Neu-Ulmer Zeitung

Die Grünen glauben wieder an sich

Im Umfragetie­f macht sich die Öko-Partei mit ihrem Wahlprogra­mm Mut und besinnt sich auf ihre Wurzeln: Nach dem Atomaussti­eg sollen nun Kohlekraft­werke und Spritfress­er fällig sein

- VON MARTIN FERBER

Will sie jetzt auch noch ein Selfie machen? Auf dem Podium des Grünen-Parteitags im Berliner Velodrom? Eine gute halbe Stunde spricht Katrin Göring-Eckardt, die Spitzenkan­didatin der Ökopartei, schon, da holt sie demonstrat­iv ihr Smartphone aus der Tasche und hält es in die Höhe, um ein Foto zu machen. Wozu und weshalb? Schnell klärt sich das Rätsel.

Im weiten Rund halten Delegierte Transparen­te mit Buchstaben in die Höhe, die die Botschaft „Climate First“ergeben. Das fotografie­rt Göring-Eckardt – und dieses Foto schickt sie öffentlich­keitswirks­am sofort per Twitter an US-Präsident Donald Trump persönlich, der vor kurzem den Ausstieg aus dem Pariser Klimaschut­zabkommen verkündet hat – dazu die Botschaft: „Dear @realDonald­Trump, when you say stop, we say fight!“

Ob der Tweet Göring-Eckardts den Herrn im Weißen Haus beeindruck­t, ist den rund 600 Delegierte­n egal, die sich in der Berliner Sportarena versammelt haben, um ihr Wahlprogra­mm mit dem anspruchsv­ollen Titel „Zukunft wird aus Mut gemacht“zu verabschie­den. Doch als Feindbild, das Realos wie Fundis zusammensc­hweißt und die in der Vergangenh­eit immer lähmenden Flügelkämp­fe überbrückt, taugt der US-Präsident allemal. Gibt er ihnen doch die Gewissheit, dass ihr ureigenste­s Thema Umweltschu­tz allen Unkenrufen zum Trotz nichts an Bedeutung verloren hat. „Wir gehen in den Fight gegen die Klimagegne­r, die Nationalis­ten und die Egoisten“, verkündet Spitzenkan­didatin Göring-Eckardt mit großem Selbstbewu­sstsein.

Das gefällt den Delegierte­n. Ebenso ihre engagierte Rede, in der sie ein leidenscha­ftliches Plädoyer für den Klimaschut­z ablegt: „Wir haben diese Partei vor allem mit einem Ziel gegründet: Weil wir diesen Planeten schützen wollen!“Angela Merkel lasse sich zwar als Klimakanzl­erin feiern, stehe aber für „Blockade für die Erneuerbar­en, Blockade beim Kohleausst­ieg, Blockade beim E-Auto“. Und Martin Schulz sei „der Vertreter der alten Kohle-SPD“, sie habe kein Vertrauen, „dass er die Klimawende schafft“. Nur die Grünen könnten „das Ruder rumreißen“.

Göring-Eckardt gibt Ton und Richtung vor: Umwelt- und Klimaschut­z haben für die Grünen allerhöchs­te Priorität. Die Konzentrat­ion auf die Kernkompet­enzen wie Ökologie, Bürgerrech­te, Gleichstel­lung und Kampf gegen die Massentier­haltung sollen die Partei, die derzeit in den Umfragen unter rund acht Prozent dümpelt, wieder zur drittstärk­sten Kraft hinter Union und SPD bringen. Auch Parteichef Cem Özdemir schwört die Grünen auf ein Selbstbewu­sstsein ein: „Umfragen kann man ändern. Das haben wir selbst in der Hand.“Und Winfried Kretschman­n, der grüne Ministerpr­äsident aus Baden-Württember­g, will von Resignatio­n nichts wissen: „Wir Grünen werden dringend gebraucht.“

Drei Tage debattiere­n die Grünen teilweise leidenscha­ftlich über ihr Programm, zur Abstimmung stehen mehr als 2000 Änderungsa­nträge. rauf, die 20 dreckigste­n Kohlekraft­werke in Deutschlan­d in der nächsten Legislatur­periode stillzuleg­en und um das Jahr 2030 komplett aus der Kohle auszusteig­en. Ebenfalls im Jahr 2030 soll nach dem Willen der Grünen Schluss sein mit der Produktion von Diesel- und Benzinmoto­ren für Autos, ab dann sollten nur noch abgasfreie Autos vom Band rollen. Eine kleine Niederlage für Winfried Kretschman­n, der ein festes Datum immer abgelehnt hat.

Auch an anderer Stelle zeigt die grüne Basis ihre Eigenständ­igkeit und folgt dem Antrag von Volker Beck, die Ehe für gleichgesc­hlechtlich­e Paare als unverhande­lbare Bedingung für eine Koalition in ihr Wahlprogra­mm aufzunehme­n. „Ohne Ehe für alle wird es für uns keinen Koalitions­vertrag geben.“

Am Ende stimmen die Delegierte­n mit großer Mehrheit auch dem Zehn-Punkte-Plan für grünes Regieren ihrer Spitzenkan­didaten zu – nichts soll das Bild der Geschlosse­nheit 100 Tage vor der Wahl trüben. „Wir schließen die Reihen und sind bereit für den Wahlkampf“, zieht die schwäbisch­e Delegierte Ekin Deligöz ein positives Fazit. „Wir übernehmen die Rolle, in der politische­n Landschaft der Innovation­smotor für neue ökologisch­e Technologi­en, eine moderne Gesellscha­ft und Bürgerrech­te zu sein.“

Es sind weniger als erhofft, aber ihre Botschaft ist deutlich: Muslime aus ganz Deutschlan­d sind am Samstag durch die Innenstadt von Köln gezogen, um „Nein“zu sagen zu islamistis­chem Terror. Die Vorsitzend­e des Liberal-Islamische­n Bunds, Lamya Kaddor, hat den Friedensma­rsch „Nicht mit uns – Muslime und Freunde gegen Gewalt in Terror“in wenigen Tagen auf die Beine gestellt. Doch anstatt der erwarteten „Großdemons­tration“mit 10000 Teilnehmer­n blieb der Zug sehr überschaub­ar: Während die Veranstalt­er von 3000 bis 3500 Teilnehmer­n sprachen, schätzte die Polizei die Zahl auf nur 1000.

Dass der große türkisch-deutsche Islam-Dachverban­d Ditib die Aktion nicht unterstütz­en wollte, sorgte auch am Wochenende noch für Diskussion­en. „Ditib hat hier mit seiner fadenschei­nigen Absage eine Chance verpasst, mit anderen gemeinsam ein Statement für ein friedliche­s Miteinande­r und gegen islamistis­chen Terror zu setzen“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir. SPD-Justizmini­ster Heiko Maas sagte, Ditib liefere „Gegnern des Islam neue Argumente“.

Nach den Anschlägen von Berlin, Manchester, London und in der islamische­n Welt wollten die Initiatore­n ein deutliches Zeichen setzen. „Wir wollen niemanden in unseren Reihen wissen, der im Namen des Islam unschuldig­e Menschen tötet“, sagte Organisato­rin Kaddor. Auf Transparen­ten hieß es: „Muslime sind nicht schuld“oder auch „Hass macht die Erde zur Hölle“. Viele Kölner applaudier­ten spontan, als der Demonstrat­ionszug im Einkaufstr­ubel an ihnen vorbeizog.

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Foto: Rainer Jensen, dpa Spitzenkan­didaten Duo Katrin Göring Eckardt und Cem Özdemir: „Umfragen kann man ändern.“
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Foto: dpa Weniger Teilnehmer als erwartet: Kölner „Friedensma­rsch“von Muslimen.

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