Immer mehr Rentner gelten als arm
In Ulm hat sich ein Bündnis gebildet, das auf die steigende Anzahl finanziell angeschlagener Senioren aufmerksam machen will. Und im Tafelladen ist so viel los wie nie zuvor
Gewerkschaft und Verbände schlagen Alarm: Immer mehr Menschen über 65 Jahre sind von Armut bedroht. Deswegen gründeten jetzt 22 Organisationen – vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) bis hin zu den Naturfreunden – ein „Bündnis gegen Altersarmut“.
„Wir fürchten, dass dieses wichtige Thema im laufenden Bundestagswahlkampf untergeht“, sagt Petra Wassermann, die erste Bevollmächtigte der IG Metall in Ulm und Vorsitzende des DGB-Kreisverbandes. Es sei eine zentrale Frage für die Zukunft des Landes, dieses immer größer werdende Problem zu lösen. Gerade hier in der „BoomRegion Ulm/Neu-Ulm“gebe es trotz vermeintlicher Vollbeschäftigung massive Probleme durch MiniJobs und niedrige Löhne, die sich im Alter verschärfen würden. Insbesondere von Armut bedroht oder längst betroffen seien Frauen. Wassermann geht davon aus, dass die bundesweite Statistik grob auch für die Region gelte. Demnach beziehen knapp 68 Prozent der Frauen eine Rente von 750 Euro und darunter, bei den Männern sind es 31 Prozent.
Die Stadtverwaltung Ulm bestätigte auf Anfrage, dass die Anzahl der Über-65-Jährigen, die ihre schmale Rente mithilfe des Sozialamts aufstocken müssen, steigt. Wenngleich nur leicht, aber kontinuierlich. Etwa sechs Prozent aller etwa 23 000 über 65-jährigen Ulmer seien armutsgefährdet, so Claudius Faul, der Altenhilfeplaner der Stadt Ulm. Grundsicherung erhalten etwa 800 Ü-65-Ulmer, was einer Quote von 3,3 Prozent entspricht. Damit liege Ulm deutlich unter dem Bundesschnitt von sechs Prozent. Faul rechnet jedoch damit, dass die Zahl weiter leicht, aber kontinuierlich ansteige. Der Grund: Die Erwerbsverläufe verändern sich. Sie sind häufig geprägt von Phasen der Arbeitslosigkeit oder Teilzeitarbeit oder aber von einem Rückgang ausschließlicher Tätigkeit im Haushalt oder der Pflege von Angehörigen. Das wirkt sich auf die Rente aus.
Monika Betz-Albegiani, Beraterin bei der Caritas, bemerkt in ihrer täglichen Arbeit, dass das Thema Altersarmut immer mehr Raum einnehme. Insbesondere seien zunehmend Frauen betroffen, die trotz 40 oder 45 Beitragsjahren mit ihrer Rente nicht über die Runden kommen. Oft arbeiteten sie ein Leben lang als Putzkraft oder als Bedienung in der Gastronomie. Die dann ausbezahlten 409 Euro Grundsicherung pro Monat seien insbesondere im Alter zu wenig. Denn mit immer mehr körperlichen Gebrechen würden auch die Lebenshaltungskosten steigen.
Als ein Indiz für steigende Altersarmut führt Karin Ambacher von der Wohnungslosenhilfe des Deutschen Roten Kreuzes die steigenden Kundenzahlen im Ulmer Tafelladen in der Schaffnerstraße an. Bis zu 260 Kunden am Tag mit geringem Einkommen würden dort einkaufen. So viel seien es in den 20 Jahren, in denen sich Ambacher um das Thema kümmere, noch nie gewesen. Zwar sei derzeit deutlich, dass die Steigerung zu einem Teil auch auf Flüchtlinge zurückgehe. Doch nach Am- bachers persönlicher Einschätzung steige auch die Zahl der Senioren, die auf die vergünstigten Einkaufsmöglichkeiten zurückgreifen müssen. Die vom DGB angeführte Statistik spricht eine deutliche Sprache: Wenn sich nichts ändere, geht es demnach weiter bergab mit der Rente. Im Jahr 2000 lag das Rentenniveau noch bei rund 53 Prozent und werde bis zum Jahr 2045 auf unter 42 Prozent sinken. Das würde gut 20 Prozent weniger Rente bei zukünftigem Rentenbeginn bedeuten. Heute bekommt, wer 45 Jahre immer durchschnittlich verdiente, rund 1220 Euro Rente. Läge das Rentenniveau schon heute bei 42 Prozent, betrüge die Standartrente nur noch 1050 Euro. Der Abstand der Rente zur Grundsicherung werde immer geringer. Die Forderung des Bündnisses: eine Stabilisierung der Renten auf dem heutigen Stand von 48 Prozent und künftig ein Niveau von etwa 50 Prozent. Es brauche generell einen Kurswechsel, etwa eine Finanzierung der Mütterrente aus Steuermitteln. O
In der Ulmer Fußgängerzone (Brunnen Glöcklerstraße) macht das Bündnis gegen Altersarmut am Freitag, 23. Juni, unter anderem mit einem Rentenrechner von 13 bis 18 Uhr auf ihr Anliegen aufmerksam. Beim nächsten Stammtisch der CDU Ulm am Donnerstag, 22. Juni, ist Professor Lorenz Lampl im Ratskeller in Ulm zu Gast. Der Notfallmediziner und Chefarzt am Bundeswehrkrankenhaus berichtet über Auslandseinsätze in Bosnien-Herzegowina, Afghanistan und Somalia. Beginn ist um 19.30 Uhr. (az) Zu einer Familienradtour durch das Örlinger Tal und über Bernstadt ins Lonetal lädt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) am Sonntag, 25. Juni. In der Pause wird Stockbrot gegrillt. Treffpunkt um 10 Uhr am Marktplatz in Ulm. (az)