Ein paar Minuten blind sein
Den Alltag von Sehbehinderten prägen viele Herausforderungen. Welche das sind, demonstriert der Lions-Club in Ulm
Alles ist verschwommen, bis auf ein paar Umrisse ist nichts mehr zu erkennen. Ein Blindenstock soll bei der Orientierung helfen. Doch das ist schwieriger als gedacht. Wo geht’s jetzt lang? Rechts ist kein Durchgang. Ein beklemmendes Gefühl macht sich breit. Blind sein – wie sich das anfühlt konnten am Wochenende zahlreiche Interessierte in der Ulmer Hirschstraße erfahren. Dort parkte nämlich ein großes Erlebnis-Mobil des Lions-Clubs, der Bürgern demonstrieren wollte, wie Sehbehinderte zurechtkommen müssen.
Bevor Bürger sich ins Mobil begeben konnten, bekamen sie einen Blindenstock und eine Brille. Diese nimmt 90 Prozent des Sehvermögens und simuliert somit die Sehkraft einer Person, die grauen Star im Endstadium hat. Für ein paar Minuten konnten die Besucher dann die Welt der Blinden hautnah miterleben. Im Erlebnis-Mobil erwarteten die Teilnehmer zahlreiche Hindernisse: eine unachtsam abgestellte Mülltonne, Treppenstufen, Steine auf dem Boden und kleine, dünne Stäbchen die von der Decke herabhängen – für Sehende gar kein Problem, für Blinde jedoch schnell eine Gefahr. „Ich hatte die ganze Zeit Angst, dass ich irgendwo hineintrete oder runterfalle“, sagte Hanna Stockinger aus Ulm. Und Kerstin Schwabe fügte hinzu: „Ich wurde gleich total unsicher, als sich nur die Bodenbeschaffenheit änderte“– etwas, das Sehende oft nicht einmal bemerken.
Anschließend durften die Besucher das Mobil noch einmal durchlaufen – dieses Mal ohne Brille. Die Erfahrungen waren für viele erschreckend. „Ich hätte mir das Mobil ganz anders vorgestellt“, sagt Madlen Häntzsch. Erst beim zweiten Durchgang konnte sie die Pflanzen und Fliesen an der Wand wahrnehmen. „Für mich war es überraschend zu erleben, wie viel man tatsächlich nur übers Sehen wahrnehmen kann“, sagt sie. Auch Stefan Brehm macht eine erschreckende Erkenntnis: „Es ist bedrückend, zu sehen, wie viel Schönes einem Blinden entgeht.“
Genau dieses Verständnis für die Lage von Blinden wollten die Ulmer Lions in Kooperation mit der Christopher Blindenmission schaffen. Seit mehr als 20 Jahren setzten sich Lions in ganz Deutschland im Kampf gegen vermeidbare Blindheit ein. Was viele nicht wissen: Nur ein einziger operativer Eingriff kann das Sehvermögen der Menschen, die an grauem Star erkrankt sind, wiederherstellen. Und dieser Eingriff koste gerade mal 30 Euro. „Erschreckend, wenn man überlegt, dass ich gestern für dieses Geld Abendessen war“, sagt Hanna Stockinger. In vielen Entwicklungsländern haben Familien allerdings oft nicht genug Ersparnisse, um solche Operationen zu bezahlen. Deshalb setzen sich die Lions mit Spendengeldern vor allem in Afrika für Augenerkrankte ein.
Um die Bekanntheit der Aktion zu steigern, reist das „BlindheitsErlebnis-Mobil“nun von Stadt zu Stadt und wird dort von den jeweiligen Lions-Clubs aufgebaut und betreut. Anlass dafür ist der 100. Geburtstag des Lions-Clubs International. Die Resonanz in Ulm war mehr als positiv: Vor allem sehr viele junge Menschen machten beim Experiment mit, sagte Matthias Gruber, Sekretär des ersten Lions-Clubs-Ulm. „Dass sich Jugendliche mit Afrika auseinandersetzen freut uns besonders.“Und auch Hans-Georg Palm, Mitglied des Lions-Clubs-Ulm, zog positive Bilanz: „Diejenigen, die sich auf das Erlebnismobil eingelassen haben, waren beeindruckt, wie wichtig unser Augenlicht tatsächlich ist, um im Alltag zurechtzukommen.“