Als die Renaissance an den Bodensee kam
Das Kunsthaus Bregenz ist derzeit fest im Griff von Adrián Villar Rojas. Der Argentinier stellt Bezüge zu alten Meistern her und erinnert sogar an Urzeitliches. Seine Arbeit hat ihm einen Spitznamen eingebracht
Der Kunsthaus-Kurator nennt ihn „ein Biest“– in aller Öffentlichkeit. Und Adrián Villar Rojas, der so titulierte Künstler, steht daneben mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze und lächelt zufrieden. Der Argentinier hat erreicht, was ihn beschäftigt, seit er eingeladen wurde, das Kunsthaus Bregenz zu bespielen: der Ikone – gemeint ist das Kunsthaus selbst – etwas entgegenzusetzen. „Was soll ich noch tun mit diesem Tempel?“, hat er sich angesichts der Perfektion von Peter Zumthors Schöpfung gefragt. Die einzige Möglichkeit: Ihn leer zu fegen und mit eigenen Ideen aus Bildern, Farben, Feuer und Marmor zu fluten. Die „Tempel-Priester“, also Techniker und Handwerker des Kunsthauses, brachte Rojas damit an ihre Grenzen – sollen sie ihn ruhig „Biest“nennen.
Seit Jahren hat das Kunsthaus Bregenz keine so sinnliche Ausstellung mehr erlebt. Keinen Schritt tut der Besucher dieser Schau unbedacht. Vielmehr tastet er sich durch die Hallen, deren Böden zu betreten cassos Gemälde „Guernica“. In diesem Moment bestätigt sich die ungute Vorahnung, die man beim Betreten der heilig-düsteren Stätte hatte.
Nach solcher Erfahrung ist das Weiß fast schmerzhaft hell, in das Rojas das Obergeschoss getaucht hat. Zugleich lässt es aufatmen, hoffen – obwohl die zentral präsentierte weiße Marmor-Statue nur ein Fragment ist. Den Beinen des „David“von Michelangelo hat Rojas ein Podest aus vier kreuzförmig verbundenen Rampen gebaut. Sie wachsen aus einem weiß glänzenden Boden, der als Ganzes neu gegossen wurde und nirgendwo auch nur den Hauch einer Naht zeigt.
Ein anderes Meisterstück der Renaissance treten Ausstellungsbesucher mit Füßen. Sie berühren es, noch bevor sie ihre Tickets fürs Kunsthaus gelöst haben: Der Boden des Erdgeschosses, aus dem Rojas sogar den Empfangstresen entfernen ließ, besteht jetzt aus dem vielfach vergrößerten Gemälde „Madonna del Parto“von Piero della Francesca. Ermattetes Blattgold, verblasste Farb- und abgetretene Holzschichten verweisen auf Vergänglichkeit – und doch ist die Schönheit nicht zerstört.
Die Bewunderung für all die Meisterwerke, die Adrián Villar Rojas in seiner Schau verehrt, macht den 37-Jährigen mit den feingliedrigen Händen für die Kunsthausleute zu einem schwierigen Partner. So vieles war schon da, so Gewaltiges haben Künstler geleistet, dass es schwer ist, sich aus ihrem Schatten zu lösen. Und das Kunsthaus selbst, so die Retourkutsche Rojas’ an den Kurator, sei im Verlauf seiner 25-jährigen Geschichte ja selbst nachlässiger geworden beim Bemühen, Einzigartiges an diesem Ort und nur für diesen Ort entstehen zu lassen. An die Grenzen zu gehen und darüber hinaus – an diesen Anspruch hat er den Kunsttempel am Bodensee erinnert. O
Bis 27. August im Kunsthaus Bregenz. Geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 20 Uhr; ab 1. Juli täglich geöffnet von 10 bis 20 Uhr.