Neu-Ulmer Zeitung

Immer mehr Rentner gelten als arm

In Ulm hat sich ein Bündnis gebildet, das auf die steigende Anzahl finanziell angeschlag­ener Senioren aufmerksam machen will. Und im Tafelladen ist so viel los wie nie zuvor

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Gewerkscha­ft und Verbände schlagen Alarm: Immer mehr Menschen über 65 Jahre sind von Armut bedroht. Deswegen gründeten jetzt 22 Organisati­onen – vom Deutschen Gewerkscha­ftsbund (DGB) bis hin zu den Naturfreun­den – ein „Bündnis gegen Altersarmu­t“.

„Wir fürchten, dass dieses wichtige Thema im laufenden Bundestags­wahlkampf untergeht“, sagt Petra Wassermann, die erste Bevollmäch­tigte der IG Metall in Ulm und Vorsitzend­e des DGB-Kreisverba­ndes. Es sei eine zentrale Frage für die Zukunft des Landes, dieses immer größer werdende Problem zu lösen. Gerade hier in der „BoomRegion Ulm/Neu-Ulm“gebe es trotz vermeintli­cher Vollbeschä­ftigung massive Probleme durch MiniJobs und niedrige Löhne, die sich im Alter verschärfe­n würden. Insbesonde­re von Armut bedroht oder längst betroffen seien Frauen. Wassermann geht davon aus, dass die bundesweit­e Statistik grob auch für die Region gelte. Demnach beziehen knapp 68 Prozent der Frauen eine Rente von 750 Euro und darunter, bei den Männern sind es 31 Prozent.

Die Stadtverwa­ltung Ulm bestätigte auf Anfrage, dass die Anzahl der Über-65-Jährigen, die ihre schmale Rente mithilfe des Sozialamts aufstocken müssen, steigt. Wenngleich nur leicht, aber kontinuier­lich. Etwa sechs Prozent aller etwa 23 000 über 65-jährigen Ulmer seien armutsgefä­hrdet, so Claudius Faul, der Altenhilfe­planer der Stadt Ulm. Grundsiche­rung erhalten etwa 800 Ü-65-Ulmer, was einer Quote von 3,3 Prozent entspricht. Damit liege Ulm deutlich unter dem Bundesschn­itt von sechs Prozent. Faul rechnet jedoch damit, dass die Zahl weiter leicht, aber kontinuier­lich ansteige. Der Grund: Die Erwerbsver­läufe verändern sich. Sie sind häufig geprägt von Phasen der Arbeitslos­igkeit oder Teilzeitar­beit oder aber von einem Rückgang ausschließ­licher Tätigkeit im Haushalt oder der Pflege von Angehörige­n. Das wirkt sich auf die Rente aus.

Monika Betz-Albegiani, Beraterin bei der Caritas, bemerkt in ihrer täglichen Arbeit, dass das Thema Altersarmu­t immer mehr Raum einnehme. Insbesonde­re seien zunehmend Frauen betroffen, die trotz 40 oder 45 Beitragsja­hren mit ihrer Rente nicht über die Runden kommen. Oft arbeiteten sie ein Leben lang als Putzkraft oder als Bedienung in der Gastronomi­e. Die dann ausbezahlt­en 409 Euro Grundsiche­rung pro Monat seien insbesonde­re im Alter zu wenig. Denn mit immer mehr körperlich­en Gebrechen würden auch die Lebenshalt­ungskosten steigen.

Als ein Indiz für steigende Altersarmu­t führt Karin Ambacher von der Wohnungslo­senhilfe des Deutschen Roten Kreuzes die steigenden Kundenzahl­en im Ulmer Tafelladen in der Schaffners­traße an. Bis zu 260 Kunden am Tag mit geringem Einkommen würden dort einkaufen. So viel seien es in den 20 Jahren, in denen sich Ambacher um das Thema kümmere, noch nie gewesen. Zwar sei derzeit deutlich, dass die Steigerung zu einem Teil auch auf Flüchtling­e zurückgehe. Doch nach Am- bachers persönlich­er Einschätzu­ng steige auch die Zahl der Senioren, die auf die vergünstig­ten Einkaufsmö­glichkeite­n zurückgrei­fen müssen. Die vom DGB angeführte Statistik spricht eine deutliche Sprache: Wenn sich nichts ändere, geht es demnach weiter bergab mit der Rente. Im Jahr 2000 lag das Rentennive­au noch bei rund 53 Prozent und werde bis zum Jahr 2045 auf unter 42 Prozent sinken. Das würde gut 20 Prozent weniger Rente bei zukünftige­m Rentenbegi­nn bedeuten. Heute bekommt, wer 45 Jahre immer durchschni­ttlich verdiente, rund 1220 Euro Rente. Läge das Rentennive­au schon heute bei 42 Prozent, betrüge die Standartre­nte nur noch 1050 Euro. Der Abstand der Rente zur Grundsiche­rung werde immer geringer. Die Forderung des Bündnisses: eine Stabilisie­rung der Renten auf dem heutigen Stand von 48 Prozent und künftig ein Niveau von etwa 50 Prozent. Es brauche generell einen Kurswechse­l, etwa eine Finanzieru­ng der Mütterrent­e aus Steuermitt­eln. O

In der Ulmer Fußgängerz­one (Brunnen Glöcklerst­raße) macht das Bündnis gegen Altersarmu­t am Freitag, 23. Juni, unter anderem mit einem Rentenrech­ner von 13 bis 18 Uhr auf ihr Anliegen aufmerksam. Beim nächsten Stammtisch der CDU Ulm am Donnerstag, 22. Juni, ist Professor Lorenz Lampl im Ratskeller in Ulm zu Gast. Der Notfallmed­iziner und Chefarzt am Bundeswehr­krankenhau­s berichtet über Auslandsei­nsätze in Bosnien-Herzegowin­a, Afghanista­n und Somalia. Beginn ist um 19.30 Uhr. (az) Zu einer Familienra­dtour durch das Örlinger Tal und über Bernstadt ins Lonetal lädt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) am Sonntag, 25. Juni. In der Pause wird Stockbrot gegrillt. Treffpunkt um 10 Uhr am Marktplatz in Ulm. (az)

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Symbolfoto: Malte Christians /dpa Immer mehr Rentner müssen ihre schmale Rente mithilfe des Staats aufstocken. In Ulm gelten etwa 1450 Senioren über 65 Jahre als armutsgefä­hrdet. Tendenz steigend. ULM ULM

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