Wenn Richter Millionen verschenken
Täglich verteilen Gerichte und Staatsanwälte Geld nach ihrem Geschmack an gemeinnützige Einrichtungen. Das ist umstritten und kann selbst die Empfänger in Probleme stürzen
Erst flogen böse Worte, dann ein Glas und am Ende legte sich die Augsburgerin auch noch mit der Polizei an. Es war ein Abend, den die 32-Jährige vermutlich so schnell nicht vergessen wird, endete er für sie doch in Handschellen und jüngst vor Gericht. Es war aber auch ein Abend, über den sich Klinikclowns in Bayern gehörig freuen dürften. Sie sind die „Gewinner“des folgenschweren Streits an der Augsburger Kongresshalle. Denn das Amtsgericht verdonnerte die renitente Frau nicht nur zu einer Bewährungsstrafe, sondern auch zur Zahlung von 1500 Euro – eben an die Klinikclowns.
Ein Vorgang, wie er an deutschen Gerichten Routine ist. Täglich werden Urteile mit Geldauflagen versehen oder Verfahren gegen die Zahlung bestimmter Summen eingestellt. Meist handelt es sich dabei um Beträge wie bei der 32-jährigen Augsburgerin. Es gibt jedoch auch prominente Ausnahmen. So entle- digte sich beispielsweise Altkanzler Helmut Kohl für 300 000 Mark vom Vorwurf der Untreue im Rahmen der Parteispendenaffäre der CDU. Der ehemalige Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, fand für 3,2 Millionen Euro einen Ausweg aus dem sogenannten MannesmannProzess. Die Krone setzte all dem der einstige Formel-1-Boss Bernie Ecclestone auf, als er vor drei Jahren 100 Millionen Dollar bezahlte, um einen Prozess wegen Bestechung abzuwenden.
Richter und Staatsanwälte dürfen dabei frei entscheiden, wer dieses Geld bekommt. Im Fall Ecclestone flossen 99 Millionen Dollar an den Freistaat Bayern und eine Million an eine Kinderhospizstiftung im Sauerland. Im vergangenen Jahr durften sich gemeinnützige Einrichtungen in Bayern über mindestens 18 Millionen Euro freuen. Das geht aus einer Auflistung des Justizministeriums hervor. Auf 51 Seiten sind dort rund 1100 Vereine und Einrichtungen aufgeführt, die in den Genuss der Spenden aus dem Gerichtssaal kamen. Da stehen die 1150 Euro für die Freiwillige Feuerwehr in Buchloe genauso wie die halbe Million für Ärzte ohne Grenzen. Die Summe der Zuweisungen ist in den vergangenen Jahren rapide angestiegen: von rund fünf Millionen im Jahr 2010 auf nunmehr knapp 18.
Woran das liegt, ist unklar. Inflation, mehr Verfahren, Zufall? Selbst ein Sprecher des Justizministeriums kann sich keinen wirklichen Reim auf den augenscheinlichen Anstieg machen. Auch sei nicht bekannt, ob es sich bei den auf der ministerialen Liste zu findenden 18 Millionen Euro um einen Großteil oder nur einen kleinen Bruchteil sämtlicher Geldauflagen handelte. Nicht alle Zahlungen würden erfasst, erklärt der Sprecher und verweist auf die Unabhängigkeit der Gerichte.
Eine Praxis, die seit Jahren umstritten ist. Fehlende Transparenz und Kontrolle, drohende Günstlingswirtschaft oder ungerechte Verteilung sind Argumente, die Kritiker ins Feld führen. Und auch für gemeinnützige Einrichtungen kann der richterliche Geldsegen zum Problem werden. Immer dann, wenn er überraschend ausbleibt. „Wir können uns auf diese Einnahmen nicht verlassen. Das macht die Planung äußerst schwierig“, sagt Christiane Schmid, Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Männer (SKM) in Augsburg. Der Verein, der sich unter anderem um Obdachlose und aus dem Gefängnis entlassene Menschen kümmert, ist auf die Finanzspritzen aus den Gerichtssälen angewiesen – und dabei eben immer auch von der Gunst des jeweiligen Richters und Staatsanwalts abhängig. Zuletzt wurden die Zuweisungen allerdings stetig weniger, was den SKM nun vor existenzielle Schwierigkeiten stellt.
Und auch für das Kinderhospiz im Sauerland hatte der von der Justiz initiierte Kontakt mit Motorsport-Guru Ecclestone unangenehme Folgen. Als bekannt wurde, dass der Brite eine Million Euro nach Olpe überweist, brachen etliche private Spender weg, nach dem Motto: „Ihr habt ja schon genug.“
Der Umbau des öffentlich-rechtlichen Bayerischen Rundfunks schreitet weiter voran. Am Montagabend eröffnete der BR in Augsburg sein neues „Studio Schwaben“. Mit ihm will der gebührenfinanzierte Sender stärker in der Region präsent sein und verstärkt über sie berichten. Am 1. Juni soll der vollständige Sendebetrieb aufgenommen werden. Bislang war die Regionalredaktion Schwaben in München angesiedelt. In dem neuen Studio erstellen insgesamt mehr als 20 Mitarbeiter Programminhalte für die Bereiche Fernsehen, Hörfunk und Online.
Früher waren die drei Bereiche getrennt, nun verschmelzen sie – für den BR bedeutet dieser „trimediale“Umbau die größte Reform in seiner Geschichte. Zu ihr zählt ein Ausbau der digitalen Angebote. Bei einigen Mitarbeitern stößt die Reform auf Begeisterung. Andere fürchten um ihren Arbeitsplatz. Denn zugleich muss der BR massiv sparen, was sich künftig stärker im Programm niederschlagen wird.
„Wer sich nicht verändert, ist irgendwann weg“, sagte BRChefredakteur Christian Nitsche über den Umbauprozess im Gespräch mit unserer Zeitung. Seit dem 1. April leitet der 45-jährige Nürnberger medienübergreifend die Bereiche Fernsehen, Hörfunk sowie Online und muss die Reform umsetzen. Er ist Nachfolger des langjährigen Fernseh-Chefredakteurs Sigmund Gottlieb und der Hörfunk-Chefredakteurin Mercedes Riederer. Das Studio Schwaben sieht er als Vorreiter.
Von einem bedeutenden Wandel sprach am Montagabend im Staatlichen Textil- und Industriemuseum in Augsburg vor zahlreichen Vertretern wichtiger gesellschaftlicher Gruppen aus Schwaben BR-Intendant Ulrich Wilhelm. Der BR müsse schneller in der Lage sein, live auch aus Schwaben zu berichten, die Berichterstattung aber müsse von hoher Qualität bleiben. Die Eröffnung des neuen Studios sei ein besonderes Ereignis „in Zeiten, in denen wir mit dem Rotstift rechnen müssen“. Zu den Kosten des Studios wollte der BR keine Angaben machen.