Neu-Ulmer Zeitung

Man habe „doch sehr gut abgeschnit­ten“, sagt Merkel

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treu: Nüchtern, unaufgereg­t und ohne erkennbare Regung analysiert sie erst vor den Führungsgr­emien ihrer Partei und dann vor der Presse die Gründe für den Sieg. Im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen habe man „jeweils doch sehr gut abgeschnit­ten“, sagt sie – und das ist schon das Höchste der Gefühle.

In der SPD-Zentrale wissen am Morgen nach dem Wahldebake­l von Nordrhein-Westfalen alle, was zu tun ist. Sie jubeln, erst recht, weil es überhaupt keinen Grund dafür gibt. Der lang anhaltende Beifall, mit dem die Mitarbeite­r des WillyBrand­t-Hauses ihren Parteichef empfangen, soll zeigen: In der SPD steckt auch nach drei verlorenen Landtagswa­hlen noch Leben.

Schulz hat tiefe Augenringe und spricht auch so, als hätte er einen schweren Kampf hinter sich. Er vergleicht sich selbst und seine Partei mit einem angeschlag­enen Boxer, der einen „Leberhaken“einstecken musste. Doch das bedeute nicht, dass auch die nächste Runde an den Gegner gehe. Die SPD, sagt er, sei „kampferpro­bt“und mache sich nun auf den „langen, steinigen Weg“, den Rückschlag wegzusteck­en. Er dankt Hannelore Kraft, dass sie „wie eine Löwin gekämpft“habe. Die abgewählte Ministerpr­äsidentin, die am Sonntagabe­nd von allen Parteiämte­rn zurückgetr­eten ist, betont noch einmal: „Die Verantwort­ung trage ich.“

Die Botschaft an Partei und Wahlvolk ist klar an diesem Montag: Das desaströse Ergebnis hat allein Kraft verschulde­t, nicht Schulz. Weil er mit seinen überlegene­n bundespoli­tischen Themen noch die Kohlen aus dem Feuer hätte holen – wenn er nur gedurft hätte. Kraft sagt: „Ich habe Martin gebeten, die Bundespoli­tik aus dem Wahlkampf herauszuha­lten.“

Doch selbst in der SPD-Zentrale leuchtet vielen dieser Versuch nicht ein, einen Rest Schulz-Euphorie über die dritte Wahlschlap­pe zu retten, die unter seine Verantwort­ung fällt. Hinter vorgehalte­ner Hand kritisiert man, dass der Kanzlerkan­didat ein konkretes Wahlprogra­mm schuldig geblieben ist. Und selbst altgedient­e Parteimitg­lieder glauben nicht daran, dass er die Stimmung im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland hätte drehen können. Die meisten Themen, die für die Bürger entscheide­nd waren – Bildung, innere Sicherheit, Verkehr, Infrastruk­tur – seien nun mal Ländersach­e, heißt es.

Ausländisc­he Medien feiern die Kanzlerin am Montag bereits als Siegerin bei der Bundestags­wahl in vier Monaten. Doch das ist eine gefährlich lange Zeit in der Politik. Keiner bekommt das gerade mehr zu spüren als die SPD. Im Januar war Schulz als ihr Kanzlerkan­didat angetreten, bekam 100 Prozent bei der Wahl zum Parteichef, wurde bei seinen Auftritten mit Sprechchör­en bejubelt. Nun, vier Monate später, liegen die Sozialdemo­kraten am Boden.

Auch Merkel weiß, wie schnell sich die Stimmung drehen kann. Drum zählt sie im Konrad-Adenauer-Haus lieber simple Gründe den Wahlerfolg auf – das geschlosse­ne Auftreten der Partei etwa, die miserable Bilanz der rotgrünen Regierung in Düsseldorf. Und die Kanzlerin zieht Schlussfol­gerungen: Dass die Union geschlosse­n in den Bundestags­wahlkampf ziehen müsse. Dass im Wahlprogra­mm, das CDU und CSU nun gemeinsam erarbeiten, klar die Zukunftspe­rspektiven in den Bereichen Arbeit, Bildung, Forschung, Integratio­n innere und äußere Sicherheit sowie Europa herausgear­beitet werden müssten. „Gerechtigk­eit ist ganz wichtig“, sagt Merkel – und kann sich einen kurzen Seitenkönn­en hieb Richtung SPD nicht verkneifen.

Im Willy-Brandt-Haus hat Martin Schulz ein paar Stunden vorher angekündig­t, dass er bald sein Wahlprogra­mm vorlegen wird. Eines, das den Menschen in Deutschlan­d „bessere Lösungen“biete. „Es geht um mehr Gerechtigk­eit in Deutschlan­d“, sagt er. Und, dass er verstärkt in Bildung und Infrastruk­tur investiere­n will, dass der technologi­sche Vorsprung der Bundesrepu­blik bedroht sei, dass die Forschungs­ausgaben erhöht werden müssten, um die Betriebe und deren Exportchan­cen zu stärken. Und nafür türlich will der frühere Präsident des Europäisch­en Parlaments „Europa stärken“.

Als sich Schulz danach mit dem Parteivors­tand zurückzieh­t, sind längst nicht alle im Publikum überzeugt. So mancher Genosse bezweifelt, ob gerade das Thema Europa dazu taugt, die SPD aus ihrer Misere herauszufü­hren. Andere quälen sich noch immer mit der Frage nach den Ursachen des Wahldebake­ls. Und die sehen manche auch im direkten Umfeld von Schulz. „Da sind große Fehler gemacht worden, diese Niederlage haben jedenfalls keine höheren Mächte aus dem All verursacht“, räumt ein Mitarbeite­r der Parteizent­rale ein. Die Kritik zielt in die Richtung von Katarina Barley, die als SPD-Generalsek­retärin für den Wahlkampf verantwort­lich ist. Dem Kampagnent­eam fehle es offenkundi­g an Erfahrung, glaubt er.

In der CDU verweist man derweil lieber auf Zahlen, Bilanzen, Umfragewer­te. So wie Andreas Jung aus Konstanz, Vorsitzend­er der CDULandesg­ruppe im Bundestag, der darauf verweist, dass NordrheinW­estfalen Schlusslic­ht in Deutschlan­d sei, aber Deutschlan­d spitze in Europa. Und er betont, dass es keinen „Schulz-Effekt“gebe, nicht einmal in seiner Heimat. „Selbst der Westwind stärkt Angela Merkel den Rücken.“

So mancher spricht da lieber vom „Merkel-Effekt“. Der Politikwis­senschaftl­er

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Eine gelöste, sichtlich gut gelaunte Bundeskanz­lerin trat da am Montag vor die Presse. Doch von Euphorie oder gar von einem „Merkel Effekt“will die CDU Chefin nichts hö ren. Lieber bleibt sie nüchtern, unaufgereg­t, analytisch.
Foto: Michael Kappeler, dpa Eine gelöste, sichtlich gut gelaunte Bundeskanz­lerin trat da am Montag vor die Presse. Doch von Euphorie oder gar von einem „Merkel Effekt“will die CDU Chefin nichts hö ren. Lieber bleibt sie nüchtern, unaufgereg­t, analytisch.
 ?? Foto: John MacDougall, afp ?? Das dritte Wahldebake­l in Folge? Für Martin Schulz, den Kanzlerkan­didaten der SPD, ist das, als müsste er einen „Leberhaken“einstecken.
Foto: John MacDougall, afp Das dritte Wahldebake­l in Folge? Für Martin Schulz, den Kanzlerkan­didaten der SPD, ist das, als müsste er einen „Leberhaken“einstecken.

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