung „Luther und die Deutschen“statt. Bund und Land kostete die Schau mit rund 300 hochwertigen Exponaten 2,7 Millionen Euro.
Die stolze Wartburg selbst dient als Hauptexponat. Bei ihrer Wiedererrichtung 1853 spielte Luther eine wesentliche Rolle. Hier hatte er den Deutschen ihr großes Sprachdokument geschenkt: das Neue Testament auf Deutsch, übersetzt in zehn Wochen, nachdem er, auf dem Wormser Reichstag in Acht getan, dem Schein halber von Schergen seines Fürsten Friedrich des Weisen von Sachsen am 4. Mai 1521 dorthin entführt wurde. Mannhaft hatte Luther vor Kaiser Karl V.widerstanden, der den Widerruf von ihm forderte. Der Legende nach bekannte er: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir!“
Im 19. Jahrhundert zogen daraus die Deutschen den Mythos, an dem schon längst gewoben wurde. In der Vitrine liegen ein seltenes Exemplar der umfänglichen Bannandrohungsbulle von Papst Leo X. und ein früher Druck der 95 Thesen. Lucas Cranach malte Luther schon bald nicht mehr als asketisch ausgemergelten Mönch, sondern völlig verändert als gestandenen, kräftigen Mann mit Doktorhaube. Furore in deutschen Landen hatten seine drei reformatorischen Schriften von 1520 gemacht: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, „An den christlichen Adel deutscher Nation“und „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“.
Diesem Luther wollte Großherzog Carl Alexander von SachsenWeimar in seiner Wartburg ein setzten. Einschließlich der Traditionsorte, die pure Legende sind: die Lutherkanzel in der Kapelle, die erst 100 Jahre später kam, und das Schwert von Schwedenkönig Gustav Adolf, das Bernhard von Weimar zum Schutzherrn des Protestantismus machte. Feste Gewölbe, steinerne Stiegen, schmale Wendeltreppen und Holzvertäfelungen wecken in der verwinkelten Burganlage den Hauch des Mittelalters.
Schwieriger schon ist Luthers deutsche Theologie darzustellen, die sich biblisch grundiert und aufgeladen mit persönlicher Frömmigkeit aus der Mystik speiste. Der gekreuzigte Erlöser Christus verkörpert in dieser Theologie die Gnade, die scharf kontrastiert mit dem Gesetz als dem nutzlosen Versuch, sich selbst zum Gerechten zu machen. Der beißende Spott reformatorischer Schmähgrafik traf den Papst in allerlei lächerlichen Tierfratzen, aber ebenso die interne Konkurrenz der Reformatoren, mit denen sich Luther lehrmäßig raufte, und mit dem unmäßigen Hass des enttäuschten Missionars auch die Juden.
Eine gewisse milde Ironie liegt noch im damals beliebten „Strebkatzziehen“zwischen Luther und Papst Leo, beide knieend mit Schreibfeder wie einem Schnurrbart im Mund, mit einer Schlaufe am Nacken zum Kräftemessen verbunden. Ein fast noch zeitgenössisches Gemälde ther noch an die Höllenpforte zu Scheusalen direkt aus der Fantasie des Hieronymus Bosch. Indes erhob Johann Erdmann Hummel um 1806 den Reformator bildlich in den Himmel, wo ihm Jungfrauen die Palme reichen. Solche Bildbotschaften entspannen den Ausstellungsbesucher von der vielen Textlektüre, die ihm abverlangt wird. Anschauliches Erzählen in Exempeln wäre hier mehr gewesen. Immerhin gibt es einen kostenlosen Audioguide.
Fragt sich nur, ob im Strom der zu erwartenden Wartburg-Besucher – bereits jetzt sind’s über 350 000 im Jahr – in den oft engen Kabinetten die Weile bleibt, sich in einzelne Exponate zu vertiefen. Definitiv Gedränge gibt es bei der schmalen Lutherstube, die man heutzutage mit Lichtbildprojektionen von Briefzitaten anstelle des aufgemalten legendären Tintenflecks atmosphärisch aufzuladen versucht. Zehn Monate war sie des bärtigen Junker Jörgs Wohn- und Arbeitszimmer.
Zuvor heißt es allerdings die Bewährungsprobe zu bestehen, Martin Luther als denkmaltauglichen deutschen Heroen des wilhelminischen Kaiserreichs gleich neben Hermann dem Cherusker und Bismarck zu ertragen, als revolutionären Heroen der sozialistischen DDR neben dem aufgebauschten Bauernkriegs-Umstürzler Thomas Müntzer – und als Heroen im Dienste Hitlers („… für Glauben und Volkssturm“). Janusköpfig erscheint er hier, doch leider nicht so menschlich angefochten wie ihn der Maler Werner Tübke 1978 zwischen Aufstand und altem Glauben im Entwurf seines Panoramas „Die Kogge“in Bad Frankenhausen schwanken ließ. Schon am Eingang können sich die Besucher bereits auf Luther in all seiner Widersprüchlichkeit einstimmen. O
Geöffnet täglich von 8 bis 17.30 Uhr. Besucherservice: 036 91/25 02 20, www.wartburg.de Der Katalog kostet 29,95 ¤.
Dass Thomas de Maizière einmal einen Vergleich mit Karl Marx geradezu herausfordern wird, war nicht zu erwarten. Das schien ungefähr so naheliegend wie eine Erörterung darüber, was Rex Gildo mit Mick Jagger gemein hat. Aber nun ist es so, dass Karl Marx einst feststellte: Religion ist Opium fürs Volk. Und was sagt Thomas de Maizière in seinem Bild am Sonntag-Wort zur Leitkultur? Religion ist Kitt fürs Volk.
Rausch oder Mörtel? So unterschiedlich die Ansätze der Denker Marx und de Maizière auch sind – ihnen gemein ist, dass sie die Religion und den Glauben auf eine sehr weltliche Funktion reduzieren. Dem einen ist die Religion eine Art Betäubungsmittel, welches das Volk einlullt und von der Erkenntnis seiner wahren Lage des Ausgebeutetwerdens abhält. Dem anderen dient der Glaube als eine Art Leim, der die Gesellschaft wenn nicht im Innersten, so dann doch irgendwie zusammenhält, wie das eine Fußballweltmeisterschaft ja auch tut.
Wörtlich leitkulturpostuliert der Bundesinnenminister vor sich hin: „In unserem Land ist Religion Kitt, nicht Keil der Gesellschaft.“Mögen Betroffene entscheiden, ob das nicht ein Hammer ist! Theologen könnten das Ministerwort als einen ziemlich weltlichen groben Klotz deuten, den Thomas de Maizière da sprachlich in die Landschaft gewuchtet hat. Religion – nichts als ein zäher Kleister? Hätte der Christdemokrat das in Bezug auf das C im Parteinamen gesagt, hätte man womöglich auch kurz gestutzt. „Für uns ist das C Kitt, nicht Keil der Politik.“Und wer sägt schon an der Leimrute, auf der er sitzt?
Leitkultur hin oder her – vom Fensterkitt jedenfalls ist bekannt, dass er bei aller Geschmeidigkeit und Bindekraft mit der Zeit spröde wird und bröckelt. Ein bisschen ähnelt das wiederum der nachlassenden Wirkung des Opiums im Kopf. Die Berliner Dramatikerin Dea Loher erhält den mit 50 000 Euro dotierten Joseph-Breitbach-Preis. Die Verleihung erfolgt am 22. September in Koblenz.