Neu-Ulmer Zeitung

Zeit für Zärtlichke­it

Der Tanzabend „Sinfonia del Beso“verbindet zwei Choreograf­ien. Ballettche­f Roberto Scafati setzt auf tiefe Gefühle. Der renommiert­e Gast Gustavo Ramírez Sansano lässt es danach leichter angehen

- VON DAGMAR HUB

Eine „Sinfonia del Beso“, eine Kuss-Sinfonie, gibt es eigentlich nicht: Der Titel des großen Ballettabe­nds dieser Spielzeit setzt sich zusammen aus den Themen der beiden beteiligte­n Choreograf­en. Roberto Scafati schuf ein knapp einstündig­es, elegisch-dramatisch­es Ballett, basierend auf Henryk Mikolaj Góreckis 3. Sinfonie, die „Sinfonie der Klageliede­r“. Der Spanier Gustavo Ramírez Sansano widmet sich in seiner Arbeit „El Beso“(spanisch „der Kuss“) den unterschie­dlichen Erscheinun­gsformen dieser Zärtlichke­it. Und dazwischen, kurz, aber eindrucksv­oll, gibt es eine Szene um zwei Tänzer, bei der sich Cellistin Anne Schumacher in die Herzen der Zuschauer spielt.

„2 and 1 for Mr. B“ist ein klassische­r Pas de deux, wunderschö­n getanzt von Damien Nazabal und Bogdan Gestapo-Hauptquart­iers Zakopane Frieden mit sich, mit Gott und mit den ihr zugefügten Foltern und Demütigung­en gefunden. Der letzte Satz lässt eine bäuerliche Frau Blumen bitten, zu blühen um ihren im Aufstand erschlagen­en Sohn, damit er gut schlafen könne. In allen drei Szenen singt Maria Rosendorfs­ky die Klageliede­r; die Musik und die Bühnenpräs­enz der Sopranisti­n greifen sich emotional viel Raum, hinter dem das Ballett-Ensemble die Gefühle illustrier­t.

Um die Zuschauer trotz der emotionale­n Tiefe dieser Choreograf­ie ohne Schwere in die Nacht zu entlassen, choreograf­ierte Ramírez Sansano auf spanische Zarzuelas „El Beso“: Die Tänzerinne­n und Tänzer des Ballettens­embles treten in diesen vier Szenen in Alltagskle­idung auf und interpreti­eren vor schwarzem Hintergrun­d schattenri­ssartig und humorvoll überzogen die Vielfalt der sozialen und kulturelle­n Aspekte des Küssens. Die Choreograf­ie nimmt die Bussi-Bussi-Gesellscha­ft aufs Korn, wo sich hinter der Geste durchaus kleine Gemeinheit­en verbergen können; sie spielt mit der Abgrenzung gegen ein Werben um mehr als Zuneigung, das in einem betont freundscha­ftlichen Kuss liegen kann, und sie interpreti­ert den familiären Kuss als Zeichen der Zusammenge­hörigkeit. Und der leidenscha­ftliche, der erotische Kuss? Der ist auch in „El Beso“zwei Männern vorbehalte­n: Die Leidenscha­ft findet – gespielt – zwischen Damien Nazabal und Alessio Pirrone statt. O

Wieder morgen, Sonntag, 19 Uhr im Großen Haus. Weitere Vorstel lungen bis 23. Juni.

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