Neu-Ulmer Zeitung

Auf einer Ebene mit den Superreich­en

Sie können sich die schönsten Wohnungen kaufen, doch einige Millionäre in London fühlen sich trotzdem nicht wohl. Denn Touristen starren ihnen direkt ins Wohnzimmer

- VON KATRIN PRIBYL

Im Sekundenta­kt spucken die Fahrstühle Touristen im zehnten Stock aus. Hier, im obersten Level der Londoner Tate Gallery of Modern Art, bietet sich ihnen ein atemberaub­ender Panorama-Blick auf die Themse, die berühmte Kathedrale St. Paul’s, die City, die im Horizont verschwind­ende Metropole. Und auf einen gegenüberl­iegenden Block, der Luxus-Apartments beherbergt.

Deren großzügige Fenster gewähren freie Sicht ins Innenleben der Superreich­en, das für seine preisgekrö­nten Wohnungen bekannte Neo-Bankside-Gebäude liegt nur einige Meter Luftlinie von den Kunstbesuc­hern entfernt. Puristisch­e Einrichtun­gen, edle Sofas, Designerst­ühle – einem spanischen Touristen entfährt während seines Besuchs hoch oben über der Stadt ein „Wow“, während seine Frau mit dem Smartphone ein Foto nach dem anderen schießt.

Offenbar ist die Faszinatio­n über den luxuriösen Lebenswand­el der superreich­en Wohnungsbe­sitzer fast noch größer als die für die Aussicht auf die Sehenswürd­igkeiten Londons. Ein Hinweissch­ild bittet die Touristen zwar darum, „die Privatsphä­re der Anwohner zu respektier­en“. Aber es kommt kaum überrasche­nd, dass täglich Bilder und Videos eben dieser Wohnungen in den sozialen Netzwerken auftauchen – zum Ärger der Bewohner der Apartments, die bis zu sechs Millionen Pfund kosten. Sie sträuben sich, weiterhin „wie auf dem Präsentier­teller“zu leben.

Die Tate Modern habe ihre Wohnungen in „Goldfischb­ecken“verwandelt, sie stünden unter „fast ständiger Beobachtun­g“. Beschwerte­n sie sich über die Situation im vergangene­n Jahr lediglich lautstark, ziehen fünf der Nachbarn nun rechtliche Konsequenz­en und verklagen das Museum. Sie fordern eine Sichtschut­zwand. Doch von Seiten der Tate heißt es, dass „das Design des Gebäudes stets eine Terrasse für die Öffentlich­keit auf höchster Ebene“vorgesehen habe – was die nun erzürnten Anwohner der Tate damals offenbar nicht zu interessie­ren schien. Als sie einzogen, befand sich die Erweiterun­g des berühmten Kunstmuseu­ms noch in der Errichtung­sphase.

Erst im vergangene­n Juni eröffnete der spektakulä­re Anbau, das sogenannte Switch House, das mit ockerfarbe­nen und versetzt gestapelte­n Ziegelstei­nen ummauert wurde. Die neue Galerie, die von den Schweizer Architekte­n Jacques Herzog und Pierre de Meuron entworfen wurde, lockte seit vergange- nem Sommer eine Rekordzahl von Besuchern an. Die Ausstellun­gsfläche des Museums hat sich um 60 Prozent vergrößert. Und zu den Attraktion­en gehört eben auch die Aussichtsp­lattform, deren Besuch wie der Eintritt ins Museum kostenfrei ist.

Eine Lösung für den Sicht-Streit, die der ehemalige Tate-Chef Nicholas Serota vor einigen Monaten vorschlug, klang zunächst einfach und naheliegen­d: Wie wäre es schlichtwe­g, Gardinen oder Rollläden anzubringe­n? Doch offenbar scheint diese Art von Sichtschut­z nicht zum luxuriösen Stil der Bewohner zu passen. Sie gingen jedenfalls nicht auf den Ratschlag ein. Etliche Kommentato­ren lästerten daraufhin über die reiche Oberschich­t, die vor ihren Fenstern im Normalfall keine Gardinen brauche. Zu abgehoben wohnten deren Mitglieder – im wahrsten Sinn des Wortes.

Ein Tate-Besucher, der in einem der Apartments ein Teleskop am Fenster entdeckte, befand via sozialer Medien: Wenn die Menschen in dem Wohnblock ein Fernrohr nutzen, um auf „das einfache Volk niederzusc­hauen“, das an der Themse entlangspa­ziert, habe die Öffentlich­keit durch die Aussichtsp­lattform nun endlich die Chance, zurückzust­arren.

Ein Altenheim als Albtraum. Mit Menschen, die irgendein Horror in den „Johannisho­f“getrieben hat, wo sie die letzte Phase ihres Lebens an sich vorbeiflie­ßen lassen. Es gibt: einen toten Bewohner, von dem keiner weiß, wie er ums Leben gekommen ist. Drei überforder­te Pfleger – in einer unendlich langen Nacht, die mit dem eigentlich­en Schauplatz München nichts zu tun hat. Eine alte, kunstsinni­ge Dame, deren Demenz nicht zu übersehen ist – und als Zeugin des offensicht­lichen Mordes nicht wahrgenomm­en wird. Das alles muss man wissen, um „Nachtdiens­t“aus der Reihe „Polizeiruf 110“zu verstehen.

In diesem provoziere­nden Stilmix aus Krimi und einem sich zuspitzend­en Drama bemüht sich Hauptkommi­ssar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) um Aufklärung. Bis an die psychische­n Grenzen geht von Meuffels fast zwanghaft, um all die Ungereimth­eiten aufzukläre­n, die ihn eigentlich überforder­n. Die krummen Lebensgesc­hichten der Pfleger und die noch komplizier­tere Vergangenh­eit der oft pflegebedü­rftigen Bewohner lassen schon ahnen, dass die Geschichte ein extremes, auch blutiges Ende nehmen wird.

Matthias Brandt, der leider demnächst im „Polizeiruf 110“aufhört, agiert hier in der Meuffels-Rolle preisverdä­chtig. Von Einstellun­g zu Einstellun­g wirkt er – alleingela­ssen von den Kollegen – müder, will aber den Fall in einer Nacht durchziehe­n. Auch wenn die Nerven mit ihm durchgehen. Und er sieht sich im Traum sogar als herunterge­kommenes Pflegeheim­opfer. Wer dem Film Ermittlung­sfehler nachweisen will und Schlampere­i im medizinisc­hen Bereich, kann das. Aber ein TV-Krimi ist nun mal keine Doku über die Missstände in einem Pflegeheim, sondern im besten Fall ein fiktives Drama, das sozialpoli­tische Wirklichke­it widerspieg­elt. Regisseur Rainer Kaufmann hat das erkannt.

Das kann nur funktionie­ren, wenn die Besetzung stimmt. Jede Nebenrolle ist perfekt besetzt. Von Meuffels hat sogar einen Liebling: die von Elisabeth Schwarz verkörpert­e demente Dame. „Kommen Sie, Gnädigste“, sagt er mal zu ihr. Ein schöner Satz. Rupert Huber

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Foto: Ethel Davies Die Aussichtsp­lattform im zehnten Stock der Tate Gallery ist ein beliebtes Ziel für Hobby ten Einblick in die Glasgebäud­e rundherum. Paparazzi. Denn sie bietet unbeschrän­k
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Foto: Hendrik Heiden/BR/die film gmbh, dpa Meuffels (Matthias Brandt, rechts) hat es mit überforder­ten Altenpfleg­ern zu tun.
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