Neu-Ulmer Zeitung

Die Dämmerung der Rockgötter

Der nun in München gefeierte Abschied von Aerosmith bedeutet ein weiteres Loch in der Reihe der Legenden. Aber womöglich machen Steven Tyler und Co ja doch noch weiter? So oder so: Es zeigt sich ein Generation­enproblem

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

44 Jahre ist der Song alt und hat von seiner Größe noch immer nichts eingebüßt. Es ist Freitagabe­nd, 22500 Menschen sind auf den Münchner Königsplat­z gekommen, haben 100 Euro Eintritt und mehr bezahlt, um sich von einer der größten Bands der Rockgeschi­chte zu verabschie­den. Kalauerig „AeroVederc­i Baby“heißt deren Tour und Soundprobl­eme haben dieses Konzert geprägt, aber gerade stimmen die „Toxic Twins“an ihrer Spitze unter dem ersten Sommernach­tshimmel dieses Jahres als Zugabe „Dream On“an. Träume weiter, Falten in meinem Gesicht, träume weiter, alles holt einen irgendwann ein, träume weiter, vielleicht holt dich morgen der gütige Herr, träume weiter, sing mit mir…

Und klar singen alle mit, denn das hier sind Aerosmith, Steven Tyler unverkennb­ar mit Riesenmund und Lockenmähn­e und Divenmante­l am weißen Flügel, am schalbehän­gten Mikrofon, und dazu Joe Perry mit der Goldgitarr­e, Kokain im Wert von 20 Millionen Dollar sollen diese Gift- statt der Glitzer-Zwillinge Keith Richards und Mick Jagger in ihren wilden Zeiten weggezogen haben, aber diese ganzen Songs: „Cryin’“und „Livin’ On The Edge“, „Love In An Elevator“und „Janie’s Got A Gun“, „I Don’t Want To Miss A Thing“und „Sweet Emotion“haben sie gespielt, und auch wenn sie sich weitere Balladen-Hits wie „Amazing“und „Crazy“sparen, kommt zum Abschluss ja noch „Walk This Way“, das im Original die frühen Jahre, aber im Duett mit den Rappern von Run DMC auch für die Rückkehr nach einer frühen Krise steht, bevor in den Neunzigern dann der Weltruhm folgte – das alles ist Legendenst­off.

So steht am Ende, nach dem Goldkonfet­tiwirbel zwischen den historisch­en Prachtbaut­en mit der Antikensam­mlung, eben auch eine ernüchtern­de Erkenntnis: dass damit, „Aero-Vederci Baby“, wieder eine der Legendenge­schichten endet. Im vergangene­n Jahr haben sich Black Sabbath verabschie­det, Pink Floyd haben kurz davor ihr letztes Album veröffentl­icht, von AC/DC dürfte nach dem krankheits­bedingten Ausscheide­n von Malcolm Young und Brian Johnson kaum etwas übrig sein, Motörhead-Lemmy ist tot, Deep Purple haben eine Abschlusst­ournee begonnen, die drei Jahre dauern soll , aber irgendwann, wie der Abschiedsr­eigen der Scorpions, eben zu Ende gehen wird …

Und wenn sich noch Aerosmith verabschie­den? Die spielen ja immerhin in Originalbe­setzung, im Gegensatz zu Foreigner, die den Abend in München eröffnet haben, auch schon 40 Jahre dabei sind, aber doch nur in Person von Gitarrist Mick Jones. Dann sind aus den goldenen Zeiten bald nur noch die Rolling Stones übrig, die derzeit ja wirken, als wollten und würden sie mit 120 noch ein und dasselbe Konzert in irgendeine­r ausverkauf­ten Arena dieser Welt noch mal und immer weiterspie­len. Aber muss das denn sein? Und können das Aerosmith nicht auch? Einfach weiterträu­men, einfach über den 70. Geburtstag Steven Tylers im kommenden März hinweg, wo dessen Rockröhre doch immer noch intakt wirkt und er unter einem sichtbar entknitter­ten Gesicht auch gerne den für dieses Alter beeindruck­end fitten Oberkörper zwischen den Rockschöße­n aufblitzen lässt? Das denkt sich die Band nun, da das angekündig­te Ende in Sichtfür

Die Meldung kam per Mail, an Christi Himmelfahr­t, dem Donnerstag, einen Tag vor dem Aerosmith-Konzert also, mittags um 12.27 Uhr: Der Berichters­tatter stehe wie üblich auf der Gästeliste, es gebe nur eine Richtlinie zu beachten: „Die Nachberich­te inklusive Konzertfot­os müssen bis spätestens 13 Uhr am Tag nach dem Konzert eingereich­t werden.“

Der schlichte Satz bedeutete einen neuen Höhepunkt eines sich seit Jahren zuspitzend­en Problems: Bei immer mehr Stars der Musikbranc­he werden die lange Zeit üblichen Rahmenbedi­ngungen der medialen Berichters­tattung eingeschrä­nkt. Zumeist betrifft das bislang vor allem die Fotografen, die dann nur noch bei Unterschri­ft von Knebelvert­rägen zugelassen werden (die Rechte an den Bildern gehen dann wie bei Taylor Swift etwa an das Management des Künstlers über) oder auch gar nicht mehr (bei Rihanna etwa konnte man stattdesse­n weite ist, offenbar auch immer mehr. Tyler erinnert sich, obwohl er von einem Überdruss am Musik-Business spricht („It Kills Me!“), dass sie immer die „Last Band Standing“hätten werden wollen, die allerletzt­en Aufrechten. Und Joe Perry und Co. fügen an, wie viel Leben in der Band noch sei, wie viel Spaß das Fotos direkt vom Management anfordern). Nun also sollte das Management die Fotos genehmigen müssen – und die Texte dazu! Damit kein Wort auftaucht über die Management-Streitigke­iten bei Aerosmith in den vergangene­n Jahren? Bei Ed Sheerans Konzerten hatte es kürzlich gar keine Akkreditie­rungen gegeben – diese Tatsache aber wurde wiederum erst so kurzfristi­g kommunizie­rt, dass alle Karten bis dahin längst ausverkauf­t waren und also praktisch auch sonst keine Berichters­tattung mehr möglich.

Im Fall von Aerosmith hat sich das Problem doch noch geklärt. Weil genügend avisierte Berichters­tatter wie der dieser Zeitung geantworte­t haben: „…auf keinen Fall werde ich mir einen Konzertber­icht von einem Management freigeben lassen …?“Unter solchen Umständen also: keine Berichters­tattung. Um kurz nach 17 Uhr jedenfalls folgte die Rücknahme der Richtlinie. Bis zum nächsten Mal. (ws) Spielen wieder mache … – als hätten sie nicht all die Jahre eigentlich immer Konzerte gegeben. Und als hätten sie nicht auch genug Ärger gehabt samt Aufteilung in verschiede­ne Management­s. Und als hätten sie nicht genug verdient? Doch zum 50. Geburtstag der Band in zwei Jahren haben sie zumindest eine Welttourne­e in Aussicht gestellt. Warum fällt es ihnen allen so schwer, das zu tun, was etwa die Herren und ja sehr wohl auch Stars von R.E.M. 2011 nach 31 Karriereja­hren einfach so getan haben: aufzuhören?

Es ist ein doppeltes Generation­enproblem der Rockmusik. Denn in keinem Segment ist das an sich ja viel schwierige­r gewordene Musikgesch­äft auf so hohem Niveau stabil und zugleich relativ anspruchsl­os: Die alten Helden müssen nur immer wieder tun, was sie seit all den Jahren tun, verstärkt durch technische Möglichkei­ten, und die ja selbst arivierten Zuschauerm­assen zahlen für ein womöglich letztes Mal mit den Legenden ein Vermögen. Die mittleren Generation­en haben sich in weiten Teilen selbst bereits ausgelösch­t oder zumindest aufgelöst, von einem bereits hysterisch­en Starzirkus aufgebläht und aufgeriebe­n. Die jüngeren Rocker schließlic­h erreichen gar keine Generation mehr, sind kaum in Hitparaden vertreten, füllen keine Arenen, der Zeitgeist ist abgewander­t, die Nische geblieben.

Es ist die Zeit der Alten, die überlebt haben, sie haben das leichteste Spiel. Und damit ja auch einen erfüllten, langen Lebensaben­d. Träume weiter, sing mit mir… – die Dämmerung kann noch dauern. Der US-Rockmusike­r Gregg Allman, Gründer der legendären Allman Brothers Band, ist mit 69 Jahren friedlich in seinem Haus in Savannah im US-Staat Georgia gestorben. Allman, ein Wegbereite­r des Southern Rock, hatte seit Jahren gesundheit­liche Probleme. Die Allman Brothers Band hatte ihre große Zeit in den 70er Jahren mit Hits wie „Jessica“oder „Ramblin’ Man“. Bruder Duane starb bereits 1971, bei einem Motorradun­fall. Die Band machte in anderer Besetzung weiter. 1995 schaffte sie es in Rock ’n’ Roll-Hall-of-Fame. Gregg Allman schilderte 2012 sein Leben in den Memoiren „My Cross to Bear“. Zuletzt hatte er noch an einem neuen Album, „Southern Blood“, gearbeitet. Allman hinterläss­t eine Ehefrau sowie mehrere Kinder – darunter Sohn Elijah Blue, der aus einer kurzen Ehe mit Sängerin Cher in den 70er Jahren stammt. Cher reagierte über Twitter auf den Tod ihres Ex-Manns. „Worte sind unmöglich“, schrieb sie. Die Deutsche Schauspiel­erin Diane Kruger hat beim Filmfestiv­al in Cannes den Preis als beste Hauptdarst­ellerin gewonnen. Die 40-Jährige wurde für ihre Leistung in Fatih Akins NSU-Drama „Aus dem Nichts“geehrt. Das Werk erzählt von einem Bombenansc­hlag, bei dem ein Türke und sein kleiner Sohn sterben. Zurück bleibt die Ehefrau. Es ist der erste Preis für eine deutsche Schauspiel­erin seit 1986, als Barbara Sukowa für „Rosa Luxemburg“von Margarethe von Trotta gewann. Die Goldene Palme des Filmfestiv­als Cannes ging an die schwedisch­e Gesellscha­ftssatire „The Square“von Ruben Östlund. Das Werk erzählt von einem Museumskur­ator, dessen Leben außer Kontrolle gerät, als er sein Handy verliert. Regisseur Ruben Östlund wirft dabei Fragen zu Moral, Männlichke­it und Bigotterie der bürgerlich­en Schicht auf. Es ist die erste Goldene Palme für Schweden.

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Gut 40 Jahre liegen zwischen den Bildern. Das neue ist von der jetzigen Abschiedst­our und zeigt Steven Tyler (links) und Joe Perry am Freitag vor 22 500 Zuschauern auf dem Münchner Königsplat­z.
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Fotos: afp, dpa GESTORBEN
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Gregg Allman
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Diane Kruger

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