„Die Grünen müssen bei Koalitionen flexibel sein“
Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann spricht über künftige Regierungsbündnisse, den Streit über die Asylpolitik seines Landes und kritisiert hausgemachte Gründe für die Krise seiner Partei auf Bundesebene
Herr Kretschmann, diese Woche steht im Zeichen wichtiger Wahlen: Wie bewerten Sie den Ausgang in Frankreich?
Die Wahl in Frankreich war eine der wichtigsten für Europa. Deshalb bin ich erleichtert, dass das französische Volk für Emmanuel Macron gestimmt hat. Wir Europäer können erst mal aufatmen. Durch Macrons Wahl werden wir hoffentlich neuen Rückenwind für Reformen in Europa bekommen, die wir dringend brauchen. Das Scheitern der Rechtsextremen bedeutet einen zeitlichen Aufschub, jetzt ist die Zeit zu handeln.
In Schleswig-Holstein werden die Grünen als Koalitionspartner von CDU und FDP umworben. Wie bewerten Sie die Lage?
Die Küsten-Grünen haben sich mit dem hervorragenden Ergebnis gegen den Trend gestemmt. Das freut mich riesig und zeigt, was für uns Grüne möglich ist. Wir warten nun ab, was mögliche Koalitionen betrifft. Aber ich denke, dass die Grünen im Norden sicherlich ebenso wie wir in Baden-Württemberg Interesse haben, eine zukunftsweisende Politik mitzugestalten.
Im Bund geht es für die Grünen in Umfragen seit langem bergab. Halten Sie es für möglich, dass die Grünen bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnten?
Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Wir Grüne haben schon viele Krisen durchschritten. Es gab einen schlechten Lauf, der aber durch die Wahl in SchleswigHolstein durchbrochen wurde. Schon letzte Woche war auch für den Bund ein Aufwärtstrend spürbar. Unsere Themen sind ja aktuell. Der Klimawandel verschwindet nicht einfach, nur weil man mal darüber geredet hat. Es ist eher so: Wir müssen die uns wichtigen Themen selber wieder mehr ins Gespräch bringen und uns nicht jenseits unseres Markenkerns abarbeiten. Das liegt an uns. Jetzt waren andere Themen im Vordergrund – innere Sicherheit, AfD, Europa. Unsere ökologischen Kernthemen sind aber nur scheinbar in den Hintergrund getreten.
Haben Sie noch eine Chance, damit in unserer kurzatmigen Mediengesellschaft noch gehört zu werden?
Diese ganzen Fragen – Diesel, Luftreinhalteplan, auch das hoch umstrittene Thema Fahrverbot – haben doch alle damit zu tun. Ich befürworte den „sauberen Die- sel“ja deshalb, weil er gegenüber dem Benziner in Sachen CO2-Ausstoß erheblich besser ist. Im Kern ist die Art und Weise, wie wir Mobilität benützen und organisieren, ein durch und durch ökologisches Thema. Das müssen wir aufzeigen. Inzwischen stehen doch fast alle Parteien für den Umweltschutz …
Aber bei denen kommt der Erhalt des Planeten nur sehr am Rand vor, und beim SPDKandidaten Martin Schulz taucht das Thema gar nicht auf. Auch von der Kanzlerin, die ich sehr schätze, kann man kaum sagen, dass der Klimaschutz im Zentrum ihrer Agenda steht. Und mit Donald Trump oder der AfD erscheinen auf einmal Leute, die den von Menschen gemachten Klimawandel leugnen. Dabei handelt es sich um existenzielle Fragen wie der Verlust von Artenvielfalt, die auch gravierende Probleme in der Landwirtschaft mit sich brin- gen. Wir haben heute Mega-Unkräuter, die sind mit Pestiziden kaum mehr bekämpfbar. Wir Grüne rücken solche Überlebensthemen in den Mittelpunkt und sind deshalb eine unverzichtbare Kraft im Parteienspektrum. Wie erklären Sie sich dann den Zustimmungsschwund im Bund? Ist er nicht auch hausgemacht?
Natürlich ist der auch hausgemacht. Wie gesagt: Man darf sich nicht ständig an Themen abarbeiten, die die anderen schon besetzen. Wenn wir Grünen über Vermögensteuer streiten, werden urgrüne Kernthemen verdrängt.
Ein großes Streitthema bei den Grünen ist auch Ihre Abschiebepolitik in Baden-Württemberg …
Deutschland hat das liberalste und humanste Asylrecht der Welt. Das gilt es zu verteidigen und zu erhalten. Aber das heißt auch, dass diejenigen zurückgeführt werden, die solche Asylgründe nicht haben. Deshalb brauchen wir ein Einwanderungsgesetz, denn so entlasten wir auch den Asyl-Artikel im Grundgesetz, da derzeit auch ganz viele Menschen über das Flüchtlingsrecht zu uns kommen, die im Grunde ein besseres Leben für sich und ihre Kinder suchen. Lautet die Botschaft also: Von Kretschmann lernen heißt siegen lernen?
Die baden-württembergischen Grünen sind bundesweit am erfolgreichsten. Das hat seine Gründe. So einfach ist die Welt. Zugleich ist es natürlich ein fundamentaler Unterschied, ob man als Grüne eine Regierung anführt oder kleinste Oppositionspartei im Bundestag ist.
Der linke Flügel Ihrer Partei will eine Koalition mit SPD und Linken, Sie selbst tendieren zu Schwarz-Grün. Was und wen bekommt der Wähler, wenn er bei der Bundestagswahl am 24.September für die Grünen stimmt? Angela Merkel oder Martin Schulz?
Er wählt die Grünen! Schon arithmetisch gibt es große Probleme für Zweierbündnisse. Wir regieren in zehn verschiedenen Konstellationen in den Ländern. Die Leute müssen die Partei wählen, die ihnen am nächsten steht. Welche Koalitionen kommen, weiß man vorher nicht. Nehmen Sie das Saarland: Völlig anders als die Vorhersagen. Wir Grünen in Baden-Württemberg haben 2016 für die Fortsetzung von Grün-Rot geworben. Heute haben wir Grün-Schwarz. Das habe ich nicht angestrebt. Aber die Zeiten sind so. Die demokratischen Parteien müssen so flexibel sein, dass das Land gut regiert wird.
Und wofür steht Ihre grün-schwarze Koalition eigentlich inhaltlich?
Diese Koalition kann wie keine andere für den Zusammenhalt der Gesellschaft stehen – enorm wichtig in Zeiten der zunehmenden Polarisierung. Es gibt ein grün-schwarzes Projekt: die Digitalisierung gestalten. Ob Autobranche oder Medizintechnik – unser Ehrgeiz ist, im internationalen Wettbewerb ganz vorn in der Champions League mitzuspielen. Mein grüner Landesverband hat sich mutig vor einem Jahr zur neuen Wirtschaftspartei erklärt. Zu uns passt das. Wir sollten trotzdem nicht zum Maßstab machen, wer wovon profitiert. Taktisch vorzugehen bringt nichts. Und ich glaube fest: Da wir das nicht machen, werden wir von der Bevölkerung positiv wahrgenommen. Was wäre ein schwarz-grünes Projekt im Bund?
Ich bin kein Bundespolitiker, den Kopf muss ich mir nicht zerbrechen. Wichtig ist: Das Projekt der ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft kann man grundsätzlich mit jedem politischen Partner angehen. Ohne dieses Projekt gibt es mit uns Grünen keine Partnerschaft, jedenfalls keine sinnvolle.
Interview: Gabriele Renz, Dieter Löffler und Stefan Lutz