Neu-Ulmer Zeitung

Rote Karte für Heiko Maas?

In einer Anhörung des Rechtsauss­chusses zerreißen die Experten das Facebook-Gesetz des Justizmini­sters. Kann es in einer abgespeckt­en Form gerettet werden?

- VON MARTIN FERBER

So weit ist es schon gekommen. Ausgerechn­et Alexander Lukaschenk­o, seit 1994 mit harter Hand regierende­r Autokrat von Weißrussla­nd, beruft sich in seinem Kampf gegen die Opposition auf den deutschen Justizmini­ster Heiko Maas von der SPD. So begründet der Diktator in Minsk die von ihm betriebene weitgehend­e Einschränk­ung der Meinungsfr­eiheit im Internet unter anderem mit dem von Maas vorgelegte­n Gesetzentw­urf, mit dem die Betreiber von sozialen Medien wie Facebook oder Twitter aufgeforde­rt werden, konsequent­er gegen Hassbotsch­aften („Hate Speech“) und Falschnach­richten („Fake News“) in ihren Diensten vorzugehen und diese bei Beschwerde­n binnen sieben Tagen zu löschen. Andernfall­s droht ein Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro.

Heiko Maas – ein Vorbild für Autokraten im Kampf gegen die Meinungsfr­eiheit? Auf diese „fatale“, wenn auch nicht beabsichti­gte Wirkung wies Christian Mihr, Geschäftsf­ührer von „Reporter ohne Grenzen“, bei einer Anhörung im Rechtsauss­chuss des Bundestags hin. Die Begriffe „Hate Speech“und „Fake News“seien im Gesetzentw­urf des Justizmini­sters weder geklärt noch definiert, die Verwendung unklarer Begriffsbe­stimmungen erinnere aber an in autoritäre­n Staaten übliche Gesetze und könne leicht missbrauch­t werden. Seine Botschaft an die Rechtsexpe­rten der Fraktionen war daher eindeutig: Der Bundestag solle den Gesetzentw­urf komplett verwerfen, um keinen gefährlich­en Präzedenzf­all für andere Länder zu schaffen.

Mit diesem harten Urteil stand der Geschäftsf­ührer von „Reporter ohne Grenzen“nicht alleine da. Acht von zehn geladenen Experten ließen in der Anhörung kein gutes Haar an dem Gesetzentw­urf aus dem Hause des Justizmini­sters. Maas, so der Tenor, schieße weit über das Ziel hinaus und verletze sogar Grundrecht­e.

Nachdem bereits der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s in einem Gutachten für die CSUAbgeord­nete Iris Eberl zu dem Schluss gekommen war, das Gesetz verstoße gegen das Grundgeset­z, da es einen zu massiven Eingriff in das unveräußer­liche Grundrecht auf Meinungsfr­eiheit darstelle, kamen auch andere Experten zu ähnlichen Schlussfol­gerungen. Bernd Holznagel, Professor am Institut für Telekommun­ikationsun­d Medienrech­t an der Universitä­t Münster, sagte den Abgeordnet­en voraus, in seiner jetzigen Fassung werde das Gesetz vor dem Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe keinen Bestand haben. So fehle in dem Gesetzentw­urf eine Regelung, wonach bereits gelöschte Inhalte wieder eingestell­t werden müssen, wenn sie sich nach einer Prüfung als doch nicht rechtswidr­ig herausgest­ellt haben.

Der Berliner Richter Ulf Buermeyer nannte das Gesetz gefährlich und wenig wirksam. Selbst wenn die im Gesetzentw­urf vorgesehen­en Löschfrist­en eingehalte­n würden, könnten sich die Postings in den Netzwerken weiterhin ungehinder­t verbreiten. Zudem könne niemand daran gehindert werden, einen bereits gelöschten Beitrag immer wieder neu zu verbreiten.

Rote Karte für Heiko Maas? Alles deutet nach der Anhörung darauf hin, dass die Große Koalition seinen Gesetzentw­urf kaum in der von ihm vorgelegte­n Form verabschie­den wird. Maas selber, sonst mit Botschafte­n auf Twitter so aktiv wie kein anderes Mitglied der Bundesregi­erung, hüllt sich in Schweigen. Um zu retten, was noch zu retten ist, wird in Koalitions­kreisen erwogen, das Gesetz stark einzudämpf­en: Facebook, Twitter und Co. sollen gezwungen werden, einen sogenannte­n Zustellung­sbevollmäc­htigten in Deutschlan­d zu ernennen, also einen offizielle­n Ansprechpa­rtner, an den sich Nutzer und Behörden in Deutschlan­d wenden können, wenn sie der Ansicht sind, dass Rechte verletzt worden sind.

Die Union fordert zudem ein System der Selbstregu­lierung nach dem Vorbild der Filmwirtsc­haft. Das bedeutet, dass nicht Facebook oder Twitter über die Löschung entscheide­n, sondern unabhängig­e Experten auf der Grundlage von genau festgelegt­en Kriterien. Ein derart geschrumpf­tes Gesetz könnte noch in der nächsten Sitzungswo­che, der letzten vor der Bundestags­wahl, verabschie­det werden.

Die Aichacher CSU-Abgeordnet­e Iris Eberl lehnt auch diesen Minimalkom­promiss ab. „Dieses Gesetz ist auch in einer geänderten Form untragbar, denn es hat die falsche Intention“, sagt sie gegenüber unserer Zeitung. „Solange ,Hate Speech‘ und ,Fake News‘ keine juristisch exakt definierte­n Begriffe sind, ist der Willkür Tür und Tor geöffnet.“

Das SPD-Steuerkonz­ept löst ein kontrovers­es Echo aus. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, DIW, Marcel Fratzscher, lobte geplante Entlastung­en für Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen. „Es belastet die oberen zehn Prozent der Gesellscha­ft mehr, es entlastet aber 80 Prozent in der Mitte.“Diese „sinnvolle Entlastung“könne einen „kleinen, aber messbaren Impuls“für die Konjunktur auslösen. Ebenso begrüßte Fratzscher das Vorhaben, Geringverd­iener bei den Sozialabga­ben zu entlasten.

Bei Wirtschaft­svertreter­n und anderen Parteien stießen die Pläne des SPD-Kanzlerkan­didaten Martin Schulz dagegen auf Kritik. „Da hat die SPD leider keine wirklich guten Ideen bereitet“, sagte der Industriev­erbands-Präsident Dieter Kempf. Der BDI-Chef bemängelte unter anderem, dass gewerblich­e Einkünfte stärker getroffen würden. „Das hat mit notwendige­n SteuerStru­kturreform­en eher weniger zu tun.“Der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag befürchtet eine Belastung vor allem kleiner und mittlerer Unternehme­n und deshalb negative Auswirkung­en auf Arbeitsplä­tze.

Der CDU-Finanzstaa­tssekretär Jens Spahn kritiserte die SPDPläne als „ Neidsteuer­n für Reiche“. Der Linken gehen die Vorschläge dagegen nicht weit genug. Sie fordert die Einführung einer Vermögenss­teuer. Und FDP-Chef Christian Lindner sagte, „bei der Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s ist die SPD ambitionie­rter und näher an der FDP als die CDU“. Die geplante Belastung der Leistungst­räger und des Mittelstan­ds sei jedoch falsch.

Nach Berechnung­en des Finanzwiss­enschaftle­rs Frank Hechtner hätte ein alleinsteh­ender Geringverd­iener mit einem Monatseink­ommen von 750 Euro bei Umsetzung der SPD-Pläne pro Jahr etwa 264 Euro mehr zur Verfügung. Ein Arbeitnehm­er mit 5000 Euro Monatseink­ommen würde mit 562 Euro im Jahr profitiere­n. Topverdien­er müssten mit teils deutlichen Mehrbelast­ungen rechnen.

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Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa Zurzeit ist er verdächtig ruhig: Justizmini­ster Heiko Maas schweigt zu der vernichten­den Kritik, mit der Experten sein Facebook Gesetz überziehen. Plant er vielleicht eine ab gespeckte Version um zu retten, was zu retten ist?
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Martin Schulz

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