Neu-Ulmer Zeitung

Ihre Stimme zittert, sie lächelt gequält

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absoluten Stimmen sogar zugelegt. Und doch haben sie ihre absolute Mehrheit verloren. Es ist die Niederlage von Theresa May. Auf gut Deutsch: Sie hat sich verzockt.

In der Nacht ist sie noch schnell zur Siegerin in ihrem Wahlkreis Maidenhead, einer Gegend im Speckgürte­l von London, gekürt worden. Nun betont sie in ihrer kurzen, starren Rede, das Land brauche eine Phase der Stabilität. Ihre Stimme zittert, sie lächelt gequält, und weder Lord Buckethead noch Elmo noch dem Rest der Briten dürfte der Irrwitz entgehen, der in ihren Worten mitschwing­t. Denn de facto herrscht in Westminste­r Chaos.

Es gibt ein Patt im Parlament. Die Gesellscha­ft ist zumindest so gespalten wie vor einem Jahr nach dem Brexit-Votum. Die Wahl hat diese Gräben weiter vertieft. May rief im April entgegen früherer Beteuerung­en ohne Not Neuwahlen aus. In Umfragen lagen die Konservati­ven mit mehr als 20 Prozentpun­kten Vorsprung fast uneinholba­r vor der Labour-Partei unter Opposition­schef Jeremy Corbyn. Die Regierungs­chefin wollte sich für die anstehende­n Brexit-Verhandlun­gen mit Brüssel ein eindeutige­s Mandat und die Mehrheit im Parlament ausbauen. Gestern, so war der Plan, wollte sie vors Volk treten und einen historisch­en Sieg feiern. „Sie ging ein hohes Risiko ein und hat sich verzockt“, lautet stattdesse­n der Tenor auf der Insel.

Trotz Rücktritts­forderunge­n von allen Seiten gibt sich die 60-Jährige an der Seite ihres Mannes Philip standhaft. Erst holt sie im Buckingham-Palast bei Königin Elizabeth II. die formelle Erlaubnis für die Regierungs­bildung ein, dann tritt sie vor die Presse. Wer allerdings erwartet hat, dass sie mit einer beschwicht­igenden Ansprache an das Volk reagieren würde, sieht sich getäuscht. Sie wolle mit Unterstütz­ung der nordirisch-unionistis­chen DUP, der Democratic Unionist Party, eine Regierung formen, kündigt sie an. Lediglich die Konservati­ven und die DUP hätten die Fähigkeit und den Auftrag, dem Land die dringend Stabilität zu verschaffe­n. Einer der anwesenden Fotografen verdreht die Augen. Irgendwie klingt das wie ihre Botschaft der „starken und stabilen Führung“, die sie in den vergangene­n Wochen nicht müde wurde zu betonen. Kein Wort zur Hängeparti­e, in der die Tories nun stecken. Kein Wort zur Versöhnung an das zerrissene Land. Kein Wort der Selbstkrit­ik. Als „Königin des Verdrängen­s“verspottet sie die Zeitung Evening Standard, weil sie schlichtwe­g „das Desaster ignoriert“.

Statt May jubelt nun LabourChef Jeremy Corbyn. Ausgerechn­et der 68-jährige Alt-Linke, der innerhalb der eigenen Partei hoch umstritten ist, hat es geschafft, die Jugend zu mobilisier­en. Corbyn, der Mann mit dem weißen Vollbart und den unumstößli­chen Prinzipien, wirkte offensicht­lich authentisc­her und bot den Wählern eine Kampaversc­haffen gne, die vor allem auf soziale Gerechtigk­eit fokussiert­e. Als lebenslang­er EU-Skeptiker vermied er das Thema Brexit, so gut es ging. Und doch könnte der Erfolg der LabourPart­ei, die sich für einen Verbleib im gemeinsame­n Binnenmark­t ausgesproc­hen hat, dafür sorgen, dass Theresa May sich mit ihrer harten Brexit-Linie nicht durchsetzt.

„Das Ergebnis zeigt, dass die Menschen eine andere Vorstellun­g von einem Großbritan­nien außerhalb der EU haben als May“, sagt Simon Hix, Politikwis­senschaftl­er an der London School of Economics. Er erwartet, dass sich nun auch die moderaten Kräfte innerhalb der konservati­ven Partei wieder melden. Jene EU-Anhänger, die nach dem Brexit-Votum von den EUSkeptike­rn und Theresa May zum Schweigen gebracht wurden, „werden nun nach vorne treten und eine Umkehr des Brexit-Kurses fornotwend­ige dern“, prophezeit Hix. Ein Machtkampf innerhalb der Tories?

Schon jetzt laufen Wetten, wie lange sich May angesichts der geschwächt­en Position in ihrem Amt halten kann. Erneute Wahlen innerhalb der nächsten zwei Jahre, „vielleicht sogar schon 2018“, gelten als wahrschein­lich. Andere meinen, sie überstehe nicht einmal dieses Wochenende. Nur: Zum jetzigen Zeitpunkt würde sich ein Wechsel in der Downing Street schwierig gestalten angesichts der knapp bemessenen Zeit, die für die Scheidungs­gespräche mit Brüssel bleiben, glaubt der renommiert­e Polit-Experte Tony Travers. Am 19. Juni sollen die Verhandlun­gen mit den 27 übrigen Mitgliedst­aaten eigentlich beginnen. Das Problem ist: „Ihre Position ist nun sehr viel schwächer und die Partner wissen das“, sagt Travers.

Theresa Mays Kampagne, die komplett auf sie zugeschnit­ten war,

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