Kunst ist, wenn ein Schild dran hängt
Seit ein paar Tagen hat die „Stiege“an der Herdbrücke wieder geöffnet. Warum die Bar jetzt als Museumseingang fungiert
Kunst zu definieren, ist schwierig. Der Bildhauer Karl Schmidt in Sven Regeners Roman „Kleiner Bruder“hat es versucht: „Es ist Kunst, wenn einer sagt, dass es Kunst ist. Im Zweifel ich. Und dann muss ich noch mindestens einen finden, der mir das glaubt.“Ein Satz, der Kunstfreunde auch an Marcel Duchamp erinnert. Der platzierte unter anderem 1917 ein Pissoir in einer Ausstellung und erklärte es damit zur Kunst – damals ein Skandal. Die beiden Künstler Robert Verch (Chemnitz) und Martin Schotten (Freiburg) gehen einen Schritt weiter: Sie deklarieren die ganze Stadt zum Museum. Und die „Stiege“an der Herdbrücke zu dessen Eingang und Shop.
Vor ein paar Tagen ist die KunstBar in die neue Saison gestartet – etwas später als geplant, denn die Bauarbeiten an der Brücke, die schon der Saison 2016 drastisch verkürzten, zogen sich länger hin als gedacht. Die beiden Betreiber Petra Schmitt und Martin Leibinger nutzen den früheren Toilettenabgang dieses Jahr jedoch nicht mehr für eine Kunstinstallation, sondern unter dem Motto „Alles muss raus“als Drehkreuz für wechselnde größere Projekte im öffentlichen Raum. So wie „deklarismus.org“.
Die Künstler Verch und Schotten haben ihren „Deklarismus“zuvor unter anderem in Weimar, wo sie auch studierten, ausprobiert. Die Künstler gehen für ihr Vorhaben durch die Stadt und suchen nach „Spuren und Fragmenten bewusster und unbewusster Gestaltung“, wie es in ihrem Manifest heißt. Das klingt theoretisch, ist aber eine humorvolle Hommage an die manchmal seltsame Art, wie Menschen ihre Umgebung gestalten. Auch in Ulm und Neu-Ulm wurden Verch/ Schotten fündig. Da ist das Abluftrohr an einem Fachwerkhaus, das von einen historisch anmutenden Dächlein geschützt wird. Das stachelbewehrte und efeuumwucherte Gitter, das an seinem Platz so gar keine Funktion zu haben scheint. Oder das Verkehrsschild, das von einem Straßenlampenschirm gekrönt ist. Wie im Museum bekommen die Objekte ein Schild, auf dem korrekt Maße und Material notiert sind. Titel und Künstler gibt es natürlich nicht.
Für die Deklarismus-Ausstellung kommen erstmals die auffälligsten Neuerungen der „Stiege“zum Einsatz: drei große, tonnenschwere gläserne Vitrinen aus den 1950er Jahren, die bis vor einigen Monaten am Ulmer Bahnhof aufgestellt waren und von Schmitt und Leibinger vor der Zerstörung bewahrt wurden. Zwei stehen nun am Donauufer, eine ist gegenüber der Bar platziert. Letztere ist gefüllt mit verschiedenen käuflichen Kunst-Andenken: T-Shirts, Feuerzeuge, Zigarettenetuis und sogar ein Set zum Selbstdeklarieren. Weiterer Standort ist die Griesbadgalerie am Ulmer Seelengraben, wo Interessierte mehr über die einzelnen Kunstprojekte erfahren können oder andere Arbeiten der beteiligten Künstler betrachten können.
Der Deklarismus von Verch/ Schotten ist nur der Anfang. Laut Co-Initiatorin Schmitt sollen über die Sommermonate noch vier bis fünf weitere Kunstaktionen folgen – die auch nach Neu-Ulm reichen. Dort eröffnet Ende Juni noch ein weiteres Projekt, bei dem die Stiegeund Griesbad-Macher ihre Finger im Spiel haben: der temporäre Kunstraum „Putte“am Augsburger Tor (wir berichteten). „Da kommen tolle Sachen“, freut sich Schmitt. O
Die „Stiege“hat bei schönem Wetter täglich ab 18 Uhr ge öffnet, die Griesbadgalerie Freitag 19 21 und Samstag/Sonntag 13 18 Uhr.