Auf einer Ebene mit den Superreichen
Sie können sich die schönsten Wohnungen kaufen, doch einige Millionäre in London fühlen sich trotzdem nicht wohl. Denn Touristen starren ihnen direkt ins Wohnzimmer
Im Sekundentakt spucken die Fahrstühle Touristen im zehnten Stock aus. Hier, im obersten Level der Londoner Tate Gallery of Modern Art, bietet sich ihnen ein atemberaubender Panorama-Blick auf die Themse, die berühmte Kathedrale St. Paul’s, die City, die im Horizont verschwindende Metropole. Und auf einen gegenüberliegenden Block, der Luxus-Apartments beherbergt.
Deren großzügige Fenster gewähren freie Sicht ins Innenleben der Superreichen, das für seine preisgekrönten Wohnungen bekannte Neo-Bankside-Gebäude liegt nur einige Meter Luftlinie von den Kunstbesuchern entfernt. Puristische Einrichtungen, edle Sofas, Designerstühle – einem spanischen Touristen entfährt während seines Besuchs hoch oben über der Stadt ein „Wow“, während seine Frau mit dem Smartphone ein Foto nach dem anderen schießt.
Offenbar ist die Faszination über den luxuriösen Lebenswandel der superreichen Wohnungsbesitzer fast noch größer als die für die Aussicht auf die Sehenswürdigkeiten Londons. Ein Hinweisschild bittet die Touristen zwar darum, „die Privatsphäre der Anwohner zu respektieren“. Aber es kommt kaum überraschend, dass täglich Bilder und Videos eben dieser Wohnungen in den sozialen Netzwerken auftauchen – zum Ärger der Bewohner der Apartments, die bis zu sechs Millionen Pfund kosten. Sie sträuben sich, weiterhin „wie auf dem Präsentierteller“zu leben.
Die Tate Modern habe ihre Wohnungen in „Goldfischbecken“verwandelt, sie stünden unter „fast ständiger Beobachtung“. Beschwerten sie sich über die Situation im vergangenen Jahr lediglich lautstark, ziehen fünf der Nachbarn nun rechtliche Konsequenzen und verklagen das Museum. Sie fordern eine Sichtschutzwand. Doch von Seiten der Tate heißt es, dass „das Design des Gebäudes stets eine Terrasse für die Öffentlichkeit auf höchster Ebene“vorgesehen habe – was die nun erzürnten Anwohner der Tate damals offenbar nicht zu interessieren schien. Als sie einzogen, befand sich die Erweiterung des berühmten Kunstmuseums noch in der Errichtungsphase.
Erst im vergangenen Juni eröffnete der spektakuläre Anbau, das sogenannte Switch House, das mit ockerfarbenen und versetzt gestapelten Ziegelsteinen ummauert wurde. Die neue Galerie, die von den Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron entworfen wurde, lockte seit vergange- nem Sommer eine Rekordzahl von Besuchern an. Die Ausstellungsfläche des Museums hat sich um 60 Prozent vergrößert. Und zu den Attraktionen gehört eben auch die Aussichtsplattform, deren Besuch wie der Eintritt ins Museum kostenfrei ist.
Eine Lösung für den Sicht-Streit, die der ehemalige Tate-Chef Nicholas Serota vor einigen Monaten vorschlug, klang zunächst einfach und naheliegend: Wie wäre es schlichtweg, Gardinen oder Rollläden anzubringen? Doch offenbar scheint diese Art von Sichtschutz nicht zum luxuriösen Stil der Bewohner zu passen. Sie gingen jedenfalls nicht auf den Ratschlag ein. Etliche Kommentatoren lästerten daraufhin über die reiche Oberschicht, die vor ihren Fenstern im Normalfall keine Gardinen brauche. Zu abgehoben wohnten deren Mitglieder – im wahrsten Sinn des Wortes.
Ein Tate-Besucher, der in einem der Apartments ein Teleskop am Fenster entdeckte, befand via sozialer Medien: Wenn die Menschen in dem Wohnblock ein Fernrohr nutzen, um auf „das einfache Volk niederzuschauen“, das an der Themse entlangspaziert, habe die Öffentlichkeit durch die Aussichtsplattform nun endlich die Chance, zurückzustarren.
Ein Altenheim als Albtraum. Mit Menschen, die irgendein Horror in den „Johannishof“getrieben hat, wo sie die letzte Phase ihres Lebens an sich vorbeifließen lassen. Es gibt: einen toten Bewohner, von dem keiner weiß, wie er ums Leben gekommen ist. Drei überforderte Pfleger – in einer unendlich langen Nacht, die mit dem eigentlichen Schauplatz München nichts zu tun hat. Eine alte, kunstsinnige Dame, deren Demenz nicht zu übersehen ist – und als Zeugin des offensichtlichen Mordes nicht wahrgenommen wird. Das alles muss man wissen, um „Nachtdienst“aus der Reihe „Polizeiruf 110“zu verstehen.
In diesem provozierenden Stilmix aus Krimi und einem sich zuspitzenden Drama bemüht sich Hauptkommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) um Aufklärung. Bis an die psychischen Grenzen geht von Meuffels fast zwanghaft, um all die Ungereimtheiten aufzuklären, die ihn eigentlich überfordern. Die krummen Lebensgeschichten der Pfleger und die noch kompliziertere Vergangenheit der oft pflegebedürftigen Bewohner lassen schon ahnen, dass die Geschichte ein extremes, auch blutiges Ende nehmen wird.
Matthias Brandt, der leider demnächst im „Polizeiruf 110“aufhört, agiert hier in der Meuffels-Rolle preisverdächtig. Von Einstellung zu Einstellung wirkt er – alleingelassen von den Kollegen – müder, will aber den Fall in einer Nacht durchziehen. Auch wenn die Nerven mit ihm durchgehen. Und er sieht sich im Traum sogar als heruntergekommenes Pflegeheimopfer. Wer dem Film Ermittlungsfehler nachweisen will und Schlamperei im medizinischen Bereich, kann das. Aber ein TV-Krimi ist nun mal keine Doku über die Missstände in einem Pflegeheim, sondern im besten Fall ein fiktives Drama, das sozialpolitische Wirklichkeit widerspiegelt. Regisseur Rainer Kaufmann hat das erkannt.
Das kann nur funktionieren, wenn die Besetzung stimmt. Jede Nebenrolle ist perfekt besetzt. Von Meuffels hat sogar einen Liebling: die von Elisabeth Schwarz verkörperte demente Dame. „Kommen Sie, Gnädigste“, sagt er mal zu ihr. Ein schöner Satz. Rupert Huber